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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 97. Juristische Personen. Verfassung. (Fortsetzung.)
nicht blos in der Decurionenversammlung die Stimmen-
mehrheit entscheiden läßt (§ 96), sondern auch in der Ver-
sammlung der Provinzialen (c); ja es findet sich sogar
eine Stelle, welche die Kraft der Stimmenmehrheit als
ein abstractes Princip für alle denkbaren Fälle auszuspre-
chen scheint, wenngleich der urspüngliche Zusammenhang
der Stelle vielleicht keinen Zweifel darüber lassen mochte,
daß dem Verfasser nur irgend eine einzelne Anwendung
vor Augen stand (d).

Allein mehr als diese partielle Wahrheit können wir
jener Lehre nicht einräumen, und es ist damit für ihre
Wahrheit im Ganzen gar nichts gewonnen. Denn gerade
die Grundannahme ist verwerflich, daß, in den Angele-
genheiten der Corporation, der Totalität der Mitglieder
eine wahre Allmacht zukomme, worauf dann die Majori-
tät nur als eine natürliche Modification fortgebaut wer-
den soll. So seltsam es nun lautet, daß wir der Ge-
sammtheit bestreiten, was wir der größeren Hälfte gewis-
sermaßen einräumten, so hat dieses dennoch guten Grund,
und darf keinesweges als inconsequent angesehen werden.
Denn wir ließen die Majorität irgend einer Versammlung
gelten, vorausgesetzt daß der Versammlung selbst das
Recht irgend einer Verfügung zukomme. Daß aber die

(c) L. 5 C. de legation. (10.
63.). -- Andere, ähnliche Anwen-
dungen der Stimmenmehrheit fin-
den sich in L. 3 C. de vend. reb.
civ.
(11. 31.) (s. u. § 100 h), und
Nov. 120 C. 6 § 1. 2.
(d) L. 160 § 1 de R. J. (50.
17.). "Refertur ad universos,
quod publice fit per majorem
partem."
Vgl. Haubold p. 563.

§. 97. Juriſtiſche Perſonen. Verfaſſung. (Fortſetzung.)
nicht blos in der Decurionenverſammlung die Stimmen-
mehrheit entſcheiden läßt (§ 96), ſondern auch in der Ver-
ſammlung der Provinzialen (c); ja es findet ſich ſogar
eine Stelle, welche die Kraft der Stimmenmehrheit als
ein abſtractes Princip für alle denkbaren Fälle auszuſpre-
chen ſcheint, wenngleich der urſpüngliche Zuſammenhang
der Stelle vielleicht keinen Zweifel darüber laſſen mochte,
daß dem Verfaſſer nur irgend eine einzelne Anwendung
vor Augen ſtand (d).

Allein mehr als dieſe partielle Wahrheit können wir
jener Lehre nicht einräumen, und es iſt damit für ihre
Wahrheit im Ganzen gar nichts gewonnen. Denn gerade
die Grundannahme iſt verwerflich, daß, in den Angele-
genheiten der Corporation, der Totalität der Mitglieder
eine wahre Allmacht zukomme, worauf dann die Majori-
tät nur als eine natürliche Modification fortgebaut wer-
den ſoll. So ſeltſam es nun lautet, daß wir der Ge-
ſammtheit beſtreiten, was wir der größeren Hälfte gewiſ-
ſermaßen einräumten, ſo hat dieſes dennoch guten Grund,
und darf keinesweges als inconſequent angeſehen werden.
Denn wir ließen die Majorität irgend einer Verſammlung
gelten, vorausgeſetzt daß der Verſammlung ſelbſt das
Recht irgend einer Verfügung zukomme. Daß aber die

(c) L. 5 C. de legation. (10.
63.). — Andere, ähnliche Anwen-
dungen der Stimmenmehrheit fin-
den ſich in L. 3 C. de vend. reb.
civ.
(11. 31.) (ſ. u. § 100 h), und
Nov. 120 C. 6 § 1. 2.
(d) L. 160 § 1 de R. J. (50.
17.). „Refertur ad universos,
quod publice fit per majorem
partem.”
Vgl. Haubold p. 563.
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[331/0345] §. 97. Juriſtiſche Perſonen. Verfaſſung. (Fortſetzung.) nicht blos in der Decurionenverſammlung die Stimmen- mehrheit entſcheiden läßt (§ 96), ſondern auch in der Ver- ſammlung der Provinzialen (c); ja es findet ſich ſogar eine Stelle, welche die Kraft der Stimmenmehrheit als ein abſtractes Princip für alle denkbaren Fälle auszuſpre- chen ſcheint, wenngleich der urſpüngliche Zuſammenhang der Stelle vielleicht keinen Zweifel darüber laſſen mochte, daß dem Verfaſſer nur irgend eine einzelne Anwendung vor Augen ſtand (d). Allein mehr als dieſe partielle Wahrheit können wir jener Lehre nicht einräumen, und es iſt damit für ihre Wahrheit im Ganzen gar nichts gewonnen. Denn gerade die Grundannahme iſt verwerflich, daß, in den Angele- genheiten der Corporation, der Totalität der Mitglieder eine wahre Allmacht zukomme, worauf dann die Majori- tät nur als eine natürliche Modification fortgebaut wer- den ſoll. So ſeltſam es nun lautet, daß wir der Ge- ſammtheit beſtreiten, was wir der größeren Hälfte gewiſ- ſermaßen einräumten, ſo hat dieſes dennoch guten Grund, und darf keinesweges als inconſequent angeſehen werden. Denn wir ließen die Majorität irgend einer Verſammlung gelten, vorausgeſetzt daß der Verſammlung ſelbſt das Recht irgend einer Verfügung zukomme. Daß aber die (c) L. 5 C. de legation. (10. 63.). — Andere, ähnliche Anwen- dungen der Stimmenmehrheit fin- den ſich in L. 3 C. de vend. reb. civ. (11. 31.) (ſ. u. § 100 h), und Nov. 120 C. 6 § 1. 2. (d) L. 160 § 1 de R. J. (50. 17.). „Refertur ad universos, quod publice fit per majorem partem.” Vgl. Haubold p. 563.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/345>, abgerufen am 16.07.2024.