Nach dieser wird nämlich nicht die Übereinstimmung der Mehrheit aller Mitglieder erfordert, sondern nur derjeni- gen, die sich in einer gehörig berufenen Versammlung ein- finden: vorausgesetzt nur, daß diese Anwesenden nicht we- niger als zwey Drittheile aller Mitglieder überhaupt aus- machen (b).
Indem jetzt diese Lehre geprüft werden soll, ist es nö- thig mit demjenigen Theil derselben anzufangen, dem eine relative Wahrheit zugegeben werden kann, nämlich der be- haupteten Kraft der Stimmenmehrheit. Überall, wo der Wille einer Versammlung zu entscheiden hat, ist Einstim- migkeit zu erreichen zwar nicht unmöglich (denn bey den Englischen Geschwornen z. B. wird sie gefordert und er- reicht), aber doch so schwierig und so von Zufällen ab- hängig, daß die lebendige Wirksamkeit der Versammlung dadurch ungemein gehemmt werden muß, und daß es als räthlich und zweckmäßig anzusehen ist, die Macht des ge- meinsamen Willens auch schon irgend einer Mehrheit bey- zulegen. Soll aber dieses geschehen, so ist es dann das Einfachste und Natürlichste, die einfache Mehrheit, das heißt jede, die reine Hälfte übersteigende, Mehrheit, als Träger des gemeinsamen Willens anzuerkennen, indem jede andere Quote, z. B. 3/4 oder 6/7, einen so willkührlichen Character hat, daß es ohne positive Bestimmung niemals zu einer allgemeinen Anerkennung kommen wird. So be- trachtet die Sache auch das Römische Recht, indem es
Nach dieſer wird nämlich nicht die Übereinſtimmung der Mehrheit aller Mitglieder erfordert, ſondern nur derjeni- gen, die ſich in einer gehörig berufenen Verſammlung ein- finden: vorausgeſetzt nur, daß dieſe Anweſenden nicht we- niger als zwey Drittheile aller Mitglieder überhaupt aus- machen (b).
Indem jetzt dieſe Lehre geprüft werden ſoll, iſt es nö- thig mit demjenigen Theil derſelben anzufangen, dem eine relative Wahrheit zugegeben werden kann, nämlich der be- haupteten Kraft der Stimmenmehrheit. Überall, wo der Wille einer Verſammlung zu entſcheiden hat, iſt Einſtim- migkeit zu erreichen zwar nicht unmöglich (denn bey den Engliſchen Geſchwornen z. B. wird ſie gefordert und er- reicht), aber doch ſo ſchwierig und ſo von Zufällen ab- hängig, daß die lebendige Wirkſamkeit der Verſammlung dadurch ungemein gehemmt werden muß, und daß es als räthlich und zweckmäßig anzuſehen iſt, die Macht des ge- meinſamen Willens auch ſchon irgend einer Mehrheit bey- zulegen. Soll aber dieſes geſchehen, ſo iſt es dann das Einfachſte und Natürlichſte, die einfache Mehrheit, das heißt jede, die reine Hälfte überſteigende, Mehrheit, als Träger des gemeinſamen Willens anzuerkennen, indem jede andere Quote, z. B. ¾ oder 6/7, einen ſo willkührlichen Character hat, daß es ohne poſitive Beſtimmung niemals zu einer allgemeinen Anerkennung kommen wird. So be- trachtet die Sache auch das Römiſche Recht, indem es
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
Nach dieſer wird nämlich nicht die Übereinſtimmung der
Mehrheit aller Mitglieder erfordert, ſondern nur derjeni-
gen, die ſich in einer gehörig berufenen Verſammlung ein-
finden: vorausgeſetzt nur, daß dieſe Anweſenden nicht we-
niger als zwey Drittheile aller Mitglieder überhaupt aus-
machen (b).
Indem jetzt dieſe Lehre geprüft werden ſoll, iſt es nö-
thig mit demjenigen Theil derſelben anzufangen, dem eine
relative Wahrheit zugegeben werden kann, nämlich der be-
haupteten Kraft der Stimmenmehrheit. Überall, wo der
Wille einer Verſammlung zu entſcheiden hat, iſt Einſtim-
migkeit zu erreichen zwar nicht unmöglich (denn bey den
Engliſchen Geſchwornen z. B. wird ſie gefordert und er-
reicht), aber doch ſo ſchwierig und ſo von Zufällen ab-
hängig, daß die lebendige Wirkſamkeit der Verſammlung
dadurch ungemein gehemmt werden muß, und daß es als
räthlich und zweckmäßig anzuſehen iſt, die Macht des ge-
meinſamen Willens auch ſchon irgend einer Mehrheit bey-
zulegen. Soll aber dieſes geſchehen, ſo iſt es dann das
Einfachſte und Natürlichſte, die einfache Mehrheit, das
heißt jede, die reine Hälfte überſteigende, Mehrheit, als
Träger des gemeinſamen Willens anzuerkennen, indem jede
andere Quote, z. B. ¾ oder 6/7, einen ſo willkührlichen
Character hat, daß es ohne poſitive Beſtimmung niemals
zu einer allgemeinen Anerkennung kommen wird. So be-
trachtet die Sache auch das Römiſche Recht, indem es
(b) Thibaut Pandektenrecht § 131. Mühlenbruch § 197.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/344>, abgerufen am 22.11.2024.
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