dern weil sie dem Begriff und der ausschließenden Be- stimmung der juristischen Person fremd ist.
Die zweyte Wurzel jenes Irrthums liegt in der völli- gen Verwechslung der juristischen Person mit ihren ein- zelnen Mitgliedern, eine Verwechslung, welcher sich das Römische Recht in so vielen Anwendungen auf das Be- stimmteste widersetzt (§ 86). Der Einfluß dieser Verwechs- lung auf jene falsche Meynung wird besonders durch die Wahrnehmung einleuchtend, daß man die Fähigkeit zu Verbrechen doch nicht bey allen juristischen Personen durch- führt; man behauptet sie in der That nur bey Corpora- tionen, nicht bey Stiftungen, wenngleich dieser Unterschied nicht ausgesprochen zu werden pflegt. Inconsequent ist er gewiß, denn wenn überhaupt juristische Personen Verbre- chen begehen können, weil sie allgemeine Willensfähigkeit haben, so müssen dazu auch Kirchen und Waisenhäuser, vertreten durch ihre Vorsteher, fähig seyn. Diese Incon- sequenz aber erklärt sich daraus, daß die Handlungen der meisten Bürger einer Stadt, oder aller Meister einer Zunft, leicht dafür angesehen werden können, als wäre es die Stadt oder die Zunft welche handelte; oder mit anderen Worten, sie erklärt sich aus der eben gerügten Verwechs- lung der einzelnen Mitglieder mit der Corporation.
Folgende Vergleichung kann dazu dienen, die Wahr- heit der aufgestellten Behauptungen noch anschaulicher zu machen. Wahnsinnige und Unmündige haben mit den ju- ristischen Personen die Ähnlichkeit, daß sie rechtsfähig sind,
dern weil ſie dem Begriff und der ausſchließenden Be- ſtimmung der juriſtiſchen Perſon fremd iſt.
Die zweyte Wurzel jenes Irrthums liegt in der völli- gen Verwechslung der juriſtiſchen Perſon mit ihren ein- zelnen Mitgliedern, eine Verwechslung, welcher ſich das Römiſche Recht in ſo vielen Anwendungen auf das Be- ſtimmteſte widerſetzt (§ 86). Der Einfluß dieſer Verwechs- lung auf jene falſche Meynung wird beſonders durch die Wahrnehmung einleuchtend, daß man die Fähigkeit zu Verbrechen doch nicht bey allen juriſtiſchen Perſonen durch- führt; man behauptet ſie in der That nur bey Corpora- tionen, nicht bey Stiftungen, wenngleich dieſer Unterſchied nicht ausgeſprochen zu werden pflegt. Inconſequent iſt er gewiß, denn wenn überhaupt juriſtiſche Perſonen Verbre- chen begehen können, weil ſie allgemeine Willensfähigkeit haben, ſo müſſen dazu auch Kirchen und Waiſenhäuſer, vertreten durch ihre Vorſteher, fähig ſeyn. Dieſe Incon- ſequenz aber erklärt ſich daraus, daß die Handlungen der meiſten Bürger einer Stadt, oder aller Meiſter einer Zunft, leicht dafür angeſehen werden können, als wäre es die Stadt oder die Zunft welche handelte; oder mit anderen Worten, ſie erklärt ſich aus der eben gerügten Verwechs- lung der einzelnen Mitglieder mit der Corporation.
Folgende Vergleichung kann dazu dienen, die Wahr- heit der aufgeſtellten Behauptungen noch anſchaulicher zu machen. Wahnſinnige und Unmündige haben mit den ju- riſtiſchen Perſonen die Ähnlichkeit, daß ſie rechtsfähig ſind,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0329"n="315"/><fwplace="top"type="header">§. 94. Juriſtiſche Perſonen. Rechte. (Fortſetzung.)</fw><lb/>
dern weil ſie dem Begriff und der ausſchließenden Be-<lb/>ſtimmung der juriſtiſchen Perſon fremd iſt.</p><lb/><p>Die zweyte Wurzel jenes Irrthums liegt in der völli-<lb/>
gen Verwechslung der juriſtiſchen Perſon mit ihren ein-<lb/>
zelnen Mitgliedern, eine Verwechslung, welcher ſich das<lb/>
Römiſche Recht in ſo vielen Anwendungen auf das Be-<lb/>ſtimmteſte widerſetzt (§ 86). Der Einfluß dieſer Verwechs-<lb/>
lung auf jene falſche Meynung wird beſonders durch die<lb/>
Wahrnehmung einleuchtend, daß man die Fähigkeit zu<lb/>
Verbrechen doch nicht bey allen juriſtiſchen Perſonen durch-<lb/>
führt; man behauptet ſie in der That nur bey Corpora-<lb/>
tionen, nicht bey Stiftungen, wenngleich dieſer Unterſchied<lb/>
nicht ausgeſprochen zu werden pflegt. Inconſequent iſt er<lb/>
gewiß, denn wenn überhaupt juriſtiſche Perſonen Verbre-<lb/>
chen begehen können, weil ſie allgemeine Willensfähigkeit<lb/>
haben, ſo müſſen dazu auch Kirchen und Waiſenhäuſer,<lb/>
vertreten durch ihre Vorſteher, fähig ſeyn. Dieſe Incon-<lb/>ſequenz aber erklärt ſich daraus, daß die Handlungen der<lb/>
meiſten Bürger einer Stadt, oder aller Meiſter einer Zunft,<lb/>
leicht dafür angeſehen werden können, als wäre es die<lb/>
Stadt oder die Zunft welche handelte; oder mit anderen<lb/>
Worten, ſie erklärt ſich aus der eben gerügten Verwechs-<lb/>
lung der einzelnen Mitglieder mit der Corporation.</p><lb/><p>Folgende Vergleichung kann dazu dienen, die Wahr-<lb/>
heit der aufgeſtellten Behauptungen noch anſchaulicher zu<lb/>
machen. Wahnſinnige und Unmündige haben mit den ju-<lb/>
riſtiſchen Perſonen die Ähnlichkeit, daß ſie rechtsfähig ſind,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[315/0329]
§. 94. Juriſtiſche Perſonen. Rechte. (Fortſetzung.)
dern weil ſie dem Begriff und der ausſchließenden Be-
ſtimmung der juriſtiſchen Perſon fremd iſt.
Die zweyte Wurzel jenes Irrthums liegt in der völli-
gen Verwechslung der juriſtiſchen Perſon mit ihren ein-
zelnen Mitgliedern, eine Verwechslung, welcher ſich das
Römiſche Recht in ſo vielen Anwendungen auf das Be-
ſtimmteſte widerſetzt (§ 86). Der Einfluß dieſer Verwechs-
lung auf jene falſche Meynung wird beſonders durch die
Wahrnehmung einleuchtend, daß man die Fähigkeit zu
Verbrechen doch nicht bey allen juriſtiſchen Perſonen durch-
führt; man behauptet ſie in der That nur bey Corpora-
tionen, nicht bey Stiftungen, wenngleich dieſer Unterſchied
nicht ausgeſprochen zu werden pflegt. Inconſequent iſt er
gewiß, denn wenn überhaupt juriſtiſche Perſonen Verbre-
chen begehen können, weil ſie allgemeine Willensfähigkeit
haben, ſo müſſen dazu auch Kirchen und Waiſenhäuſer,
vertreten durch ihre Vorſteher, fähig ſeyn. Dieſe Incon-
ſequenz aber erklärt ſich daraus, daß die Handlungen der
meiſten Bürger einer Stadt, oder aller Meiſter einer Zunft,
leicht dafür angeſehen werden können, als wäre es die
Stadt oder die Zunft welche handelte; oder mit anderen
Worten, ſie erklärt ſich aus der eben gerügten Verwechs-
lung der einzelnen Mitglieder mit der Corporation.
Folgende Vergleichung kann dazu dienen, die Wahr-
heit der aufgeſtellten Behauptungen noch anſchaulicher zu
machen. Wahnſinnige und Unmündige haben mit den ju-
riſtiſchen Perſonen die Ähnlichkeit, daß ſie rechtsfähig ſind,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/329>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.