gerechtfertigte, Auftreten des Infamen vor der Person des Prätors. Die Abfassung von Prozeßschriften kann un- möglich als eine Verletzung des richterlichen Ansehens be- trachtet werden, welche Eigenschaften auch der (vielleicht sogar ungenannt bleibende) Verfasser an sich tragen möge. Wollte man etwa sagen, ein ehrloser Verfasser sey auch der Verdrehung des Rechts verdächtig, so würde dadurch die Sache in ein ganz anderes, der Römischen Regel frem- des Gebiet hinüber gespielt, das Gebiet der Aufsicht auf die Prozeßverhandlungen. Hier aber sind, wenn sich ein- mal der Richter einmischen soll, ganz andere Rücksichten zu beachten: theils sittliche, theils intellectuelle, wohin be- sonders ein gewisser Grad von Rechtskenntniß gehören wird. Die Infamie mit ihren ganz positiv bestimmten Bedingungen wird dabey gleichgültig seyn, und anstatt derselben wird der unbestimmte Begriff persönlicher Zu- verlässigkeit zur Anwendung kommen.
Die hier aufgestellten Gründe, wenngleich sie in dieser Gestalt und Bestimmtheit nicht anerkannt zu werden pfleg- ten, und also nicht zu deutlichem Bewußtseyn kamen, sind dennoch nicht ohne Einfluß auf neuere Schriftsteller ge- blieben. Daraus allein erklären sich die unglaublich schwan- kenden Meynungen derselben über den Grad der Anwend- barkeit, welcher den Römischen Grundsätzen über die In- famie einzuräumen seyn möchte (a).
Aber auch in dieser großen Mannichfaltigkeit der Mey-
(a) Vgl. Marezoll S. 346--349.
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
gerechtfertigte, Auftreten des Infamen vor der Perſon des Prätors. Die Abfaſſung von Prozeßſchriften kann un- möglich als eine Verletzung des richterlichen Anſehens be- trachtet werden, welche Eigenſchaften auch der (vielleicht ſogar ungenannt bleibende) Verfaſſer an ſich tragen moͤge. Wollte man etwa ſagen, ein ehrloſer Verfaſſer ſey auch der Verdrehung des Rechts verdächtig, ſo würde dadurch die Sache in ein ganz anderes, der Römiſchen Regel frem- des Gebiet hinüber geſpielt, das Gebiet der Aufſicht auf die Prozeßverhandlungen. Hier aber ſind, wenn ſich ein- mal der Richter einmiſchen ſoll, ganz andere Rückſichten zu beachten: theils ſittliche, theils intellectuelle, wohin be- ſonders ein gewiſſer Grad von Rechtskenntniß gehören wird. Die Infamie mit ihren ganz poſitiv beſtimmten Bedingungen wird dabey gleichgültig ſeyn, und anſtatt derſelben wird der unbeſtimmte Begriff perſoͤnlicher Zu- verläſſigkeit zur Anwendung kommen.
Die hier aufgeſtellten Gründe, wenngleich ſie in dieſer Geſtalt und Beſtimmtheit nicht anerkannt zu werden pfleg- ten, und alſo nicht zu deutlichem Bewußtſeyn kamen, ſind dennoch nicht ohne Einfluß auf neuere Schriftſteller ge- blieben. Daraus allein erklären ſich die unglaublich ſchwan- kenden Meynungen derſelben über den Grad der Anwend- barkeit, welcher den Römiſchen Grundſätzen über die In- famie einzuräumen ſeyn möchte (a).
Aber auch in dieſer großen Mannichfaltigkeit der Mey-
(a) Vgl. Marezoll S. 346—349.
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
gerechtfertigte, Auftreten des Infamen vor der Perſon des
Prätors. Die Abfaſſung von Prozeßſchriften kann un-
möglich als eine Verletzung des richterlichen Anſehens be-
trachtet werden, welche Eigenſchaften auch der (vielleicht
ſogar ungenannt bleibende) Verfaſſer an ſich tragen moͤge.
Wollte man etwa ſagen, ein ehrloſer Verfaſſer ſey auch
der Verdrehung des Rechts verdächtig, ſo würde dadurch
die Sache in ein ganz anderes, der Römiſchen Regel frem-
des Gebiet hinüber geſpielt, das Gebiet der Aufſicht auf
die Prozeßverhandlungen. Hier aber ſind, wenn ſich ein-
mal der Richter einmiſchen ſoll, ganz andere Rückſichten
zu beachten: theils ſittliche, theils intellectuelle, wohin be-
ſonders ein gewiſſer Grad von Rechtskenntniß gehören
wird. Die Infamie mit ihren ganz poſitiv beſtimmten
Bedingungen wird dabey gleichgültig ſeyn, und anſtatt
derſelben wird der unbeſtimmte Begriff perſoͤnlicher Zu-
verläſſigkeit zur Anwendung kommen.
Die hier aufgeſtellten Gründe, wenngleich ſie in dieſer
Geſtalt und Beſtimmtheit nicht anerkannt zu werden pfleg-
ten, und alſo nicht zu deutlichem Bewußtſeyn kamen, ſind
dennoch nicht ohne Einfluß auf neuere Schriftſteller ge-
blieben. Daraus allein erklären ſich die unglaublich ſchwan-
kenden Meynungen derſelben über den Grad der Anwend-
barkeit, welcher den Römiſchen Grundſätzen über die In-
famie einzuräumen ſeyn möchte (a).
Aber auch in dieſer großen Mannichfaltigkeit der Mey-
(a) Vgl. Marezoll S. 346—349.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/240>, abgerufen am 16.02.2025.
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