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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 83. Infamie. Heutige Anwendbarkeit.
hieng, in der That also auch wieder durch staatsrechtliche
Verhältnisse bedingt war.

Nach der neueren Gerichtsverfassung beruht alle ge-
richtliche Vertretung Anderer theils auf der Procuratur,
theils auf der Advocatur, welche bald in denselben Per-
sonen vereinigt, bald getrennt erscheinen. Beide Geschäfte
sind ferner (je nach dem verschiedenen Recht einzelner Län-
der) theils an eine öffentliche Anstellung gebunden, theils
davon unabhängig, also bloße Privatsache. Im ersten
Fall gehören sie, so wie alle Anstellungen, dem öffentli-
chen Rechte an, und sind daher von den Bestimmungen
des Römischen Rechts, nach richtigen Ansichten, ganz un-
abhängig. Insbesondere was die Unfähigkeit der Infamen
zur Anstellung als Gerichtsprocuratoren betrifft, so gilt
davon alles Dasjenige, was so eben über ihre Unfähig-
keit zu öffentlichen Amtern überhaupt bemerkt worden ist.
-- Im zweyten Fall könnte an sich wohl von einer An-
wendung der Römischen Regel die Rede seyn. Diese hätte
dann den Sinn (den auch wirklich Manche darein legen),
daß Infame nicht befugt wären, Prozeßschriften für An-
dere abzufassen: denn das ist es, was man unter der Pri-
vatadvocatur, oder dem heutigen Postuliren, zu denken
pflegt. Allein auch selbst eine so beschränkte Anwendung
würde doch höchstens dem Buchstaben, nicht dem wahren
Sinn der Römischen Regel entsprechen. Denn was nach
der Römischen Ansicht die Amtswürde verletzte, war das
willkührliche, nicht durch Verfolgung eigener Interessen

II. 15

§. 83. Infamie. Heutige Anwendbarkeit.
hieng, in der That alſo auch wieder durch ſtaatsrechtliche
Verhältniſſe bedingt war.

Nach der neueren Gerichtsverfaſſung beruht alle ge-
richtliche Vertretung Anderer theils auf der Procuratur,
theils auf der Advocatur, welche bald in denſelben Per-
ſonen vereinigt, bald getrennt erſcheinen. Beide Geſchäfte
ſind ferner (je nach dem verſchiedenen Recht einzelner Län-
der) theils an eine öffentliche Anſtellung gebunden, theils
davon unabhängig, alſo bloße Privatſache. Im erſten
Fall gehören ſie, ſo wie alle Anſtellungen, dem oͤffentli-
chen Rechte an, und ſind daher von den Beſtimmungen
des Römiſchen Rechts, nach richtigen Anſichten, ganz un-
abhängig. Insbeſondere was die Unfähigkeit der Infamen
zur Anſtellung als Gerichtsprocuratoren betrifft, ſo gilt
davon alles Dasjenige, was ſo eben über ihre Unfähig-
keit zu oͤffentlichen Amtern überhaupt bemerkt worden iſt.
— Im zweyten Fall könnte an ſich wohl von einer An-
wendung der Römiſchen Regel die Rede ſeyn. Dieſe hätte
dann den Sinn (den auch wirklich Manche darein legen),
daß Infame nicht befugt wären, Prozeßſchriften für An-
dere abzufaſſen: denn das iſt es, was man unter der Pri-
vatadvocatur, oder dem heutigen Poſtuliren, zu denken
pflegt. Allein auch ſelbſt eine ſo beſchränkte Anwendung
würde doch höchſtens dem Buchſtaben, nicht dem wahren
Sinn der Römiſchen Regel entſprechen. Denn was nach
der Römiſchen Anſicht die Amtswürde verletzte, war das
willkührliche, nicht durch Verfolgung eigener Intereſſen

II. 15
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[225/0239] §. 83. Infamie. Heutige Anwendbarkeit. hieng, in der That alſo auch wieder durch ſtaatsrechtliche Verhältniſſe bedingt war. Nach der neueren Gerichtsverfaſſung beruht alle ge- richtliche Vertretung Anderer theils auf der Procuratur, theils auf der Advocatur, welche bald in denſelben Per- ſonen vereinigt, bald getrennt erſcheinen. Beide Geſchäfte ſind ferner (je nach dem verſchiedenen Recht einzelner Län- der) theils an eine öffentliche Anſtellung gebunden, theils davon unabhängig, alſo bloße Privatſache. Im erſten Fall gehören ſie, ſo wie alle Anſtellungen, dem oͤffentli- chen Rechte an, und ſind daher von den Beſtimmungen des Römiſchen Rechts, nach richtigen Anſichten, ganz un- abhängig. Insbeſondere was die Unfähigkeit der Infamen zur Anſtellung als Gerichtsprocuratoren betrifft, ſo gilt davon alles Dasjenige, was ſo eben über ihre Unfähig- keit zu oͤffentlichen Amtern überhaupt bemerkt worden iſt. — Im zweyten Fall könnte an ſich wohl von einer An- wendung der Römiſchen Regel die Rede ſeyn. Dieſe hätte dann den Sinn (den auch wirklich Manche darein legen), daß Infame nicht befugt wären, Prozeßſchriften für An- dere abzufaſſen: denn das iſt es, was man unter der Pri- vatadvocatur, oder dem heutigen Poſtuliren, zu denken pflegt. Allein auch ſelbſt eine ſo beſchränkte Anwendung würde doch höchſtens dem Buchſtaben, nicht dem wahren Sinn der Römiſchen Regel entſprechen. Denn was nach der Römiſchen Anſicht die Amtswürde verletzte, war das willkührliche, nicht durch Verfolgung eigener Intereſſen II. 15

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/239>, abgerufen am 24.11.2024.