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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 77. Infamie. Einzelne Fälle.

Hierbey bemerken die alten Juristen, der Grund der
Infamie sey nicht etwa die verletzte Pietät gegen den Ver-
storbenen, sondern lediglich die Gefahr der sanguinis tur-
batio,
das heißt der ungewissen Paternität im Fall zwey
nahe auf einander folgender Ehen; daraus ziehen sie die
ganz consequente Folge, daß die Infamie eintrete, auch
wenn der Verstorbene aus besonderen Gründen, z. B. als
Hochverräther, nicht betrauert werde; auf der andern Seite
aber auch, daß die Niederkunft der Wittwe bald nach des
Mannes Tod (wegen der nun unmöglichen sanguinis tur-
batio)
die neue Ehe sogleich zulässig mache; imgleichen,
daß jede andere vernachlässigte Trauer, selbst gegen die
nächsten Verwandten, die Infamie nicht nach sich ziehe (z).
So steht die Sache unzweifelhaft im Justinianischen Recht:
aus dem ältern Recht aber finden sich so scheinbar wider-
sprechende Zeugnisse, daß ein sicheres Resultat nicht ohne
eine sehr ausführliche Untersuchung zu gewinnen ist (Vgl.
Beylage VII.).

Die erwähnte Trauerzeit war übrigens von jeher auf
Zehen Monate bestimmt, und kam daher ganz mit der
physiologischen Regel überein, nach welcher die Schwan-
gerschaft höchstens Zehen Monate dauern kann (Beyl. III.);
durch Gesetze der christlichen Kaiser wurde sie auf Zwölf

(3. 2.). Hier schwanken die Hand-
schriften zwischen den Lesearten Si
quis
und Si qua: die letzte wird
durch den Zusammenhang noth-
wendig. -- L. 15 C. ex quib.
caus.
(2. 12.). L. 1. 2 C. de
sec. nupt.
(5. 9.). L. 4 C. ad
Sc. Tert.
(6. 56.).
(z) L. 11 § 1. 2. 3. L. 23 de
his qui not.
(3. 2.).
§. 77. Infamie. Einzelne Fälle.

Hierbey bemerken die alten Juriſten, der Grund der
Infamie ſey nicht etwa die verletzte Pietät gegen den Ver-
ſtorbenen, ſondern lediglich die Gefahr der sanguinis tur-
batio,
das heißt der ungewiſſen Paternität im Fall zwey
nahe auf einander folgender Ehen; daraus ziehen ſie die
ganz conſequente Folge, daß die Infamie eintrete, auch
wenn der Verſtorbene aus beſonderen Gründen, z. B. als
Hochverräther, nicht betrauert werde; auf der andern Seite
aber auch, daß die Niederkunft der Wittwe bald nach des
Mannes Tod (wegen der nun unmöglichen sanguinis tur-
batio)
die neue Ehe ſogleich zuläſſig mache; imgleichen,
daß jede andere vernachläſſigte Trauer, ſelbſt gegen die
nächſten Verwandten, die Infamie nicht nach ſich ziehe (z).
So ſteht die Sache unzweifelhaft im Juſtinianiſchen Recht:
aus dem ältern Recht aber finden ſich ſo ſcheinbar wider-
ſprechende Zeugniſſe, daß ein ſicheres Reſultat nicht ohne
eine ſehr ausführliche Unterſuchung zu gewinnen iſt (Vgl.
Beylage VII.).

Die erwähnte Trauerzeit war übrigens von jeher auf
Zehen Monate beſtimmt, und kam daher ganz mit der
phyſiologiſchen Regel überein, nach welcher die Schwan-
gerſchaft höchſtens Zehen Monate dauern kann (Beyl. III.);
durch Geſetze der chriſtlichen Kaiſer wurde ſie auf Zwölf

(3. 2.). Hier ſchwanken die Hand-
ſchriften zwiſchen den Leſearten Si
quis
und Si qua: die letzte wird
durch den Zuſammenhang noth-
wendig. — L. 15 C. ex quib.
caus.
(2. 12.). L. 1. 2 C. de
sec. nupt.
(5. 9.). L. 4 C. ad
Sc. Tert.
(6. 56.).
(z) L. 11 § 1. 2. 3. L. 23 de
his qui not.
(3. 2.).
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[181/0195] §. 77. Infamie. Einzelne Fälle. Hierbey bemerken die alten Juriſten, der Grund der Infamie ſey nicht etwa die verletzte Pietät gegen den Ver- ſtorbenen, ſondern lediglich die Gefahr der sanguinis tur- batio, das heißt der ungewiſſen Paternität im Fall zwey nahe auf einander folgender Ehen; daraus ziehen ſie die ganz conſequente Folge, daß die Infamie eintrete, auch wenn der Verſtorbene aus beſonderen Gründen, z. B. als Hochverräther, nicht betrauert werde; auf der andern Seite aber auch, daß die Niederkunft der Wittwe bald nach des Mannes Tod (wegen der nun unmöglichen sanguinis tur- batio) die neue Ehe ſogleich zuläſſig mache; imgleichen, daß jede andere vernachläſſigte Trauer, ſelbſt gegen die nächſten Verwandten, die Infamie nicht nach ſich ziehe (z). So ſteht die Sache unzweifelhaft im Juſtinianiſchen Recht: aus dem ältern Recht aber finden ſich ſo ſcheinbar wider- ſprechende Zeugniſſe, daß ein ſicheres Reſultat nicht ohne eine ſehr ausführliche Unterſuchung zu gewinnen iſt (Vgl. Beylage VII.). Die erwähnte Trauerzeit war übrigens von jeher auf Zehen Monate beſtimmt, und kam daher ganz mit der phyſiologiſchen Regel überein, nach welcher die Schwan- gerſchaft höchſtens Zehen Monate dauern kann (Beyl. III.); durch Geſetze der chriſtlichen Kaiſer wurde ſie auf Zwölf (y) (z) L. 11 § 1. 2. 3. L. 23 de his qui not. (3. 2.). (y) (3. 2.). Hier ſchwanken die Hand- ſchriften zwiſchen den Leſearten Si quis und Si qua: die letzte wird durch den Zuſammenhang noth- wendig. — L. 15 C. ex quib. caus. (2. 12.). L. 1. 2 C. de sec. nupt. (5. 9.). L. 4 C. ad Sc. Tert. (6. 56.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/195>, abgerufen am 23.11.2024.