§. 75. Rechtsfähigkeit u. cap. deminutio. Heutige Anwendung.
desgleichen eine media, in dem Verlust des Bürgerrechts eines einzelnen deutschen Staats, oder auch des allgemei- nen deutschen Bürgerrechts. Er fügt aber hinzu, die Rö- mischen Rechtssätze könnten darauf nicht angewendet wer- den. Gerade davon aber ist hier allein die Rede, und insbesondere von der aufgehobenen oder verminderten Rechtsfähigkeit im Römischen Sinn. Daß zu allen Zeiten mancherley Veränderungen in dem Zustand der Menschen vorkommen, wird Niemand bezweifeln; will man aber diese als capitis deminutiones behandeln und bezeichnen, so kann das nur zu einem leeren, verwirrenden Spiel mit Wor- ten führen.
So verhält es sich nun insbesondere auch mit dem bürgerlichen Tod; unsre Schriftsteller geben wohl den Rö- mischen Begriff an (b), aber nicht um damit eine prakti- sche Anwendung desselben zu behaupten. Anders hat sich die Sache seit langer Zeit in Frankreich gestaltet, und ob- gleich dieser Gegenstand nicht in den Gränzen unsrer Auf- gabe liegt, so will ich ihn dennoch anhangsweise darstel- len, weil er ein warnendes Beyspiel darbietet, wie weit die ungeschickte Anwendung misverstandener historischer Rechtsbegriffe führen kann.
Domat spricht von der mort civile in wenigen Zei- len, die ihm jedoch zu zwey großen Irrthümern Raum lassen: Mort civile, sagt er, war der Zustand des zum Tod oder zu irgend einer Strafe mit Vermögensconfisca-
(b) So z. B. Mühlenbruch T. 1 § 184.
§. 75. Rechtsfähigkeit u. cap. deminutio. Heutige Anwendung.
desgleichen eine media, in dem Verluſt des Bürgerrechts eines einzelnen deutſchen Staats, oder auch des allgemei- nen deutſchen Bürgerrechts. Er fügt aber hinzu, die Rö- miſchen Rechtsſätze könnten darauf nicht angewendet wer- den. Gerade davon aber iſt hier allein die Rede, und insbeſondere von der aufgehobenen oder verminderten Rechtsfähigkeit im Römiſchen Sinn. Daß zu allen Zeiten mancherley Veränderungen in dem Zuſtand der Menſchen vorkommen, wird Niemand bezweifeln; will man aber dieſe als capitis deminutiones behandeln und bezeichnen, ſo kann das nur zu einem leeren, verwirrenden Spiel mit Wor- ten führen.
So verhält es ſich nun insbeſondere auch mit dem bürgerlichen Tod; unſre Schriftſteller geben wohl den Rö- miſchen Begriff an (b), aber nicht um damit eine prakti- ſche Anwendung deſſelben zu behaupten. Anders hat ſich die Sache ſeit langer Zeit in Frankreich geſtaltet, und ob- gleich dieſer Gegenſtand nicht in den Gränzen unſrer Auf- gabe liegt, ſo will ich ihn dennoch anhangsweiſe darſtel- len, weil er ein warnendes Beyſpiel darbietet, wie weit die ungeſchickte Anwendung misverſtandener hiſtoriſcher Rechtsbegriffe führen kann.
Domat ſpricht von der mort civile in wenigen Zei- len, die ihm jedoch zu zwey großen Irrthümern Raum laſſen: Mort civile, ſagt er, war der Zuſtand des zum Tod oder zu irgend einer Strafe mit Vermögensconfisca-
(b) So z. B. Mühlenbruch T. 1 § 184.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0165"n="151"/><fwplace="top"type="header">§. 75. Rechtsfähigkeit u. <hirendition="#aq">cap. deminutio.</hi> Heutige Anwendung.</fw><lb/>
desgleichen eine <hirendition="#aq">media,</hi> in dem Verluſt des Bürgerrechts<lb/>
eines einzelnen deutſchen Staats, oder auch des allgemei-<lb/>
nen deutſchen Bürgerrechts. Er fügt aber hinzu, die Rö-<lb/>
miſchen Rechtsſätze könnten darauf nicht angewendet wer-<lb/>
den. Gerade davon aber iſt hier allein die Rede, und<lb/>
insbeſondere von der aufgehobenen oder verminderten<lb/>
Rechtsfähigkeit im Römiſchen Sinn. Daß zu allen Zeiten<lb/>
mancherley Veränderungen in dem Zuſtand der Menſchen<lb/>
vorkommen, wird Niemand bezweifeln; will man aber dieſe<lb/>
als <hirendition="#aq">capitis deminutiones</hi> behandeln und bezeichnen, ſo kann<lb/>
das nur zu einem leeren, verwirrenden Spiel mit Wor-<lb/>
ten führen.</p><lb/><p>So verhält es ſich nun insbeſondere auch mit dem<lb/>
bürgerlichen Tod; unſre Schriftſteller geben wohl den Rö-<lb/>
miſchen Begriff an <noteplace="foot"n="(b)">So z. B. <hirendition="#aq"><hirendition="#k">Mühlenbruch</hi> T.</hi> 1 § 184.</note>, aber nicht um damit eine prakti-<lb/>ſche Anwendung deſſelben zu behaupten. Anders hat ſich<lb/>
die Sache ſeit langer Zeit in Frankreich geſtaltet, und ob-<lb/>
gleich dieſer Gegenſtand nicht in den Gränzen unſrer Auf-<lb/>
gabe liegt, ſo will ich ihn dennoch anhangsweiſe darſtel-<lb/>
len, weil er ein warnendes Beyſpiel darbietet, wie weit<lb/>
die ungeſchickte Anwendung misverſtandener hiſtoriſcher<lb/>
Rechtsbegriffe führen kann.</p><lb/><p><hirendition="#g">Domat</hi>ſpricht von der <hirendition="#aq">mort civile</hi> in wenigen Zei-<lb/>
len, die ihm jedoch zu zwey großen Irrthümern Raum<lb/>
laſſen: <hirendition="#aq">Mort civile,</hi>ſagt er, war der Zuſtand des zum<lb/>
Tod oder zu irgend einer Strafe mit Vermögensconfisca-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[151/0165]
§. 75. Rechtsfähigkeit u. cap. deminutio. Heutige Anwendung.
desgleichen eine media, in dem Verluſt des Bürgerrechts
eines einzelnen deutſchen Staats, oder auch des allgemei-
nen deutſchen Bürgerrechts. Er fügt aber hinzu, die Rö-
miſchen Rechtsſätze könnten darauf nicht angewendet wer-
den. Gerade davon aber iſt hier allein die Rede, und
insbeſondere von der aufgehobenen oder verminderten
Rechtsfähigkeit im Römiſchen Sinn. Daß zu allen Zeiten
mancherley Veränderungen in dem Zuſtand der Menſchen
vorkommen, wird Niemand bezweifeln; will man aber dieſe
als capitis deminutiones behandeln und bezeichnen, ſo kann
das nur zu einem leeren, verwirrenden Spiel mit Wor-
ten führen.
So verhält es ſich nun insbeſondere auch mit dem
bürgerlichen Tod; unſre Schriftſteller geben wohl den Rö-
miſchen Begriff an (b), aber nicht um damit eine prakti-
ſche Anwendung deſſelben zu behaupten. Anders hat ſich
die Sache ſeit langer Zeit in Frankreich geſtaltet, und ob-
gleich dieſer Gegenſtand nicht in den Gränzen unſrer Auf-
gabe liegt, ſo will ich ihn dennoch anhangsweiſe darſtel-
len, weil er ein warnendes Beyſpiel darbietet, wie weit
die ungeſchickte Anwendung misverſtandener hiſtoriſcher
Rechtsbegriffe führen kann.
Domat ſpricht von der mort civile in wenigen Zei-
len, die ihm jedoch zu zwey großen Irrthümern Raum
laſſen: Mort civile, ſagt er, war der Zuſtand des zum
Tod oder zu irgend einer Strafe mit Vermögensconfisca-
(b) So z. B. Mühlenbruch T. 1 § 184.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/165>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.