Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.§. 71. Anomalische Rechte. Allgemeine Natur. der Formel war dazu bestimmt, die ungewöhnliche Frey-heit des richterlichen Ermessens, wodurch sich solche Kla- gen vor den regelmäßigen bonae fidei actiones auszeich- neten, auszudrücken (g). Wenn also eine Klage im Rö- mischen Recht geradezu als in bonum et aequum concepta bezeichnet wird, so ist es unzweifelhaft, daß ihr die hier dargestellte Anomalie zukommt. Allein nicht immer beob- achten die alten Juristen diesen genauen Sprachgebrauch (h); nicht selten gebrauchen sie in derselben Bedeutung auch den allgemeineren, unbestimmteren Ausdruck: ex bono et ae- quo est oder oritur (i), und da dessen Zweydeutigkeit schon in folgenden Edictstellen: L. 1 pr. de his qui effud. (9. 3.). L. 42 de aed. ed. (21. 1.). L. 3 pr. de sepulchro viol. (47. 12.). (g) Es ist also kein Wider- spruch, wenn die actio rei uxo- riae, die (wegen der Worte ae- quius melius) in bonum et ae- quum concepta war, doch auch unter die b. f. actiones gezählt wird (§ 29 J. de act. 4. 6). Denn es sollte in ihr alles Das gelten, was für die b. f. actiones über- haupt Regel war, und nur noch eine ausgedehntere Freyheit des richterlichen Ermessens daneben. (h) Die Benennung actio in bonum et aequum concepta kommt nur bey zwey Klagen vor: 1) der actio rei uxoriae. L. 8 de cap. min. (4. 5). 2) der a. se- pulchri violati. L. 10 de sepul- chro viol. (47. 12.). -- Daß nun jede Klage, welche diesen Cha- racter an sich trug, stets zugleich auch von der Einwirkung der ca- pitis deminutio frey war, sagt ausdrücklich L. 8 de cap. min. (4. 5.), s. u. § 72 Note y. (i) Dahin gehört: 1) die In-
jurienklage. L. 11 § 1 de injur. (47. 10.), und bey dieser ist es aus mehreren Anspielungen un- zweifelhaft, daß die Worte bonum aequum in ihrer Formel vorka- men. L. 18 pr. eod. L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.). -- 2) Die actio de effusis. L. 5 §. 5 de his qui effud. (9. 3.), und bey dieser wissen wir unmittelbar aus der Edictstelle, daß jene entschei- denden Worte in der Formel standen. L. 1 pr. eod. -- Sehr merkwürdig ist in dieser Hinsicht die funeraria actio. Sie ent- steht nicht nur ex bono et ae- quo, sondern der Judex hat in ihr auch ein überaus freyes Er- messen. (L. 14 § 6 de relig. 11. 7.); dennoch ist sie eine gewöhn- §. 71. Anomaliſche Rechte. Allgemeine Natur. der Formel war dazu beſtimmt, die ungewöhnliche Frey-heit des richterlichen Ermeſſens, wodurch ſich ſolche Kla- gen vor den regelmäßigen bonae fidei actiones auszeich- neten, auszudrücken (g). Wenn alſo eine Klage im Rö- miſchen Recht geradezu als in bonum et aequum concepta bezeichnet wird, ſo iſt es unzweifelhaft, daß ihr die hier dargeſtellte Anomalie zukommt. Allein nicht immer beob- achten die alten Juriſten dieſen genauen Sprachgebrauch (h); nicht ſelten gebrauchen ſie in derſelben Bedeutung auch den allgemeineren, unbeſtimmteren Ausdruck: ex bono et ae- quo est oder oritur (i), und da deſſen Zweydeutigkeit ſchon in folgenden Edictſtellen: L. 1 pr. de his qui effud. (9. 3.). L. 42 de aed. ed. (21. 1.). L. 3 pr. de sepulchro viol. (47. 12.). (g) Es iſt alſo kein Wider- ſpruch, wenn die actio rei uxo- riae, die (wegen der Worte ae- quius melius) in bonum et ae- quum concepta war, doch auch unter die b. f. actiones gezählt wird (§ 29 J. de act. 4. 6). Denn es ſollte in ihr alles Das gelten, was für die b. f. actiones über- haupt Regel war, und nur noch eine ausgedehntere Freyheit des richterlichen Ermeſſens daneben. (h) Die Benennung actio in bonum et aequum concepta kommt nur bey zwey Klagen vor: 1) der actio rei uxoriae. L. 8 de cap. min. (4. 5). 2) der a. se- pulchri violati. L. 10 de sepul- chro viol. (47. 12.). — Daß nun jede Klage, welche dieſen Cha- racter an ſich trug, ſtets zugleich auch von der Einwirkung der ca- pitis deminutio frey war, ſagt ausdrücklich L. 8 de cap. min. (4. 5.), ſ. u. § 72 Note y. (i) Dahin gehört: 1) die In-
jurienklage. L. 11 § 1 de injur. (47. 10.), und bey dieſer iſt es aus mehreren Anſpielungen un- zweifelhaft, daß die Worte bonum aequum in ihrer Formel vorka- men. L. 18 pr. eod. L. 34 pr. de O. et A. (44. 7.). — 2) Die actio de effusis. L. 5 §. 5 de his qui effud. (9. 3.), und bey dieſer wiſſen wir unmittelbar aus der Edictſtelle, daß jene entſchei- denden Worte in der Formel ſtanden. L. 1 pr. eod. — Sehr merkwürdig iſt in dieſer Hinſicht die funeraria actio. Sie ent- ſteht nicht nur ex bono et ae- quo, ſondern der Judex hat in ihr auch ein überaus freyes Er- meſſen. (L. 14 § 6 de relig. 11. 7.); dennoch iſt ſie eine gewöhn- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0109" n="95"/><fw place="top" type="header">§. 71. Anomaliſche Rechte. Allgemeine Natur.</fw><lb/> der Formel war dazu beſtimmt, die ungewöhnliche Frey-<lb/> heit des richterlichen Ermeſſens, wodurch ſich ſolche Kla-<lb/> gen vor den regelmäßigen <hi rendition="#aq">bonae fidei actiones</hi> auszeich-<lb/> neten, auszudrücken <note place="foot" n="(g)">Es iſt alſo kein Wider-<lb/> ſpruch, wenn die <hi rendition="#aq">actio rei uxo-<lb/> riae,</hi> die (wegen der Worte <hi rendition="#aq">ae-<lb/> quius melius) in bonum et ae-<lb/> quum concepta</hi> war, doch auch<lb/> unter die <hi rendition="#aq">b. f. actiones</hi> gezählt<lb/> wird (§ 29 <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">J. de act.</hi></hi> 4. 6). Denn<lb/> es ſollte in ihr alles Das gelten,<lb/> was für die <hi rendition="#aq">b. f. actiones</hi> über-<lb/> haupt Regel war, und nur noch<lb/> eine ausgedehntere Freyheit des<lb/> richterlichen Ermeſſens daneben.</note>. Wenn alſo eine Klage im Rö-<lb/> miſchen Recht geradezu als <hi rendition="#aq">in bonum et aequum <hi rendition="#i">concepta</hi></hi><lb/> bezeichnet wird, ſo iſt es unzweifelhaft, daß ihr die hier<lb/> dargeſtellte Anomalie zukommt. Allein nicht immer beob-<lb/> achten die alten Juriſten dieſen genauen Sprachgebrauch <note place="foot" n="(h)">Die Benennung <hi rendition="#aq">actio in<lb/> bonum et aequum <hi rendition="#i">concepta</hi></hi><lb/> kommt nur bey zwey Klagen vor:<lb/> 1) der <hi rendition="#aq">actio rei uxoriae. <hi rendition="#i">L.</hi> 8<lb/><hi rendition="#i">de cap. min.</hi></hi> (4. 5). 2) der <hi rendition="#aq">a. se-<lb/> pulchri violati. <hi rendition="#i">L.</hi> 10 <hi rendition="#i">de sepul-<lb/> chro viol.</hi></hi> (47. 12.). — Daß nun<lb/> jede Klage, welche dieſen Cha-<lb/> racter an ſich trug, ſtets zugleich<lb/> auch von der Einwirkung der <hi rendition="#aq">ca-<lb/> pitis deminutio</hi> frey war, ſagt<lb/> ausdrücklich <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 8 <hi rendition="#i">de cap. min.</hi></hi><lb/> (4. 5.), ſ. u. § 72 Note <hi rendition="#aq">y.</hi></note>;<lb/> nicht ſelten gebrauchen ſie in derſelben Bedeutung auch den<lb/> allgemeineren, unbeſtimmteren Ausdruck: <hi rendition="#aq">ex bono et ae-<lb/> quo <hi rendition="#i">est</hi></hi> oder <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">oritur</hi></hi> <note xml:id="seg2pn_19_1" next="#seg2pn_19_2" place="foot" n="(i)">Dahin gehört: 1) die In-<lb/> jurienklage. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 11 § 1 <hi rendition="#i">de injur.</hi></hi><lb/> (47. 10.), und bey dieſer iſt es<lb/> aus mehreren Anſpielungen un-<lb/> zweifelhaft, daß die Worte <hi rendition="#aq">bonum<lb/> aequum</hi> in ihrer Formel vorka-<lb/> men. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 18 <hi rendition="#i">pr. eod. L.</hi> 34 <hi rendition="#i">pr.<lb/> de O. et A.</hi></hi> (44. 7.). — 2) Die<lb/><hi rendition="#aq">actio de effusis. <hi rendition="#i">L.</hi> 5 §. 5 <hi rendition="#i">de<lb/> his qui effud.</hi></hi> (9. 3.), und bey<lb/> dieſer wiſſen wir unmittelbar aus<lb/> der Edictſtelle, daß jene entſchei-<lb/> denden Worte in der Formel<lb/> ſtanden. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 1 <hi rendition="#i">pr. eod.</hi></hi> — Sehr<lb/> merkwürdig iſt in dieſer Hinſicht<lb/> die <hi rendition="#aq">funeraria actio.</hi> Sie <hi rendition="#g">ent-<lb/> ſteht</hi> nicht nur <hi rendition="#aq">ex bono et ae-<lb/> quo,</hi> ſondern der Judex hat in<lb/> ihr auch ein überaus freyes Er-<lb/> meſſen. (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 14 § 6 <hi rendition="#i">de relig.</hi></hi> 11.<lb/> 7.); dennoch iſt ſie eine gewöhn-</note>, und da deſſen Zweydeutigkeit ſchon<lb/><note xml:id="seg2pn_18_2" prev="#seg2pn_18_1" place="foot" n="(f)">in folgenden Edictſtellen: <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">L.</hi> 1 <hi rendition="#i">pr.<lb/> de his qui effud.</hi> (9. 3.). <hi rendition="#i">L.</hi> 42<lb/><hi rendition="#i">de aed. ed.</hi> (21. 1.). <hi rendition="#i">L.</hi> 3 <hi rendition="#i">pr.<lb/> de sepulchro viol.</hi></hi> (47. 12.).</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0109]
§. 71. Anomaliſche Rechte. Allgemeine Natur.
der Formel war dazu beſtimmt, die ungewöhnliche Frey-
heit des richterlichen Ermeſſens, wodurch ſich ſolche Kla-
gen vor den regelmäßigen bonae fidei actiones auszeich-
neten, auszudrücken (g). Wenn alſo eine Klage im Rö-
miſchen Recht geradezu als in bonum et aequum concepta
bezeichnet wird, ſo iſt es unzweifelhaft, daß ihr die hier
dargeſtellte Anomalie zukommt. Allein nicht immer beob-
achten die alten Juriſten dieſen genauen Sprachgebrauch (h);
nicht ſelten gebrauchen ſie in derſelben Bedeutung auch den
allgemeineren, unbeſtimmteren Ausdruck: ex bono et ae-
quo est oder oritur (i), und da deſſen Zweydeutigkeit ſchon
(f)
(g) Es iſt alſo kein Wider-
ſpruch, wenn die actio rei uxo-
riae, die (wegen der Worte ae-
quius melius) in bonum et ae-
quum concepta war, doch auch
unter die b. f. actiones gezählt
wird (§ 29 J. de act. 4. 6). Denn
es ſollte in ihr alles Das gelten,
was für die b. f. actiones über-
haupt Regel war, und nur noch
eine ausgedehntere Freyheit des
richterlichen Ermeſſens daneben.
(h) Die Benennung actio in
bonum et aequum concepta
kommt nur bey zwey Klagen vor:
1) der actio rei uxoriae. L. 8
de cap. min. (4. 5). 2) der a. se-
pulchri violati. L. 10 de sepul-
chro viol. (47. 12.). — Daß nun
jede Klage, welche dieſen Cha-
racter an ſich trug, ſtets zugleich
auch von der Einwirkung der ca-
pitis deminutio frey war, ſagt
ausdrücklich L. 8 de cap. min.
(4. 5.), ſ. u. § 72 Note y.
(i) Dahin gehört: 1) die In-
jurienklage. L. 11 § 1 de injur.
(47. 10.), und bey dieſer iſt es
aus mehreren Anſpielungen un-
zweifelhaft, daß die Worte bonum
aequum in ihrer Formel vorka-
men. L. 18 pr. eod. L. 34 pr.
de O. et A. (44. 7.). — 2) Die
actio de effusis. L. 5 §. 5 de
his qui effud. (9. 3.), und bey
dieſer wiſſen wir unmittelbar aus
der Edictſtelle, daß jene entſchei-
denden Worte in der Formel
ſtanden. L. 1 pr. eod. — Sehr
merkwürdig iſt in dieſer Hinſicht
die funeraria actio. Sie ent-
ſteht nicht nur ex bono et ae-
quo, ſondern der Judex hat in
ihr auch ein überaus freyes Er-
meſſen. (L. 14 § 6 de relig. 11.
7.); dennoch iſt ſie eine gewöhn-
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