unübersteigliche Hindernisse in den Weg gestellt. Im Wi- derspruch mit dieser Ansicht also müssen wir wiederholt behaupten, daß der Staat ursprünglich und naturgemäß in einem Volk, durch das Volk, und für das Volk entsteht.
Ferner ist es eine höchst verbreitete Ansicht, nach wel- cher die Staaten durch Willkühr der Einzelnen, also durch Vertrag, entstanden seyn sollen, welche Ansicht in ihrer Entwicklung auf eben so verderbliche als verkehrte Folgen geführt hat. Man nimmt dabei an, die Einzelnen, die es eben vortheilhaft fanden, gerade diesen Staat zu grün- den, hätten eben so gut ganz ohne Staat bleiben, oder sich so oder anders zu einem Staat mischen oder begränzen, oder endlich jede andere Verfassung wählen können. Da- bey wird also nicht nur abermals die in dem Volk enthal- tene Natureinheit, so wie die innere Nothwendigkeit über- sehen, sondern vorzüglich auch der Umstand, daß wo nur irgend eine solche Ueberlegung möglich ist, unfehlbar schon ein wirklicher Staat, als Thatsache und als Recht, be- steht, so daß niemals, wie Jene wollen, von der willkühr- lichen Erfindung des Staats, sondern höchstens von dessen Zerstörung die Rede seyn kann. Zwey Mißverständnisse haben diesen Irrthum besonders befördert. Zuvörderst die Wahrnehmung der großen Mannichfaltigkeit in der Staa- tenbildung, das heißt des historischen und individuellen Ele- ments der Staaten, welches man mit der freyen Wahl und Willkühr der Einzelnen verwechselt hat. Dann auch
§. 10. Abweichende Meynungen über den Staat.
unüberſteigliche Hinderniſſe in den Weg geſtellt. Im Wi- derſpruch mit dieſer Anſicht alſo müſſen wir wiederholt behaupten, daß der Staat urſprünglich und naturgemäß in einem Volk, durch das Volk, und für das Volk entſteht.
Ferner iſt es eine höchſt verbreitete Anſicht, nach wel- cher die Staaten durch Willkühr der Einzelnen, alſo durch Vertrag, entſtanden ſeyn ſollen, welche Anſicht in ihrer Entwicklung auf eben ſo verderbliche als verkehrte Folgen geführt hat. Man nimmt dabei an, die Einzelnen, die es eben vortheilhaft fanden, gerade dieſen Staat zu grün- den, hätten eben ſo gut ganz ohne Staat bleiben, oder ſich ſo oder anders zu einem Staat miſchen oder begränzen, oder endlich jede andere Verfaſſung wählen können. Da- bey wird alſo nicht nur abermals die in dem Volk enthal- tene Natureinheit, ſo wie die innere Nothwendigkeit über- ſehen, ſondern vorzüglich auch der Umſtand, daß wo nur irgend eine ſolche Ueberlegung möglich iſt, unfehlbar ſchon ein wirklicher Staat, als Thatſache und als Recht, be- ſteht, ſo daß niemals, wie Jene wollen, von der willkühr- lichen Erfindung des Staats, ſondern höchſtens von deſſen Zerſtörung die Rede ſeyn kann. Zwey Mißverſtändniſſe haben dieſen Irrthum beſonders befördert. Zuvörderſt die Wahrnehmung der großen Mannichfaltigkeit in der Staa- tenbildung, das heißt des hiſtoriſchen und individuellen Ele- ments der Staaten, welches man mit der freyen Wahl und Willkühr der Einzelnen verwechſelt hat. Dann auch
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§. 10. Abweichende Meynungen über den Staat.
unüberſteigliche Hinderniſſe in den Weg geſtellt. Im Wi-
derſpruch mit dieſer Anſicht alſo müſſen wir wiederholt
behaupten, daß der Staat urſprünglich und naturgemäß
in einem Volk, durch das Volk, und für das Volk
entſteht.
Ferner iſt es eine höchſt verbreitete Anſicht, nach wel-
cher die Staaten durch Willkühr der Einzelnen, alſo durch
Vertrag, entſtanden ſeyn ſollen, welche Anſicht in ihrer
Entwicklung auf eben ſo verderbliche als verkehrte Folgen
geführt hat. Man nimmt dabei an, die Einzelnen, die es
eben vortheilhaft fanden, gerade dieſen Staat zu grün-
den, hätten eben ſo gut ganz ohne Staat bleiben, oder
ſich ſo oder anders zu einem Staat miſchen oder begränzen,
oder endlich jede andere Verfaſſung wählen können. Da-
bey wird alſo nicht nur abermals die in dem Volk enthal-
tene Natureinheit, ſo wie die innere Nothwendigkeit über-
ſehen, ſondern vorzüglich auch der Umſtand, daß wo nur
irgend eine ſolche Ueberlegung möglich iſt, unfehlbar ſchon
ein wirklicher Staat, als Thatſache und als Recht, be-
ſteht, ſo daß niemals, wie Jene wollen, von der willkühr-
lichen Erfindung des Staats, ſondern höchſtens von deſſen
Zerſtörung die Rede ſeyn kann. Zwey Mißverſtändniſſe
haben dieſen Irrthum beſonders befördert. Zuvörderſt die
Wahrnehmung der großen Mannichfaltigkeit in der Staa-
tenbildung, das heißt des hiſtoriſchen und individuellen Ele-
ments der Staaten, welches man mit der freyen Wahl
und Willkühr der Einzelnen verwechſelt hat. Dann auch
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/85>, abgerufen am 24.11.2024.
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