Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. selbe dem Einzelnen, der in seinem Recht verletzt wird,Schutz zu gewähren gegen diese Verletzung; die Regeln, unter welchen diese Thätigkeit steht, nennen wir den Ci- vilprozeß. Zweytens hat er das verletzte Recht an sich zu vertreten und wiederherzustellen, ohne Rücksicht auf das individuelle Interesse. Dieses geschieht durch die Strafe, durch welche der menschliche Wille, im beschränkteren Ge- biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal- tende Gesetz sittlicher Vergeltung nachbildet (b). Die Re- geln, unter welchen diese Thätigkeit steht, nennen wir das Criminalrecht, von welchem der Criminalprozeß nur einen Theil bildet (c). Civilprozeß, Criminalrecht und Criminalprozeß, sind demnach Theile des Staatsrechts, und wurden bey den Römern auch so angesehen. Daß uns in neueren Zeiten diese Auffassung fremder geworden ist, hat seinen Grund in folgenden Umständen. Die Hand- habung des Criminalrechts ist oft an dieselben Richterbe- hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewiesen wor- (b) Insoweit kann man sagen, daß die allgemeine sittliche Ord- nung der Vergeltung, in einer beschränkten Weise, die Natur einer Rechtsanstalt annimmt, und als solche vom Staate in Aus- führung zu bringen ist. Vergl. Hegel Naturrecht §. 102. 103. 220. Klenze Lehrbuch des Straf- rechts S. X -- XVII. (c) Es hängt von dem positi-
ven Recht eines jeden Staates ab, wie weit der Staat dieses Recht unmittelbar ausüben, oder die Ausübung desselben den ver- letzten Einzelnen, noch neben der Verfolgung ihrer eigenen Rechte, überlassen will. Diese letzte Be- handlung liegt den Römischen Privatstrafen zum Grunde. Eine vollständigere Ausbildung der Staatsgewalt wird überall dahin führen, diesen letzten Weg zu verlassen. Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen. ſelbe dem Einzelnen, der in ſeinem Recht verletzt wird,Schutz zu gewähren gegen dieſe Verletzung; die Regeln, unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir den Ci- vilprozeß. Zweytens hat er das verletzte Recht an ſich zu vertreten und wiederherzuſtellen, ohne Rückſicht auf das individuelle Intereſſe. Dieſes geſchieht durch die Strafe, durch welche der menſchliche Wille, im beſchränkteren Ge- biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal- tende Geſetz ſittlicher Vergeltung nachbildet (b). Die Re- geln, unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir das Criminalrecht, von welchem der Criminalprozeß nur einen Theil bildet (c). Civilprozeß, Criminalrecht und Criminalprozeß, ſind demnach Theile des Staatsrechts, und wurden bey den Römern auch ſo angeſehen. Daß uns in neueren Zeiten dieſe Auffaſſung fremder geworden iſt, hat ſeinen Grund in folgenden Umſtänden. Die Hand- habung des Criminalrechts iſt oft an dieſelben Richterbe- hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewieſen wor- (b) Inſoweit kann man ſagen, daß die allgemeine ſittliche Ord- nung der Vergeltung, in einer beſchränkten Weiſe, die Natur einer Rechtsanſtalt annimmt, und als ſolche vom Staate in Aus- führung zu bringen iſt. Vergl. Hegel Naturrecht §. 102. 103. 220. Klenze Lehrbuch des Straf- rechts S. X — XVII. (c) Es hängt von dem poſiti-
ven Recht eines jeden Staates ab, wie weit der Staat dieſes Recht unmittelbar ausüben, oder die Ausübung deſſelben den ver- letzten Einzelnen, noch neben der Verfolgung ihrer eigenen Rechte, überlaſſen will. Dieſe letzte Be- handlung liegt den Römiſchen Privatſtrafen zum Grunde. Eine vollſtändigere Ausbildung der Staatsgewalt wird überall dahin führen, dieſen letzten Weg zu verlaſſen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0082" n="26"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">II.</hi> Allg. Natur der Quellen.</fw><lb/> ſelbe dem Einzelnen, der in ſeinem Recht verletzt wird,<lb/> Schutz zu gewähren gegen dieſe Verletzung; die Regeln,<lb/> unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir den <hi rendition="#g">Ci-<lb/> vilprozeß</hi>. Zweytens hat er das verletzte Recht an ſich<lb/> zu vertreten und wiederherzuſtellen, ohne Rückſicht auf das<lb/> individuelle Intereſſe. Dieſes geſchieht durch die Strafe,<lb/> durch welche der menſchliche Wille, im beſchränkteren Ge-<lb/> biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal-<lb/> tende Geſetz ſittlicher Vergeltung nachbildet <note place="foot" n="(b)">Inſoweit kann man ſagen,<lb/> daß die allgemeine ſittliche Ord-<lb/> nung der Vergeltung, in einer<lb/> beſchränkten Weiſe, die Natur<lb/> einer Rechtsanſtalt annimmt, und<lb/> als ſolche vom Staate in Aus-<lb/> führung zu bringen iſt. Vergl.<lb/><hi rendition="#g">Hegel</hi> Naturrecht §. 102. 103.<lb/> 220. <hi rendition="#g">Klenze</hi> Lehrbuch des Straf-<lb/> rechts S. <hi rendition="#aq">X — XVII.</hi></note>. Die Re-<lb/> geln, unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir das<lb/><hi rendition="#g">Criminalrecht</hi>, von welchem der Criminalprozeß nur<lb/> einen Theil bildet <note place="foot" n="(c)">Es hängt von dem poſiti-<lb/> ven Recht eines jeden Staates<lb/> ab, wie weit der Staat dieſes<lb/> Recht unmittelbar ausüben, oder<lb/> die Ausübung deſſelben den ver-<lb/> letzten Einzelnen, noch neben der<lb/> Verfolgung ihrer eigenen Rechte,<lb/> überlaſſen will. Dieſe letzte Be-<lb/> handlung liegt den Römiſchen<lb/> Privatſtrafen zum Grunde. Eine<lb/> vollſtändigere Ausbildung der<lb/> Staatsgewalt wird überall dahin<lb/> führen, dieſen letzten Weg zu<lb/> verlaſſen.</note>. Civilprozeß, Criminalrecht und<lb/> Criminalprozeß, ſind demnach Theile des Staatsrechts,<lb/> und wurden bey den Römern auch ſo angeſehen. Daß<lb/> uns in neueren Zeiten dieſe Auffaſſung fremder geworden<lb/> iſt, hat ſeinen Grund in folgenden Umſtänden. Die Hand-<lb/> habung des Criminalrechts iſt oft an dieſelben Richterbe-<lb/> hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewieſen wor-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0082]
Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
ſelbe dem Einzelnen, der in ſeinem Recht verletzt wird,
Schutz zu gewähren gegen dieſe Verletzung; die Regeln,
unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir den Ci-
vilprozeß. Zweytens hat er das verletzte Recht an ſich
zu vertreten und wiederherzuſtellen, ohne Rückſicht auf das
individuelle Intereſſe. Dieſes geſchieht durch die Strafe,
durch welche der menſchliche Wille, im beſchränkteren Ge-
biet des Rechts, das in der höheren Weltordnung wal-
tende Geſetz ſittlicher Vergeltung nachbildet (b). Die Re-
geln, unter welchen dieſe Thätigkeit ſteht, nennen wir das
Criminalrecht, von welchem der Criminalprozeß nur
einen Theil bildet (c). Civilprozeß, Criminalrecht und
Criminalprozeß, ſind demnach Theile des Staatsrechts,
und wurden bey den Römern auch ſo angeſehen. Daß
uns in neueren Zeiten dieſe Auffaſſung fremder geworden
iſt, hat ſeinen Grund in folgenden Umſtänden. Die Hand-
habung des Criminalrechts iſt oft an dieſelben Richterbe-
hörden, wie der Schutz des Privatrechts, gewieſen wor-
(b) Inſoweit kann man ſagen,
daß die allgemeine ſittliche Ord-
nung der Vergeltung, in einer
beſchränkten Weiſe, die Natur
einer Rechtsanſtalt annimmt, und
als ſolche vom Staate in Aus-
führung zu bringen iſt. Vergl.
Hegel Naturrecht §. 102. 103.
220. Klenze Lehrbuch des Straf-
rechts S. X — XVII.
(c) Es hängt von dem poſiti-
ven Recht eines jeden Staates
ab, wie weit der Staat dieſes
Recht unmittelbar ausüben, oder
die Ausübung deſſelben den ver-
letzten Einzelnen, noch neben der
Verfolgung ihrer eigenen Rechte,
überlaſſen will. Dieſe letzte Be-
handlung liegt den Römiſchen
Privatſtrafen zum Grunde. Eine
vollſtändigere Ausbildung der
Staatsgewalt wird überall dahin
führen, dieſen letzten Weg zu
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