Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Beylage II. befestigt ist." Hier ist also dem Richter die Beurtheilungeines vernunftmäßigen Inhalts der Gewohnheit überlassen, jedoch nicht für alle Fälle überhaupt, sondern nur wenn die Gewohnheit ein Gesetz abändern soll. Diese vom Rö- mischen Recht abweichende, auch an sich bedenkliche Be- stimmung ist offenbar aus dem Bestreben hervorgegangen, die verschiedenen Meynungen die sich aus Veranlassung unsrer Stelle unter den Juristen gebildet hatten, durch eine Art von mittlerem Durchschnitt zu vereinigen. -- Hier war die Rede von dem Verhältniß der neuen Ge- wohnheit zu einem älteren Gesetz: ähnlich ist folgende Vorschrift über das umgekehrte Verhältniß (r). Wenn der Pabst ein allgemeines Gesetz giebt, so sollen dadurch frü- here örtliche Gewohnheiten oder Statute nicht aufgehoben seyn, vorausgesetzt, daß sie vernunftmäßig befunden wer- den, und daß ihre Aufhebung in jenem Gesetz nicht beson- ders ausgesprochen ist. Eben so merkwürdig ist die förmliche Parodie unsrer (r) C. 1 de constitut. in VI.
(1. 2.): ".. ipsis, dum tamen sint rationabilia, per consti- tutionem a se noviter editam, nisi expresse caveatur in ipsa, non intelligitur in aliquo de- rogare." Beylage II. befeſtigt iſt.“ Hier iſt alſo dem Richter die Beurtheilungeines vernunftmäßigen Inhalts der Gewohnheit überlaſſen, jedoch nicht für alle Fälle überhaupt, ſondern nur wenn die Gewohnheit ein Geſetz abändern ſoll. Dieſe vom Rö- miſchen Recht abweichende, auch an ſich bedenkliche Be- ſtimmung iſt offenbar aus dem Beſtreben hervorgegangen, die verſchiedenen Meynungen die ſich aus Veranlaſſung unſrer Stelle unter den Juriſten gebildet hatten, durch eine Art von mittlerem Durchſchnitt zu vereinigen. — Hier war die Rede von dem Verhältniß der neuen Ge- wohnheit zu einem älteren Geſetz: ähnlich iſt folgende Vorſchrift über das umgekehrte Verhältniß (r). Wenn der Pabſt ein allgemeines Geſetz giebt, ſo ſollen dadurch frü- here örtliche Gewohnheiten oder Statute nicht aufgehoben ſeyn, vorausgeſetzt, daß ſie vernunftmäßig befunden wer- den, und daß ihre Aufhebung in jenem Geſetz nicht beſon- ders ausgeſprochen iſt. Eben ſo merkwürdig iſt die förmliche Parodie unſrer (r) C. 1 de constitut. in VI.
(1. 2.): „.. ipsis, dum tamen sint rationabilia, per consti- tutionem a se noviter editam, nisi expresse caveatur in ipsa, non intelligitur in aliquo de- rogare.” <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0484" n="428"/><fw place="top" type="header">Beylage <hi rendition="#aq">II.</hi></fw><lb/> befeſtigt iſt.“ Hier iſt alſo dem Richter die Beurtheilung<lb/> eines vernunftmäßigen Inhalts der Gewohnheit überlaſſen,<lb/> jedoch nicht für alle Fälle überhaupt, ſondern nur wenn<lb/> die Gewohnheit ein Geſetz abändern ſoll. Dieſe vom Rö-<lb/> miſchen Recht abweichende, auch an ſich bedenkliche Be-<lb/> ſtimmung iſt offenbar aus dem Beſtreben hervorgegangen,<lb/> die verſchiedenen Meynungen die ſich aus Veranlaſſung<lb/> unſrer Stelle unter den Juriſten gebildet hatten, durch<lb/> eine Art von mittlerem Durchſchnitt zu vereinigen. —<lb/> Hier war die Rede von dem Verhältniß der neuen Ge-<lb/> wohnheit zu einem älteren Geſetz: ähnlich iſt folgende<lb/> Vorſchrift über das umgekehrte Verhältniß <note place="foot" n="(r)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">C.</hi> 1 <hi rendition="#i">de constitut. in</hi> VI.<lb/> (1. 2.): „.. ipsis, <hi rendition="#i">dum tamen<lb/> sint rationabilia,</hi> per consti-<lb/> tutionem a se noviter editam,<lb/> nisi expresse caveatur in ipsa,<lb/> non intelligitur in aliquo de-<lb/> rogare.”</hi></note>. Wenn der<lb/> Pabſt ein allgemeines Geſetz giebt, ſo ſollen dadurch frü-<lb/> here örtliche Gewohnheiten oder Statute nicht aufgehoben<lb/> ſeyn, vorausgeſetzt, daß ſie vernunftmäßig befunden wer-<lb/> den, und daß ihre Aufhebung in jenem Geſetz nicht beſon-<lb/> ders ausgeſprochen iſt.</p><lb/> <p>Eben ſo merkwürdig iſt die förmliche Parodie unſrer<lb/> Stelle, die ſich im Lombardiſchen Lehenrecht findet. Es<lb/> mag oft geſchehen ſeyn, daß ein Romaniſt irgend eine<lb/> Stelle des Corpus Juris für ſich anführte, die mit den<lb/> Lehensgewohnheiten im Widerſpruch ſtand, und dann die<lb/> Gewohnheit durch Anführung der <hi rendition="#aq">L. 2 C. quae sit l. c.</hi><lb/> zu entkräften ſuchte. Dieſem Verfahren widerſpricht nun<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [428/0484]
Beylage II.
befeſtigt iſt.“ Hier iſt alſo dem Richter die Beurtheilung
eines vernunftmäßigen Inhalts der Gewohnheit überlaſſen,
jedoch nicht für alle Fälle überhaupt, ſondern nur wenn
die Gewohnheit ein Geſetz abändern ſoll. Dieſe vom Rö-
miſchen Recht abweichende, auch an ſich bedenkliche Be-
ſtimmung iſt offenbar aus dem Beſtreben hervorgegangen,
die verſchiedenen Meynungen die ſich aus Veranlaſſung
unſrer Stelle unter den Juriſten gebildet hatten, durch
eine Art von mittlerem Durchſchnitt zu vereinigen. —
Hier war die Rede von dem Verhältniß der neuen Ge-
wohnheit zu einem älteren Geſetz: ähnlich iſt folgende
Vorſchrift über das umgekehrte Verhältniß (r). Wenn der
Pabſt ein allgemeines Geſetz giebt, ſo ſollen dadurch frü-
here örtliche Gewohnheiten oder Statute nicht aufgehoben
ſeyn, vorausgeſetzt, daß ſie vernunftmäßig befunden wer-
den, und daß ihre Aufhebung in jenem Geſetz nicht beſon-
ders ausgeſprochen iſt.
Eben ſo merkwürdig iſt die förmliche Parodie unſrer
Stelle, die ſich im Lombardiſchen Lehenrecht findet. Es
mag oft geſchehen ſeyn, daß ein Romaniſt irgend eine
Stelle des Corpus Juris für ſich anführte, die mit den
Lehensgewohnheiten im Widerſpruch ſtand, und dann die
Gewohnheit durch Anführung der L. 2 C. quae sit l. c.
zu entkräften ſuchte. Dieſem Verfahren widerſpricht nun
(r) C. 1 de constitut. in VI.
(1. 2.): „.. ipsis, dum tamen
sint rationabilia, per consti-
tutionem a se noviter editam,
nisi expresse caveatur in ipsa,
non intelligitur in aliquo de-
rogare.”
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