Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
Der Streit beschränkt sich auf die Frage, ob der zweyte Theil (de rebus) das ganze Vermögensrecht umfaßt, so daß die Obligationen das letzte Kapitel desselben ausma- chen, oder ob diese als ein einleitendes Kapitel dem drit- ten Theil (de actionibus) voran gestellt sind.
Prüfen wir nun den inneren Werth der so bestimm- ten Eintheilung, so müssen wir sie, ihrem Hauptplane nach, dem Gegenstand angemessen, in der genaueren Aus- führung aber unbefriedigend finden. Sie giebt mehreren der wichtigsten Rechtsinstitute eine viel zu untergeordnete Stellung; so der Ehe, welche nur als Entstehungsgrund der väterlichen Gewalt vorkommt, als ob sie nicht auch für sich selbst den gerechtesten Anspruch auf Anerkennung hätte: so das Erbrecht, welches wörtlich nur als Erwer- bungsgrund des Eigenthums erwähnt wird, da es doch völlig auf dieselbe Weise zur Anwendung kommt, es mag in einem Vermögen Eigenthum vorgefunden werden oder nicht. Diese unnatürliche Stellung ist großentheils da- durch herbeygeführt worden, daß in dem ganzen Werk ein übertriebener Gebrauch von der logischen Form der divisiones gemacht wird, welche Einseitigkeit der Behand- lung auch manche andere sehr gezwungene Übergänge ver- anlaßt hat (r). Allein diese formellen Unvollkommenheiten
(r) So z. B. besteht sein erster Theil aus drey divisiones, deren dritte also lautet: Alle Menschen stehen entweder unter Vormund- schaft oder nicht, demnach wollen wir jetzt von der Vormundschaft handeln. Auf ähnliche Weise könnte man die Darstellung des Kauf-
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
Der Streit beſchränkt ſich auf die Frage, ob der zweyte Theil (de rebus) das ganze Vermögensrecht umfaßt, ſo daß die Obligationen das letzte Kapitel deſſelben ausma- chen, oder ob dieſe als ein einleitendes Kapitel dem drit- ten Theil (de actionibus) voran geſtellt ſind.
Prüfen wir nun den inneren Werth der ſo beſtimm- ten Eintheilung, ſo müſſen wir ſie, ihrem Hauptplane nach, dem Gegenſtand angemeſſen, in der genaueren Aus- führung aber unbefriedigend finden. Sie giebt mehreren der wichtigſten Rechtsinſtitute eine viel zu untergeordnete Stellung; ſo der Ehe, welche nur als Entſtehungsgrund der väterlichen Gewalt vorkommt, als ob ſie nicht auch für ſich ſelbſt den gerechteſten Anſpruch auf Anerkennung hätte: ſo das Erbrecht, welches wörtlich nur als Erwer- bungsgrund des Eigenthums erwähnt wird, da es doch völlig auf dieſelbe Weiſe zur Anwendung kommt, es mag in einem Vermögen Eigenthum vorgefunden werden oder nicht. Dieſe unnatürliche Stellung iſt großentheils da- durch herbeygeführt worden, daß in dem ganzen Werk ein übertriebener Gebrauch von der logiſchen Form der divisiones gemacht wird, welche Einſeitigkeit der Behand- lung auch manche andere ſehr gezwungene Übergänge ver- anlaßt hat (r). Allein dieſe formellen Unvollkommenheiten
(r) So z. B. beſteht ſein erſter Theil aus drey divisiones, deren dritte alſo lautet: Alle Menſchen ſtehen entweder unter Vormund- ſchaft oder nicht, demnach wollen wir jetzt von der Vormundſchaft handeln. Auf ähnliche Weiſe könnte man die Darſtellung des Kauf-
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
Der Streit beſchränkt ſich auf die Frage, ob der zweyte
Theil (de rebus) das ganze Vermögensrecht umfaßt, ſo
daß die Obligationen das letzte Kapitel deſſelben ausma-
chen, oder ob dieſe als ein einleitendes Kapitel dem drit-
ten Theil (de actionibus) voran geſtellt ſind.
Prüfen wir nun den inneren Werth der ſo beſtimm-
ten Eintheilung, ſo müſſen wir ſie, ihrem Hauptplane
nach, dem Gegenſtand angemeſſen, in der genaueren Aus-
führung aber unbefriedigend finden. Sie giebt mehreren
der wichtigſten Rechtsinſtitute eine viel zu untergeordnete
Stellung; ſo der Ehe, welche nur als Entſtehungsgrund
der väterlichen Gewalt vorkommt, als ob ſie nicht auch
für ſich ſelbſt den gerechteſten Anſpruch auf Anerkennung
hätte: ſo das Erbrecht, welches wörtlich nur als Erwer-
bungsgrund des Eigenthums erwähnt wird, da es doch
völlig auf dieſelbe Weiſe zur Anwendung kommt, es mag
in einem Vermögen Eigenthum vorgefunden werden oder
nicht. Dieſe unnatürliche Stellung iſt großentheils da-
durch herbeygeführt worden, daß in dem ganzen Werk
ein übertriebener Gebrauch von der logiſchen Form der
divisiones gemacht wird, welche Einſeitigkeit der Behand-
lung auch manche andere ſehr gezwungene Übergänge ver-
anlaßt hat (r). Allein dieſe formellen Unvollkommenheiten
(r) So z. B. beſteht ſein erſter
Theil aus drey divisiones, deren
dritte alſo lautet: Alle Menſchen
ſtehen entweder unter Vormund-
ſchaft oder nicht, demnach wollen
wir jetzt von der Vormundſchaft
handeln. Auf ähnliche Weiſe könnte
man die Darſtellung des Kauf-
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/460>, abgerufen am 23.07.2024.
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