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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
von der individuellen Willkühr unabhängigen, in einem
großen Naturzusammenhang begründeten Lebensform (e).

Es wird also hier keinesweges geläugnet, daß zum
Wesen der Ehe Treue und Hingebung, so wie zur väter-
lichen Gewalt Gehorsam und Ehrfurcht gehöre; allein
diese an sich wichtigsten Elemente jener Verhältnisse stehen
unter dem Schutz der Sitte, nicht des Rechts, gerade so
wie der edle und menschliche Gebrauch, den der Hausva-
ter von seiner Familiengewalt machen soll, auch nur der
Sitte überlassen bleiben kann, für welchen letzten Fall die
irrige Auffassung, als ob es eine Rechtsregel wäre, nur
zufällig weniger möglich ist. Daher werden wir von dem
Zustand des Familienverhältnisses in einer Nation nur
eine sehr unsichere Kenntniß haben, wenn wir lediglich
auf die in ihr geltende Rechtsregel sehen, ohne die er-
gänzende Sitte zu berücksichtigen. Nicht selten haben
neuere Schriftsteller, welche diesen Zusammenhang über-
sahen, einen grundlosen Tadel über das Römische Fami-
lienrecht, als über eine herzlose Tyranney, ausgespro-
chen (f). Sie haben nicht erwogen, daß in keinem Volk
des Alterthums die Hausfrauen so hoch geehrt waren als

(e) Es gehören also die Fami-
lienverhältnisse vorzugsweise dem
jus publicum, d. h. dem absolu-
ten Rechte (§ 16) an. Vgl. oben
Note a. -- Darum heißt auch jedes
Familienverhältniß eines Men-
schen vorzugsweise ein status des-
selben, das heißt seine Stellung
oder sein Daseyn im Verhältniß
zu bestimmten anderen Menschen.
Vgl. § 59 und Beylage VI.
(f) So Hegel Naturrecht § 175
"das Sklavenverhältniß der rö-
mischen Kinder ist eine der diese
Gesetzgebung befleckendsten Insti-
tutionen, und diese Kränkung der
Sittlichkeit in ihrem innersten und
zartesten Leben ist eins der wich-

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
von der individuellen Willkühr unabhängigen, in einem
großen Naturzuſammenhang begründeten Lebensform (e).

Es wird alſo hier keinesweges geläugnet, daß zum
Weſen der Ehe Treue und Hingebung, ſo wie zur väter-
lichen Gewalt Gehorſam und Ehrfurcht gehöre; allein
dieſe an ſich wichtigſten Elemente jener Verhältniſſe ſtehen
unter dem Schutz der Sitte, nicht des Rechts, gerade ſo
wie der edle und menſchliche Gebrauch, den der Hausva-
ter von ſeiner Familiengewalt machen ſoll, auch nur der
Sitte überlaſſen bleiben kann, für welchen letzten Fall die
irrige Auffaſſung, als ob es eine Rechtsregel wäre, nur
zufällig weniger möglich iſt. Daher werden wir von dem
Zuſtand des Familienverhältniſſes in einer Nation nur
eine ſehr unſichere Kenntniß haben, wenn wir lediglich
auf die in ihr geltende Rechtsregel ſehen, ohne die er-
gänzende Sitte zu berückſichtigen. Nicht ſelten haben
neuere Schriftſteller, welche dieſen Zuſammenhang über-
ſahen, einen grundloſen Tadel über das Römiſche Fami-
lienrecht, als über eine herzloſe Tyranney, ausgeſpro-
chen (f). Sie haben nicht erwogen, daß in keinem Volk
des Alterthums die Hausfrauen ſo hoch geehrt waren als

(e) Es gehören alſo die Fami-
lienverhältniſſe vorzugsweiſe dem
jus publicum, d. h. dem abſolu-
ten Rechte (§ 16) an. Vgl. oben
Note a. — Darum heißt auch jedes
Familienverhältniß eines Men-
ſchen vorzugsweiſe ein status deſ-
ſelben, das heißt ſeine Stellung
oder ſein Daſeyn im Verhältniß
zu beſtimmten anderen Menſchen.
Vgl. § 59 und Beylage VI.
(f) So Hegel Naturrecht § 175
„das Sklavenverhältniß der rö-
miſchen Kinder iſt eine der dieſe
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tutionen, und dieſe Kränkung der
Sittlichkeit in ihrem innerſten und
zarteſten Leben iſt eins der wich-
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[350/0406] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten. von der individuellen Willkühr unabhängigen, in einem großen Naturzuſammenhang begründeten Lebensform (e). Es wird alſo hier keinesweges geläugnet, daß zum Weſen der Ehe Treue und Hingebung, ſo wie zur väter- lichen Gewalt Gehorſam und Ehrfurcht gehöre; allein dieſe an ſich wichtigſten Elemente jener Verhältniſſe ſtehen unter dem Schutz der Sitte, nicht des Rechts, gerade ſo wie der edle und menſchliche Gebrauch, den der Hausva- ter von ſeiner Familiengewalt machen ſoll, auch nur der Sitte überlaſſen bleiben kann, für welchen letzten Fall die irrige Auffaſſung, als ob es eine Rechtsregel wäre, nur zufällig weniger möglich iſt. Daher werden wir von dem Zuſtand des Familienverhältniſſes in einer Nation nur eine ſehr unſichere Kenntniß haben, wenn wir lediglich auf die in ihr geltende Rechtsregel ſehen, ohne die er- gänzende Sitte zu berückſichtigen. Nicht ſelten haben neuere Schriftſteller, welche dieſen Zuſammenhang über- ſahen, einen grundloſen Tadel über das Römiſche Fami- lienrecht, als über eine herzloſe Tyranney, ausgeſpro- chen (f). Sie haben nicht erwogen, daß in keinem Volk des Alterthums die Hausfrauen ſo hoch geehrt waren als (e) Es gehören alſo die Fami- lienverhältniſſe vorzugsweiſe dem jus publicum, d. h. dem abſolu- ten Rechte (§ 16) an. Vgl. oben Note a. — Darum heißt auch jedes Familienverhältniß eines Men- ſchen vorzugsweiſe ein status deſ- ſelben, das heißt ſeine Stellung oder ſein Daſeyn im Verhältniß zu beſtimmten anderen Menſchen. Vgl. § 59 und Beylage VI. (f) So Hegel Naturrecht § 175 „das Sklavenverhältniß der rö- miſchen Kinder iſt eine der dieſe Geſetzgebung befleckendſten Inſti- tutionen, und dieſe Kränkung der Sittlichkeit in ihrem innerſten und zarteſten Leben iſt eins der wich-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/406>, abgerufen am 25.11.2024.