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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 54. Familienrecht.
natürliche, sittliche, und rechtliche (b). Hieraus folgt, daß
die Familienverhältnisse nur zum Theil eine juristische Na-
tur an sich tragen (§ 53); ja wir müssen hinzu setzen,
daß die juristische Seite ihres Wesens gerade die gerin-
gere ist, indem die wichtigere einem ganz anderen Gebiete
als dem des Rechts angehört.

Indem aber hier der Familie, außer dem rechtlichen
und sittlichen Element, auch noch ein natürliches zuge-
schrieben wird, darf dieses nicht so verstanden werden,
als ob dieses letzte mit jenem auf gleicher Linie stände,
und zu einer selbstständigen Herrschaft gelangen dürfte.
In dem Thier herrscht der einem allgemeinen Naturzweck
dienende Trieb. Dieser Trieb und jener Naturzweck fin-
det sich in dem Menschen völlig so wie in dem Thier; in
dem Menschen aber steht über dem Naturtrieb das höhere
sittliche Gesetz, welches alle Theile seines Wesens, also
auch diesen Trieb, durchdringen und beherrschen soll, wo-
durch das Natürliche in dem Menschen nicht vernichtet
oder geschwächt, sondern zur Theilnahme an dem höheren
Element des menschlichen Wesens empor gehoben wird. --
Hierin hat Kant gefehlt, welcher in der Ehe den blos
natürlichen Bestandtheil (den Geschlechtstrieb) zum Ge-
genstand eines obligatorischen Rechtsverhältnisses machen

(b) Diese dreyfache Natur der
Familienverhältnisse ist in An-
wendung auf die Ehe sehr be-
stimmt ausgesprochen von He-
gel
Naturrecht § 161. Sehr
schön sagt er von der Ehe, "daß
sie die rechtlich sittliche Liebe ist."
Nur der Ausdruck ist noch dahin
zu ergänzen: rechtlich sittliche Ge-
schlechtsliebe -- was ohnehin in
dem Gedanken des Verfassers
unzweifelhaft liegt.

§. 54. Familienrecht.
natürliche, ſittliche, und rechtliche (b). Hieraus folgt, daß
die Familienverhältniſſe nur zum Theil eine juriſtiſche Na-
tur an ſich tragen (§ 53); ja wir müſſen hinzu ſetzen,
daß die juriſtiſche Seite ihres Weſens gerade die gerin-
gere iſt, indem die wichtigere einem ganz anderen Gebiete
als dem des Rechts angehört.

Indem aber hier der Familie, außer dem rechtlichen
und ſittlichen Element, auch noch ein natürliches zuge-
ſchrieben wird, darf dieſes nicht ſo verſtanden werden,
als ob dieſes letzte mit jenem auf gleicher Linie ſtände,
und zu einer ſelbſtſtändigen Herrſchaft gelangen dürfte.
In dem Thier herrſcht der einem allgemeinen Naturzweck
dienende Trieb. Dieſer Trieb und jener Naturzweck fin-
det ſich in dem Menſchen völlig ſo wie in dem Thier; in
dem Menſchen aber ſteht über dem Naturtrieb das höhere
ſittliche Geſetz, welches alle Theile ſeines Weſens, alſo
auch dieſen Trieb, durchdringen und beherrſchen ſoll, wo-
durch das Natürliche in dem Menſchen nicht vernichtet
oder geſchwächt, ſondern zur Theilnahme an dem höheren
Element des menſchlichen Weſens empor gehoben wird. —
Hierin hat Kant gefehlt, welcher in der Ehe den blos
natürlichen Beſtandtheil (den Geſchlechtstrieb) zum Ge-
genſtand eines obligatoriſchen Rechtsverhältniſſes machen

(b) Dieſe dreyfache Natur der
Familienverhältniſſe iſt in An-
wendung auf die Ehe ſehr be-
ſtimmt ausgeſprochen von He-
gel
Naturrecht § 161. Sehr
ſchön ſagt er von der Ehe, „daß
ſie die rechtlich ſittliche Liebe iſt.“
Nur der Ausdruck iſt noch dahin
zu ergänzen: rechtlich ſittliche Ge-
ſchlechtsliebe — was ohnehin in
dem Gedanken des Verfaſſers
unzweifelhaft liegt.
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[347/0403] §. 54. Familienrecht. natürliche, ſittliche, und rechtliche (b). Hieraus folgt, daß die Familienverhältniſſe nur zum Theil eine juriſtiſche Na- tur an ſich tragen (§ 53); ja wir müſſen hinzu ſetzen, daß die juriſtiſche Seite ihres Weſens gerade die gerin- gere iſt, indem die wichtigere einem ganz anderen Gebiete als dem des Rechts angehört. Indem aber hier der Familie, außer dem rechtlichen und ſittlichen Element, auch noch ein natürliches zuge- ſchrieben wird, darf dieſes nicht ſo verſtanden werden, als ob dieſes letzte mit jenem auf gleicher Linie ſtände, und zu einer ſelbſtſtändigen Herrſchaft gelangen dürfte. In dem Thier herrſcht der einem allgemeinen Naturzweck dienende Trieb. Dieſer Trieb und jener Naturzweck fin- det ſich in dem Menſchen völlig ſo wie in dem Thier; in dem Menſchen aber ſteht über dem Naturtrieb das höhere ſittliche Geſetz, welches alle Theile ſeines Weſens, alſo auch dieſen Trieb, durchdringen und beherrſchen ſoll, wo- durch das Natürliche in dem Menſchen nicht vernichtet oder geſchwächt, ſondern zur Theilnahme an dem höheren Element des menſchlichen Weſens empor gehoben wird. — Hierin hat Kant gefehlt, welcher in der Ehe den blos natürlichen Beſtandtheil (den Geſchlechtstrieb) zum Ge- genſtand eines obligatoriſchen Rechtsverhältniſſes machen (b) Dieſe dreyfache Natur der Familienverhältniſſe iſt in An- wendung auf die Ehe ſehr be- ſtimmt ausgeſprochen von He- gel Naturrecht § 161. Sehr ſchön ſagt er von der Ehe, „daß ſie die rechtlich ſittliche Liebe iſt.“ Nur der Ausdruck iſt noch dahin zu ergänzen: rechtlich ſittliche Ge- ſchlechtsliebe — was ohnehin in dem Gedanken des Verfaſſers unzweifelhaft liegt.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/403>, abgerufen am 24.11.2024.