Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten. reicht (jus naturale). Daher muß ihnen, ihrem allgemei-nen Daseyn nach, eine von dem positiven Recht unab- hängige Nothwendigkeit zugeschrieben werden, wenngleich die besondere Gestalt, worin sie zur Anerkennung kommen, je nach dem positiven Recht verschiedener Völker sehr man- nichfaltig ist (a). Dieses Naturverhältniß ist aber für den Menschen nothwendig zugleich ein sittliches Verhältniß; und indem endlich noch die Rechtsform hinzutritt, erhält die Familie drey unzertrennlich vereinigte Gestalten, die (a) So z. B. ist also das Da-
seyn der Monogamie ein positi- ves Rechtsinstitut, während wir der Ehe überhaupt (in welcher Gestalt sie vorkommen möge) eine allgemeine Nothwendigkeit zu- schreiben; damit soll nun aber nicht gesagt werden, daß zwischen Polygamie und Monogamie eine durch zufällige Umstände bestimmte Wahl eintrete; vielmehr ist jene als eine niedere Stufe in der sitt- lichen Entwicklung der Völker zu betrachten. -- Allerdings wird nun auch die Nothwendigkeit der Ehe überhaupt (nicht blos der Mono- gamie) bestritten, z. B. von Hugo Naturrecht § 210--214. Und in der That kann von dem abstrahi- renden Verstand das Wesen der- selben zersetzt, und durch freye Phantasie irgend ein anderer Zu- stand an ihrer Stelle erdichtet werden, z. B. eine regellose Ge- schlechtsliebe, oder Fortpflanzung als Staatsanstalt. Aber der ge- sunde Lebenssinn aller Völker, wie aller Zeiten und Bildungs- stufen, würde unsre Behauptung bestätigen, selbst wenn sie nicht in der christlichen Lebensansicht ihre höchste Bewährung gefunden hätte. -- Eben so gehört zu der positi- ven Ausbildung der Familienin- stitute die künstliche Art, wodurch sie zuweilen entstehen, z. B. die väterliche Gewalt durch Adoption. -- Ferner hat das Verbot der Ehe unter den nächsten Verwand- ten seine Wurzel in dem sittlichen Gefühl aller Zeiten: aber der Grad der Ausdehnung dieses Ver- bots ist ganz positiver Natur. -- Es muß indessen noch hinzuge- fügt werden, daß auch die posi- tive Gestalt, worin diese Ver- hältnisse in einem einzelnen po- sitiven Recht auftreten, in die- sem Recht den absoluten Charak- ter an sich trägt (§ 16), weil sie durch die sittliche Lebensansicht eben dieses Volks bestimmt wird. Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten. reicht (jus naturale). Daher muß ihnen, ihrem allgemei-nen Daſeyn nach, eine von dem poſitiven Recht unab- hängige Nothwendigkeit zugeſchrieben werden, wenngleich die beſondere Geſtalt, worin ſie zur Anerkennung kommen, je nach dem poſitiven Recht verſchiedener Völker ſehr man- nichfaltig iſt (a). Dieſes Naturverhältniß iſt aber für den Menſchen nothwendig zugleich ein ſittliches Verhältniß; und indem endlich noch die Rechtsform hinzutritt, erhält die Familie drey unzertrennlich vereinigte Geſtalten, die (a) So z. B. iſt alſo das Da-
ſeyn der Monogamie ein poſiti- ves Rechtsinſtitut, während wir der Ehe überhaupt (in welcher Geſtalt ſie vorkommen möge) eine allgemeine Nothwendigkeit zu- ſchreiben; damit ſoll nun aber nicht geſagt werden, daß zwiſchen Polygamie und Monogamie eine durch zufällige Umſtände beſtimmte Wahl eintrete; vielmehr iſt jene als eine niedere Stufe in der ſitt- lichen Entwicklung der Völker zu betrachten. — Allerdings wird nun auch die Nothwendigkeit der Ehe überhaupt (nicht blos der Mono- gamie) beſtritten, z. B. von Hugo Naturrecht § 210—214. Und in der That kann von dem abſtrahi- renden Verſtand das Weſen der- ſelben zerſetzt, und durch freye Phantaſie irgend ein anderer Zu- ſtand an ihrer Stelle erdichtet werden, z. B. eine regelloſe Ge- ſchlechtsliebe, oder Fortpflanzung als Staatsanſtalt. Aber der ge- ſunde Lebensſinn aller Völker, wie aller Zeiten und Bildungs- ſtufen, würde unſre Behauptung beſtätigen, ſelbſt wenn ſie nicht in der chriſtlichen Lebensanſicht ihre höchſte Bewährung gefunden hätte. — Eben ſo gehört zu der poſiti- ven Ausbildung der Familienin- ſtitute die künſtliche Art, wodurch ſie zuweilen entſtehen, z. B. die väterliche Gewalt durch Adoption. — Ferner hat das Verbot der Ehe unter den nächſten Verwand- ten ſeine Wurzel in dem ſittlichen Gefühl aller Zeiten: aber der Grad der Ausdehnung dieſes Ver- bots iſt ganz poſitiver Natur. — Es muß indeſſen noch hinzuge- fügt werden, daß auch die poſi- tive Geſtalt, worin dieſe Ver- hältniſſe in einem einzelnen po- ſitiven Recht auftreten, in die- ſem Recht den abſoluten Charak- ter an ſich trägt (§ 16), weil ſie durch die ſittliche Lebensanſicht eben dieſes Volks beſtimmt wird. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0402" n="346"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">II.</hi> Rechtsverhältniſſe. Kap. <hi rendition="#aq">I.</hi> Weſen und Arten.</fw><lb/> reicht <hi rendition="#aq">(jus naturale).</hi> Daher muß ihnen, ihrem allgemei-<lb/> nen Daſeyn nach, eine von dem poſitiven Recht unab-<lb/> hängige Nothwendigkeit zugeſchrieben werden, wenngleich<lb/> die beſondere Geſtalt, worin ſie zur Anerkennung kommen,<lb/> je nach dem poſitiven Recht verſchiedener Völker ſehr man-<lb/> nichfaltig iſt <note place="foot" n="(a)">So z. B. iſt alſo das Da-<lb/> ſeyn der Monogamie ein poſiti-<lb/> ves Rechtsinſtitut, während wir<lb/> der Ehe überhaupt (in welcher<lb/> Geſtalt ſie vorkommen möge) eine<lb/> allgemeine Nothwendigkeit zu-<lb/> ſchreiben; damit ſoll nun aber<lb/> nicht geſagt werden, daß zwiſchen<lb/> Polygamie und Monogamie eine<lb/> durch zufällige Umſtände beſtimmte<lb/> Wahl eintrete; vielmehr iſt jene<lb/> als eine niedere Stufe in der ſitt-<lb/> lichen Entwicklung der Völker zu<lb/> betrachten. — Allerdings wird nun<lb/> auch die Nothwendigkeit der Ehe<lb/> überhaupt (nicht blos der Mono-<lb/> gamie) beſtritten, z. B. von <hi rendition="#g">Hugo</hi><lb/> Naturrecht § 210—214. Und in<lb/> der That kann von dem abſtrahi-<lb/> renden Verſtand das Weſen der-<lb/> ſelben zerſetzt, und durch freye<lb/> Phantaſie irgend ein anderer Zu-<lb/> ſtand an ihrer Stelle erdichtet<lb/> werden, z. B. eine regelloſe Ge-<lb/> ſchlechtsliebe, oder Fortpflanzung<lb/> als Staatsanſtalt. Aber der ge-<lb/> ſunde Lebensſinn aller Völker,<lb/> wie aller Zeiten und Bildungs-<lb/> ſtufen, würde unſre Behauptung<lb/> beſtätigen, ſelbſt wenn ſie nicht in<lb/> der chriſtlichen Lebensanſicht ihre<lb/> höchſte Bewährung gefunden hätte.<lb/> — Eben ſo gehört zu der poſiti-<lb/> ven Ausbildung der Familienin-<lb/> ſtitute die künſtliche Art, wodurch<lb/> ſie zuweilen entſtehen, z. B. die<lb/> väterliche Gewalt durch Adoption.<lb/> — Ferner hat das Verbot der<lb/> Ehe unter den nächſten Verwand-<lb/> ten ſeine Wurzel in dem ſittlichen<lb/> Gefühl aller Zeiten: aber der<lb/> Grad der Ausdehnung dieſes Ver-<lb/> bots iſt ganz poſitiver Natur. —<lb/> Es muß indeſſen noch hinzuge-<lb/> fügt werden, daß auch die poſi-<lb/> tive Geſtalt, worin dieſe Ver-<lb/> hältniſſe in einem einzelnen po-<lb/> ſitiven Recht auftreten, in die-<lb/> ſem Recht den abſoluten Charak-<lb/> ter an ſich trägt (§ 16), weil ſie<lb/> durch die ſittliche Lebensanſicht<lb/> eben dieſes Volks beſtimmt wird.</note>. Dieſes Naturverhältniß iſt aber für den<lb/> Menſchen nothwendig zugleich ein ſittliches Verhältniß;<lb/> und indem endlich noch die Rechtsform hinzutritt, erhält<lb/> die Familie drey unzertrennlich vereinigte Geſtalten, die<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [346/0402]
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
reicht (jus naturale). Daher muß ihnen, ihrem allgemei-
nen Daſeyn nach, eine von dem poſitiven Recht unab-
hängige Nothwendigkeit zugeſchrieben werden, wenngleich
die beſondere Geſtalt, worin ſie zur Anerkennung kommen,
je nach dem poſitiven Recht verſchiedener Völker ſehr man-
nichfaltig iſt (a). Dieſes Naturverhältniß iſt aber für den
Menſchen nothwendig zugleich ein ſittliches Verhältniß;
und indem endlich noch die Rechtsform hinzutritt, erhält
die Familie drey unzertrennlich vereinigte Geſtalten, die
(a) So z. B. iſt alſo das Da-
ſeyn der Monogamie ein poſiti-
ves Rechtsinſtitut, während wir
der Ehe überhaupt (in welcher
Geſtalt ſie vorkommen möge) eine
allgemeine Nothwendigkeit zu-
ſchreiben; damit ſoll nun aber
nicht geſagt werden, daß zwiſchen
Polygamie und Monogamie eine
durch zufällige Umſtände beſtimmte
Wahl eintrete; vielmehr iſt jene
als eine niedere Stufe in der ſitt-
lichen Entwicklung der Völker zu
betrachten. — Allerdings wird nun
auch die Nothwendigkeit der Ehe
überhaupt (nicht blos der Mono-
gamie) beſtritten, z. B. von Hugo
Naturrecht § 210—214. Und in
der That kann von dem abſtrahi-
renden Verſtand das Weſen der-
ſelben zerſetzt, und durch freye
Phantaſie irgend ein anderer Zu-
ſtand an ihrer Stelle erdichtet
werden, z. B. eine regelloſe Ge-
ſchlechtsliebe, oder Fortpflanzung
als Staatsanſtalt. Aber der ge-
ſunde Lebensſinn aller Völker,
wie aller Zeiten und Bildungs-
ſtufen, würde unſre Behauptung
beſtätigen, ſelbſt wenn ſie nicht in
der chriſtlichen Lebensanſicht ihre
höchſte Bewährung gefunden hätte.
— Eben ſo gehört zu der poſiti-
ven Ausbildung der Familienin-
ſtitute die künſtliche Art, wodurch
ſie zuweilen entſtehen, z. B. die
väterliche Gewalt durch Adoption.
— Ferner hat das Verbot der
Ehe unter den nächſten Verwand-
ten ſeine Wurzel in dem ſittlichen
Gefühl aller Zeiten: aber der
Grad der Ausdehnung dieſes Ver-
bots iſt ganz poſitiver Natur. —
Es muß indeſſen noch hinzuge-
fügt werden, daß auch die poſi-
tive Geſtalt, worin dieſe Ver-
hältniſſe in einem einzelnen po-
ſitiven Recht auftreten, in die-
ſem Recht den abſoluten Charak-
ter an ſich trägt (§ 16), weil ſie
durch die ſittliche Lebensanſicht
eben dieſes Volks beſtimmt wird.
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