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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. I. Wesen und Arten.
allerdings möglichen Verletzung, aber es ist darum nicht
minder unnütz, ja verwerflich, indem es unter andern in
consequenter Entwicklung auf die Anerkennung eines Rechts
zum Selbstmord führt. Das wahre Element aber in je-
ner irrigen Annahme eines auf die eigene Person gerich-
teten Urrechts ist folgendes. Erstlich kann und soll frey-
lich die rechtmäßige Macht des Menschen über sich selbst
und seine Kräfte nicht bezweifelt werden; noch mehr, diese
Macht ist sogar die Grundlage und Voraussetzung aller
wahren Rechte, indem z. B. Eigenthum und Obligationen
nur Bedeutung und Werth für uns haben als künstliche
Erweiterung unsrer eigenen persönlichen Kräfte, als neue
Organe, die unserm Naturwesen künstlich hinzugefügt wer-
den. Allein für jene Macht über uns selbst bedarf es der
Anerkennung und Begränzung durch positives Recht nicht,
und das Ungehörige der hier dargestellten Auffassung be-
steht darin, daß jene natürliche Macht mit diesen künstli-
chen Erweiterungen derselben in eben so überflüssiger als
verwirrender Weise auf Eine Linie gestellt und als gleich-
artig behandelt werden soll. -- Zweytens ist für viele ein-
zelne wirkliche Rechtsinstitute der Ausgangspunkt allerdings
in der Sicherung jener natürlichen Macht des Menschen
über sich selbst gegen fremde Einmischungen zu suchen.
Dahin gehört ein großer Theil des Criminalrechts; ferner
im Civilrecht die bedeutende Zahl von Rechten, welche
auf den Schutz gegen Ehrverletzung, gegen Betrug, und
gegen Gewalt abzwecken, unter andern also auch die pos-

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten.
allerdings möglichen Verletzung, aber es iſt darum nicht
minder unnütz, ja verwerflich, indem es unter andern in
conſequenter Entwicklung auf die Anerkennung eines Rechts
zum Selbſtmord führt. Das wahre Element aber in je-
ner irrigen Annahme eines auf die eigene Perſon gerich-
teten Urrechts iſt folgendes. Erſtlich kann und ſoll frey-
lich die rechtmäßige Macht des Menſchen über ſich ſelbſt
und ſeine Kräfte nicht bezweifelt werden; noch mehr, dieſe
Macht iſt ſogar die Grundlage und Vorausſetzung aller
wahren Rechte, indem z. B. Eigenthum und Obligationen
nur Bedeutung und Werth für uns haben als künſtliche
Erweiterung unſrer eigenen perſönlichen Kräfte, als neue
Organe, die unſerm Naturweſen künſtlich hinzugefügt wer-
den. Allein für jene Macht über uns ſelbſt bedarf es der
Anerkennung und Begränzung durch poſitives Recht nicht,
und das Ungehörige der hier dargeſtellten Auffaſſung be-
ſteht darin, daß jene natürliche Macht mit dieſen künſtli-
chen Erweiterungen derſelben in eben ſo überflüſſiger als
verwirrender Weiſe auf Eine Linie geſtellt und als gleich-
artig behandelt werden ſoll. — Zweytens iſt für viele ein-
zelne wirkliche Rechtsinſtitute der Ausgangspunkt allerdings
in der Sicherung jener natürlichen Macht des Menſchen
über ſich ſelbſt gegen fremde Einmiſchungen zu ſuchen.
Dahin gehört ein großer Theil des Criminalrechts; ferner
im Civilrecht die bedeutende Zahl von Rechten, welche
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[336/0392] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. I. Weſen und Arten. allerdings möglichen Verletzung, aber es iſt darum nicht minder unnütz, ja verwerflich, indem es unter andern in conſequenter Entwicklung auf die Anerkennung eines Rechts zum Selbſtmord führt. Das wahre Element aber in je- ner irrigen Annahme eines auf die eigene Perſon gerich- teten Urrechts iſt folgendes. Erſtlich kann und ſoll frey- lich die rechtmäßige Macht des Menſchen über ſich ſelbſt und ſeine Kräfte nicht bezweifelt werden; noch mehr, dieſe Macht iſt ſogar die Grundlage und Vorausſetzung aller wahren Rechte, indem z. B. Eigenthum und Obligationen nur Bedeutung und Werth für uns haben als künſtliche Erweiterung unſrer eigenen perſönlichen Kräfte, als neue Organe, die unſerm Naturweſen künſtlich hinzugefügt wer- den. Allein für jene Macht über uns ſelbſt bedarf es der Anerkennung und Begränzung durch poſitives Recht nicht, und das Ungehörige der hier dargeſtellten Auffaſſung be- ſteht darin, daß jene natürliche Macht mit dieſen künſtli- chen Erweiterungen derſelben in eben ſo überflüſſiger als verwirrender Weiſe auf Eine Linie geſtellt und als gleich- artig behandelt werden ſoll. — Zweytens iſt für viele ein- zelne wirkliche Rechtsinſtitute der Ausgangspunkt allerdings in der Sicherung jener natürlichen Macht des Menſchen über ſich ſelbſt gegen fremde Einmiſchungen zu ſuchen. Dahin gehört ein großer Theil des Criminalrechts; ferner im Civilrecht die bedeutende Zahl von Rechten, welche auf den Schutz gegen Ehrverletzung, gegen Betrug, und gegen Gewalt abzwecken, unter andern alſo auch die poſ-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/392>, abgerufen am 24.11.2024.