welche allein der natürlichen Neigung der Menschen zu gegenseitiger Zerstörung Einhalt thun könne. Indem sie auf diese Weise das Negative an die Spitze stellen, ver- fahren sie so, als ob wir vom Zustand der Krankheit ausgehen wollten, um die Gesetze des Lebens zu erkennen. Der Staat erscheint ihnen als eine Nothwehr, die unter Voraussetzung einer verbreiteten gerechten Gesinnung als überflüssig verschwinden könnte, anstatt daß er hier nach unsrer Ansicht nur um so herrlicher und kräftiger hervor- treten würde.
Von dem nunmehr gewonnenen Standpunkt aus er- scheint uns jedes einzelne Rechtsverhältniß als eine Bezie- hung zwischen Person und Person, durch eine Rechtsregel bestimmt. Diese Bestimmung durch eine Rechtsregel be- steht aber darin, daß dem individuellen Willen ein Gebiet angewiesen ist, in welchem er unabhängig von jedem frem- den Willen zu herrschen hat.
Daher lassen sich in jedem Rechtsverhältniß zwey Stücke unterscheiden: erstlich ein Stoff, das heißt jene Be- ziehung an sich, und zweytens die rechtliche Bestimmung dieses Stoffs. Das erste Stück können wir als das ma- terielle Element der Rechtsverhältnisse, oder als die bloße Thatsache in denselben bezeichnen: das zweyte als ihr formelles Element, das heißt als dasjenige, wodurch die thatsächliche Beziehung zur Rechtsform erhoben wird.
Allein nicht alle Beziehungen des Menschen zum Men- schen gehören dem Rechtsgebiet an, indem sie einer sol-
§. 52. Weſen.
welche allein der natürlichen Neigung der Menſchen zu gegenſeitiger Zerſtörung Einhalt thun könne. Indem ſie auf dieſe Weiſe das Negative an die Spitze ſtellen, ver- fahren ſie ſo, als ob wir vom Zuſtand der Krankheit ausgehen wollten, um die Geſetze des Lebens zu erkennen. Der Staat erſcheint ihnen als eine Nothwehr, die unter Vorausſetzung einer verbreiteten gerechten Geſinnung als überflüſſig verſchwinden könnte, anſtatt daß er hier nach unſrer Anſicht nur um ſo herrlicher und kräftiger hervor- treten würde.
Von dem nunmehr gewonnenen Standpunkt aus er- ſcheint uns jedes einzelne Rechtsverhältniß als eine Bezie- hung zwiſchen Perſon und Perſon, durch eine Rechtsregel beſtimmt. Dieſe Beſtimmung durch eine Rechtsregel be- ſteht aber darin, daß dem individuellen Willen ein Gebiet angewieſen iſt, in welchem er unabhängig von jedem frem- den Willen zu herrſchen hat.
Daher laſſen ſich in jedem Rechtsverhältniß zwey Stücke unterſcheiden: erſtlich ein Stoff, das heißt jene Be- ziehung an ſich, und zweytens die rechtliche Beſtimmung dieſes Stoffs. Das erſte Stück können wir als das ma- terielle Element der Rechtsverhältniſſe, oder als die bloße Thatſache in denſelben bezeichnen: das zweyte als ihr formelles Element, das heißt als dasjenige, wodurch die thatſächliche Beziehung zur Rechtsform erhoben wird.
Allein nicht alle Beziehungen des Menſchen zum Men- ſchen gehören dem Rechtsgebiet an, indem ſie einer ſol-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0389"n="333"/><fwplace="top"type="header">§. 52. Weſen.</fw><lb/>
welche allein der natürlichen Neigung der Menſchen zu<lb/>
gegenſeitiger Zerſtörung Einhalt thun könne. Indem ſie<lb/>
auf dieſe Weiſe das Negative an die Spitze ſtellen, ver-<lb/>
fahren ſie ſo, als ob wir vom Zuſtand der Krankheit<lb/>
ausgehen wollten, um die Geſetze des Lebens zu erkennen.<lb/>
Der Staat erſcheint ihnen als eine Nothwehr, die unter<lb/>
Vorausſetzung einer verbreiteten gerechten Geſinnung als<lb/>
überflüſſig verſchwinden könnte, anſtatt daß er hier nach<lb/>
unſrer Anſicht nur um ſo herrlicher und kräftiger hervor-<lb/>
treten würde.</p><lb/><p>Von dem nunmehr gewonnenen Standpunkt aus er-<lb/>ſcheint uns jedes einzelne Rechtsverhältniß als eine Bezie-<lb/>
hung zwiſchen Perſon und Perſon, durch eine Rechtsregel<lb/>
beſtimmt. Dieſe Beſtimmung durch eine Rechtsregel be-<lb/>ſteht aber darin, daß dem individuellen Willen ein Gebiet<lb/>
angewieſen iſt, in welchem er unabhängig von jedem frem-<lb/>
den Willen zu herrſchen hat.</p><lb/><p>Daher laſſen ſich in jedem Rechtsverhältniß zwey<lb/>
Stücke unterſcheiden: erſtlich ein Stoff, das heißt jene Be-<lb/>
ziehung an ſich, und zweytens die rechtliche Beſtimmung<lb/>
dieſes Stoffs. Das erſte Stück können wir als das ma-<lb/>
terielle Element der Rechtsverhältniſſe, oder als die bloße<lb/>
Thatſache in denſelben bezeichnen: das zweyte als ihr<lb/>
formelles Element, das heißt als dasjenige, wodurch die<lb/>
thatſächliche Beziehung zur Rechtsform erhoben wird.</p><lb/><p>Allein nicht alle Beziehungen des Menſchen zum Men-<lb/>ſchen gehören dem Rechtsgebiet an, indem ſie einer ſol-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[333/0389]
§. 52. Weſen.
welche allein der natürlichen Neigung der Menſchen zu
gegenſeitiger Zerſtörung Einhalt thun könne. Indem ſie
auf dieſe Weiſe das Negative an die Spitze ſtellen, ver-
fahren ſie ſo, als ob wir vom Zuſtand der Krankheit
ausgehen wollten, um die Geſetze des Lebens zu erkennen.
Der Staat erſcheint ihnen als eine Nothwehr, die unter
Vorausſetzung einer verbreiteten gerechten Geſinnung als
überflüſſig verſchwinden könnte, anſtatt daß er hier nach
unſrer Anſicht nur um ſo herrlicher und kräftiger hervor-
treten würde.
Von dem nunmehr gewonnenen Standpunkt aus er-
ſcheint uns jedes einzelne Rechtsverhältniß als eine Bezie-
hung zwiſchen Perſon und Perſon, durch eine Rechtsregel
beſtimmt. Dieſe Beſtimmung durch eine Rechtsregel be-
ſteht aber darin, daß dem individuellen Willen ein Gebiet
angewieſen iſt, in welchem er unabhängig von jedem frem-
den Willen zu herrſchen hat.
Daher laſſen ſich in jedem Rechtsverhältniß zwey
Stücke unterſcheiden: erſtlich ein Stoff, das heißt jene Be-
ziehung an ſich, und zweytens die rechtliche Beſtimmung
dieſes Stoffs. Das erſte Stück können wir als das ma-
terielle Element der Rechtsverhältniſſe, oder als die bloße
Thatſache in denſelben bezeichnen: das zweyte als ihr
formelles Element, das heißt als dasjenige, wodurch die
thatſächliche Beziehung zur Rechtsform erhoben wird.
Allein nicht alle Beziehungen des Menſchen zum Men-
ſchen gehören dem Rechtsgebiet an, indem ſie einer ſol-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/389>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.