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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§ 50. Ansichten der Neueren.

Drittens, was das wichtigste ist, hat man in das Ge-
biet der Auslegung eine Behandlung der Gesetze gezogen,
die in der That als eine Abänderung derselben betrachtet
werden muß, und die dennoch unter dem Namen der lo-
gischen Auslegung mit befaßt wurde. Es ist oben die
Rede gewesen von einer Berichtigung des Ausdrucks durch
Zurückführung auf den wirklichen Gedanken; hier wird
eine Berichtigung des wirklichen Gedankens selbst versucht
durch Zurückführung auf denjenigen Gedanken, den das
Gesetz hätte enthalten sollen. Man geht nämlich auf den
Grund des Gesetzes zurück, und wenn es sich findet, daß
derselbe in seiner logischen Entwicklung auf Mehr oder
Weniger führt, als das Gesetz enthält, so wird dieses
durch eine neue Art von ausdehnender oder einschrän-
kender
Auslegung verbessert. Dabey ist es gleichgültig,
ob der Gesetzgeber mit Bewußtseyn einen logischen Fehler
gemacht hat, oder ob er nur versäumte, an die conse-
quenten Anwendungen des Grundes zu denken, wodurch
man ihn jetzt berichtigt; in welchem letzten Falle man
also voraussetzt, er würde unfehlbar eben so verfügt ha-
ben, wenn man ihn nur auf diese Consequenzen aufmerk-
sam gemacht hätte. -- So erscheint wenigstens dieses Ver-
fahren in vollständiger Durchführung. Es ist indessen auch
mit der Modification geltend gemacht worden, daß zwar
eine Ausdehnung nach dem Grund des Gesetzes geschehen
dürfe, aber niemals eine Einschränkung (e); ein überzeu-

(e) Thibaut Pandekten § 51. 52.
Er gestattet die Ausdehnung
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§ 50. Anſichten der Neueren.

Drittens, was das wichtigſte iſt, hat man in das Ge-
biet der Auslegung eine Behandlung der Geſetze gezogen,
die in der That als eine Abänderung derſelben betrachtet
werden muß, und die dennoch unter dem Namen der lo-
giſchen Auslegung mit befaßt wurde. Es iſt oben die
Rede geweſen von einer Berichtigung des Ausdrucks durch
Zurückführung auf den wirklichen Gedanken; hier wird
eine Berichtigung des wirklichen Gedankens ſelbſt verſucht
durch Zurückführung auf denjenigen Gedanken, den das
Geſetz hätte enthalten ſollen. Man geht nämlich auf den
Grund des Geſetzes zurück, und wenn es ſich findet, daß
derſelbe in ſeiner logiſchen Entwicklung auf Mehr oder
Weniger führt, als das Geſetz enthält, ſo wird dieſes
durch eine neue Art von ausdehnender oder einſchrän-
kender
Auslegung verbeſſert. Dabey iſt es gleichgültig,
ob der Geſetzgeber mit Bewußtſeyn einen logiſchen Fehler
gemacht hat, oder ob er nur verſäumte, an die conſe-
quenten Anwendungen des Grundes zu denken, wodurch
man ihn jetzt berichtigt; in welchem letzten Falle man
alſo vorausſetzt, er würde unfehlbar eben ſo verfügt ha-
ben, wenn man ihn nur auf dieſe Conſequenzen aufmerk-
ſam gemacht hätte. — So erſcheint wenigſtens dieſes Ver-
fahren in vollſtändiger Durchführung. Es iſt indeſſen auch
mit der Modification geltend gemacht worden, daß zwar
eine Ausdehnung nach dem Grund des Geſetzes geſchehen
dürfe, aber niemals eine Einſchränkung (e); ein überzeu-

(e) Thibaut Pandekten § 51. 52.
Er geſtattet die Ausdehnung
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[321/0377] § 50. Anſichten der Neueren. Drittens, was das wichtigſte iſt, hat man in das Ge- biet der Auslegung eine Behandlung der Geſetze gezogen, die in der That als eine Abänderung derſelben betrachtet werden muß, und die dennoch unter dem Namen der lo- giſchen Auslegung mit befaßt wurde. Es iſt oben die Rede geweſen von einer Berichtigung des Ausdrucks durch Zurückführung auf den wirklichen Gedanken; hier wird eine Berichtigung des wirklichen Gedankens ſelbſt verſucht durch Zurückführung auf denjenigen Gedanken, den das Geſetz hätte enthalten ſollen. Man geht nämlich auf den Grund des Geſetzes zurück, und wenn es ſich findet, daß derſelbe in ſeiner logiſchen Entwicklung auf Mehr oder Weniger führt, als das Geſetz enthält, ſo wird dieſes durch eine neue Art von ausdehnender oder einſchrän- kender Auslegung verbeſſert. Dabey iſt es gleichgültig, ob der Geſetzgeber mit Bewußtſeyn einen logiſchen Fehler gemacht hat, oder ob er nur verſäumte, an die conſe- quenten Anwendungen des Grundes zu denken, wodurch man ihn jetzt berichtigt; in welchem letzten Falle man alſo vorausſetzt, er würde unfehlbar eben ſo verfügt ha- ben, wenn man ihn nur auf dieſe Conſequenzen aufmerk- ſam gemacht hätte. — So erſcheint wenigſtens dieſes Ver- fahren in vollſtändiger Durchführung. Es iſt indeſſen auch mit der Modification geltend gemacht worden, daß zwar eine Ausdehnung nach dem Grund des Geſetzes geſchehen dürfe, aber niemals eine Einſchränkung (e); ein überzeu- (e) Thibaut Pandekten § 51. 52. Er geſtattet die Ausdehnung 21

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/377>, abgerufen am 24.11.2024.