Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze. gehenden Gesetzauslegungen verbindliche Kraft haben.Dieser spitzfindige Zweifel ist aber ganz lächerlich, und wird durch gegenwärtige Vorschrift beseitigt. Jede vom Kaiser ausgehende Gesetzauslegung, sie mag erfolgen in einem Rescript (sive in precibus), oder in einem Kaiser- lichen Urtheil (sive in judiciis) (m), oder auf irgend eine andere Weise (also z. B. in einem authentisch interpreti- renden Gesetz) soll als bindend und unfehlbar gelten. Denn da in der gegenwärtigen Verfassung der Kaiser allein Ge- setze geben kann, so kann auch nur er sie auslegen. Warum würde auch sonst von allen über ein Gesetz zweifelnden Richterbehörden bey ihm angefragt, wenn nicht er allein die Befugniß zur Auslegung hätte? (n). Oder wer könnte die Dunkelheiten der Gesetze wegräumen, als der welcher allein Gesetze geben kann? Hinfort mögen also alle lächer- liche Zweifel schwinden, und es soll der Kaiser als ein- ziger Gesetzgeber nicht nur, sondern auch als einziger In- terpret anerkannt werden. Doch soll diese Vorschrift dem Recht keinen Abbruch thun, welches hierin den alten Ju- nicht unzweifelhaft anerkannt war, also gewiß älter als Gajus. (m) Die Worte lassen eine zwiefache Deutung zu. Preces kann alle Rescripte bedeuten, Judicia die Decrete, so daß für die übrigen Arten die Edicte und Mandate übrig bleiben. Man kann aber auch Preces auf die Privatrescripte beschränken, so daß Judicia neben den Decreten auch noch die Rescripte im Con- sultationenproceß umfaßte. Die erste Erklärung scheint mir jedoch einfacher und natürlicher, um so mehr da das Principium der Stelle blos von Decreten handelt, also diese besonders heraushebt. (n) "Si non a nobis inter-
pretatio mera procedit?" Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. gehenden Geſetzauslegungen verbindliche Kraft haben.Dieſer ſpitzfindige Zweifel iſt aber ganz lächerlich, und wird durch gegenwärtige Vorſchrift beſeitigt. Jede vom Kaiſer ausgehende Geſetzauslegung, ſie mag erfolgen in einem Reſcript (sive in precibus), oder in einem Kaiſer- lichen Urtheil (sive in judiciis) (m), oder auf irgend eine andere Weiſe (alſo z. B. in einem authentiſch interpreti- renden Geſetz) ſoll als bindend und unfehlbar gelten. Denn da in der gegenwärtigen Verfaſſung der Kaiſer allein Ge- ſetze geben kann, ſo kann auch nur er ſie auslegen. Warum würde auch ſonſt von allen über ein Geſetz zweifelnden Richterbehörden bey ihm angefragt, wenn nicht er allein die Befugniß zur Auslegung hätte? (n). Oder wer könnte die Dunkelheiten der Geſetze wegräumen, als der welcher allein Geſetze geben kann? Hinfort mögen alſo alle lächer- liche Zweifel ſchwinden, und es ſoll der Kaiſer als ein- ziger Geſetzgeber nicht nur, ſondern auch als einziger In- terpret anerkannt werden. Doch ſoll dieſe Vorſchrift dem Recht keinen Abbruch thun, welches hierin den alten Ju- nicht unzweifelhaft anerkannt war, alſo gewiß älter als Gajus. (m) Die Worte laſſen eine zwiefache Deutung zu. Preces kann alle Reſcripte bedeuten, Judicia die Decrete, ſo daß für die übrigen Arten die Edicte und Mandate übrig bleiben. Man kann aber auch Preces auf die Privatreſcripte beſchränken, ſo daß Judicia neben den Decreten auch noch die Reſcripte im Con- ſultationenproceß umfaßte. Die erſte Erklärung ſcheint mir jedoch einfacher und natürlicher, um ſo mehr da das Principium der Stelle blos von Decreten handelt, alſo dieſe beſonders heraushebt. (n) „Si non a nobis inter-
pretatio mera procedit?“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0358" n="302"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Auslegung der Geſetze.</fw><lb/> gehenden Geſetzauslegungen verbindliche Kraft haben.<lb/> Dieſer ſpitzfindige Zweifel iſt aber ganz lächerlich, und<lb/> wird durch gegenwärtige Vorſchrift beſeitigt. Jede vom<lb/> Kaiſer ausgehende Geſetzauslegung, ſie mag erfolgen in<lb/> einem Reſcript (<hi rendition="#aq">sive in precibus</hi>), oder in einem Kaiſer-<lb/> lichen Urtheil (<hi rendition="#aq">sive in judiciis</hi>) <note place="foot" n="(m)">Die Worte laſſen eine<lb/> zwiefache Deutung zu. <hi rendition="#aq">Preces</hi><lb/> kann alle Reſcripte bedeuten,<lb/><hi rendition="#aq">Judicia</hi> die Decrete, ſo daß für<lb/> die übrigen Arten die Edicte und<lb/> Mandate übrig bleiben. Man<lb/> kann aber auch <hi rendition="#aq">Preces</hi> auf die<lb/> Privatreſcripte beſchränken, ſo<lb/> daß <hi rendition="#aq">Judicia</hi> neben den Decreten<lb/> auch noch die Reſcripte im Con-<lb/> ſultationenproceß umfaßte. Die<lb/> erſte Erklärung ſcheint mir jedoch<lb/> einfacher und natürlicher, um ſo<lb/> mehr da das Principium der Stelle<lb/> blos von Decreten handelt, alſo<lb/> dieſe beſonders heraushebt.</note>, oder auf irgend eine<lb/> andere Weiſe (alſo z. B. in einem authentiſch interpreti-<lb/> renden Geſetz) ſoll als bindend und unfehlbar gelten. Denn<lb/> da in der gegenwärtigen Verfaſſung der Kaiſer allein Ge-<lb/> ſetze geben kann, ſo kann auch nur er ſie auslegen. Warum<lb/> würde auch ſonſt von allen über ein Geſetz zweifelnden<lb/> Richterbehörden bey ihm angefragt, wenn nicht er allein<lb/> die Befugniß zur Auslegung hätte? <note place="foot" n="(n)"><hi rendition="#aq">„Si non a nobis inter-<lb/> pretatio mera procedit?“</hi></note>. Oder wer könnte<lb/> die Dunkelheiten der Geſetze wegräumen, als der welcher<lb/> allein Geſetze geben kann? Hinfort mögen alſo alle lächer-<lb/> liche Zweifel ſchwinden, und es ſoll der Kaiſer als ein-<lb/> ziger Geſetzgeber nicht nur, ſondern auch als einziger In-<lb/> terpret anerkannt werden. Doch ſoll dieſe Vorſchrift dem<lb/> Recht keinen Abbruch thun, welches hierin den alten Ju-<lb/><note xml:id="seg2pn_40_2" prev="#seg2pn_40_1" place="foot" n="(l)">nicht unzweifelhaft anerkannt war,<lb/> alſo gewiß älter als Gajus.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [302/0358]
Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
gehenden Geſetzauslegungen verbindliche Kraft haben.
Dieſer ſpitzfindige Zweifel iſt aber ganz lächerlich, und
wird durch gegenwärtige Vorſchrift beſeitigt. Jede vom
Kaiſer ausgehende Geſetzauslegung, ſie mag erfolgen in
einem Reſcript (sive in precibus), oder in einem Kaiſer-
lichen Urtheil (sive in judiciis) (m), oder auf irgend eine
andere Weiſe (alſo z. B. in einem authentiſch interpreti-
renden Geſetz) ſoll als bindend und unfehlbar gelten. Denn
da in der gegenwärtigen Verfaſſung der Kaiſer allein Ge-
ſetze geben kann, ſo kann auch nur er ſie auslegen. Warum
würde auch ſonſt von allen über ein Geſetz zweifelnden
Richterbehörden bey ihm angefragt, wenn nicht er allein
die Befugniß zur Auslegung hätte? (n). Oder wer könnte
die Dunkelheiten der Geſetze wegräumen, als der welcher
allein Geſetze geben kann? Hinfort mögen alſo alle lächer-
liche Zweifel ſchwinden, und es ſoll der Kaiſer als ein-
ziger Geſetzgeber nicht nur, ſondern auch als einziger In-
terpret anerkannt werden. Doch ſoll dieſe Vorſchrift dem
Recht keinen Abbruch thun, welches hierin den alten Ju-
(l)
(m) Die Worte laſſen eine
zwiefache Deutung zu. Preces
kann alle Reſcripte bedeuten,
Judicia die Decrete, ſo daß für
die übrigen Arten die Edicte und
Mandate übrig bleiben. Man
kann aber auch Preces auf die
Privatreſcripte beſchränken, ſo
daß Judicia neben den Decreten
auch noch die Reſcripte im Con-
ſultationenproceß umfaßte. Die
erſte Erklärung ſcheint mir jedoch
einfacher und natürlicher, um ſo
mehr da das Principium der Stelle
blos von Decreten handelt, alſo
dieſe beſonders heraushebt.
(n) „Si non a nobis inter-
pretatio mera procedit?“
(l) nicht unzweifelhaft anerkannt war,
alſo gewiß älter als Gajus.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |