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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 47. Aussprüche des Römischen Rechts.
war, und in welchem Sinn er gleich von seinen Urhebern
angewendet wurde (f). -- In allen diesen Beziehungen
stehen wir anders als sie, besonders wenn wir nicht unsre
einheimischen Gesetze, sondern die uns so fern stehenden
Justinianischen auszulegen haben. Unsere Lage ist darin
ungleich schwieriger; aber hier, wie in vielen anderen
Fällen, ist die durch die Schwierigkeit gebotene Anstren-
gung nicht ohne Frucht geblieben. Der Begriff und die
Gränze wahrer Auslegung ist dadurch unter uns zu einer
schärferen Ausbildung gelangt, als jemals bey den Rö-
mern, denen eine gleiche Nothwendigkeit nicht aufer-
legt war.

Unter den Kaisern traten allmälig, besonders seit der
Mitte des dritten Jahrhunderts unsrer Zeitrechnung, völlig
veränderte Verhältnisse ein. Die Fortbildung des Rechts
durch Edicte der Obrigkeiten hörte auf, und die freye
Stellung des Juristenstandes wäre kaum mehr mit der
völlig entwickelten Kaiserlichen Gewalt vereinbar gewesen;

(f) So z. B. hatte der Prätor
für den Fall einer operis novi nun-
ciatio
ein Interdict versprochen
(L. 20 pr. de O. N. N. 39. 1.).
Das wurde ausgelegt blos von
einer Veränderung des Bodens,
und zwar blos von einer solchen,
die an einem Gebäude statt fand
(L. 1 § 11. 12 eod.). -- An einem
andern Orte sagte das Edict:
quod vi aut clam factum est
(L. 1 pr. quod vi 43.24.).
Auch das
wurde ausgelegt blos von einem
opus in solo, aber diesesmal
nicht blos an Gebäuden, sondern
auch an Aeckern, Bäumen u. s. w.
(L. 7 § 5 eod.). Diese Beschrän-
kungen und Unterschiede lagen
nicht in den Worten, noch we-
niger waren sie willkührlich: sie
gründeten sich auf die traditio-
nelle Bekanntschaft mit den Fällen
und Bedürfnissen, wofür durch
das eine und das andere Edict
gesorgt werden sollte.

§. 47. Ausſprüche des Römiſchen Rechts.
war, und in welchem Sinn er gleich von ſeinen Urhebern
angewendet wurde (f). — In allen dieſen Beziehungen
ſtehen wir anders als ſie, beſonders wenn wir nicht unſre
einheimiſchen Geſetze, ſondern die uns ſo fern ſtehenden
Juſtinianiſchen auszulegen haben. Unſere Lage iſt darin
ungleich ſchwieriger; aber hier, wie in vielen anderen
Fällen, iſt die durch die Schwierigkeit gebotene Anſtren-
gung nicht ohne Frucht geblieben. Der Begriff und die
Gränze wahrer Auslegung iſt dadurch unter uns zu einer
ſchärferen Ausbildung gelangt, als jemals bey den Rö-
mern, denen eine gleiche Nothwendigkeit nicht aufer-
legt war.

Unter den Kaiſern traten allmälig, beſonders ſeit der
Mitte des dritten Jahrhunderts unſrer Zeitrechnung, völlig
veränderte Verhältniſſe ein. Die Fortbildung des Rechts
durch Edicte der Obrigkeiten hörte auf, und die freye
Stellung des Juriſtenſtandes wäre kaum mehr mit der
völlig entwickelten Kaiſerlichen Gewalt vereinbar geweſen;

(f) So z. B. hatte der Prätor
für den Fall einer operis novi nun-
ciatio
ein Interdict verſprochen
(L. 20 pr. de O. N. N. 39. 1.).
Das wurde ausgelegt blos von
einer Veränderung des Bodens,
und zwar blos von einer ſolchen,
die an einem Gebäude ſtatt fand
(L. 1 § 11. 12 eod.). — An einem
andern Orte ſagte das Edict:
quod vi aut clam factum est
(L. 1 pr. quod vi 43.24.).
Auch das
wurde ausgelegt blos von einem
opus in solo, aber dieſesmal
nicht blos an Gebäuden, ſondern
auch an Aeckern, Bäumen u. ſ. w.
(L. 7 § 5 eod.). Dieſe Beſchrän-
kungen und Unterſchiede lagen
nicht in den Worten, noch we-
niger waren ſie willkührlich: ſie
gründeten ſich auf die traditio-
nelle Bekanntſchaft mit den Fällen
und Bedürfniſſen, wofür durch
das eine und das andere Edict
geſorgt werden ſollte.
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[299/0355] §. 47. Ausſprüche des Römiſchen Rechts. war, und in welchem Sinn er gleich von ſeinen Urhebern angewendet wurde (f). — In allen dieſen Beziehungen ſtehen wir anders als ſie, beſonders wenn wir nicht unſre einheimiſchen Geſetze, ſondern die uns ſo fern ſtehenden Juſtinianiſchen auszulegen haben. Unſere Lage iſt darin ungleich ſchwieriger; aber hier, wie in vielen anderen Fällen, iſt die durch die Schwierigkeit gebotene Anſtren- gung nicht ohne Frucht geblieben. Der Begriff und die Gränze wahrer Auslegung iſt dadurch unter uns zu einer ſchärferen Ausbildung gelangt, als jemals bey den Rö- mern, denen eine gleiche Nothwendigkeit nicht aufer- legt war. Unter den Kaiſern traten allmälig, beſonders ſeit der Mitte des dritten Jahrhunderts unſrer Zeitrechnung, völlig veränderte Verhältniſſe ein. Die Fortbildung des Rechts durch Edicte der Obrigkeiten hörte auf, und die freye Stellung des Juriſtenſtandes wäre kaum mehr mit der völlig entwickelten Kaiſerlichen Gewalt vereinbar geweſen; (f) So z. B. hatte der Prätor für den Fall einer operis novi nun- ciatio ein Interdict verſprochen (L. 20 pr. de O. N. N. 39. 1.). Das wurde ausgelegt blos von einer Veränderung des Bodens, und zwar blos von einer ſolchen, die an einem Gebäude ſtatt fand (L. 1 § 11. 12 eod.). — An einem andern Orte ſagte das Edict: quod vi aut clam factum est (L. 1 pr. quod vi 43.24.). Auch das wurde ausgelegt blos von einem opus in solo, aber dieſesmal nicht blos an Gebäuden, ſondern auch an Aeckern, Bäumen u. ſ. w. (L. 7 § 5 eod.). Dieſe Beſchrän- kungen und Unterſchiede lagen nicht in den Worten, noch we- niger waren ſie willkührlich: ſie gründeten ſich auf die traditio- nelle Bekanntſchaft mit den Fällen und Bedürfniſſen, wofür durch das eine und das andere Edict geſorgt werden ſollte.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/355>, abgerufen am 24.11.2024.