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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 46. Rechtsquellen als Ganzes. Lücken. Analogie.
tige und nothwendige anerkennen, und es ist wesentlich
dasselbe, welches auch schon zur Herstellung der Einheit
durch Beseitigung von Widersprüchen angewendet worden
ist (§ 45). Das Verhältniß der durch dieses Verfahren
gefundenen Rechtssätze zu dem gegebenen positiven Recht
nennen wir die Analogie (a), und sie ist es daher wo-
durch wir jede wahrgenommene Lücke auszufüllen haben.

Es kommt aber diese Rechtsfindung durch Analogie
in zwey Stufen vor. Erstlich wenn ein neues, bisher
unbekanntes, Rechtsverhältniß erscheint, für welches da-
her ein Rechtsinstitut, als Urbild, in dem bisher ausge-
bildeten positiven Recht nicht enthalten ist. Hier wird
ein solches urbildliches Rechtsinstitut, nach dem Gesetze
innerer Verwandtschaft mit schon bekannten, neu gestaltet
werden. Zweytens, und viel häufiger, wenn in einem
schon bekannten Rechtsinstitut eine einzelne Rechtsfrage
neu entsteht. Diese wird zu beantworten seyn nach der
inneren Verwandtschaft der diesem Institute angehörenden
Rechtssätze, zu welchem Zweck die richtige Einsicht in die
Gründe der einzelnen Gesetze (§ 34) sehr wichtig seyn
wird. -- Die analogische Rechtsfindung kann in beiden
Stufen vorkommen als Anstoß zur Fortbildung des Rechts,
z. B. durch Gesetzgebung, in welchem Fall sie mit größe-

(a) In demselben Sinn nah-
men den Ausdruck die Römer:
Varro de lingua lat. Lib. 10
(in ältern Ausgaben 9) C. 3--6.
Quinctilian. I. C. 6. Gellius
II. C. 25. Isidor. I. C.
27. --
Über das eigentliche Wesen der
Analogie erklärt sich sehr gut
Stahl Philosophie des Rechts
II. 1. S. 166.
19*

§. 46. Rechtsquellen als Ganzes. Lücken. Analogie.
tige und nothwendige anerkennen, und es iſt weſentlich
daſſelbe, welches auch ſchon zur Herſtellung der Einheit
durch Beſeitigung von Widerſprüchen angewendet worden
iſt (§ 45). Das Verhältniß der durch dieſes Verfahren
gefundenen Rechtsſätze zu dem gegebenen poſitiven Recht
nennen wir die Analogie (a), und ſie iſt es daher wo-
durch wir jede wahrgenommene Lücke auszufüllen haben.

Es kommt aber dieſe Rechtsfindung durch Analogie
in zwey Stufen vor. Erſtlich wenn ein neues, bisher
unbekanntes, Rechtsverhältniß erſcheint, für welches da-
her ein Rechtsinſtitut, als Urbild, in dem bisher ausge-
bildeten poſitiven Recht nicht enthalten iſt. Hier wird
ein ſolches urbildliches Rechtsinſtitut, nach dem Geſetze
innerer Verwandtſchaft mit ſchon bekannten, neu geſtaltet
werden. Zweytens, und viel häufiger, wenn in einem
ſchon bekannten Rechtsinſtitut eine einzelne Rechtsfrage
neu entſteht. Dieſe wird zu beantworten ſeyn nach der
inneren Verwandtſchaft der dieſem Inſtitute angehörenden
Rechtsſätze, zu welchem Zweck die richtige Einſicht in die
Gründe der einzelnen Geſetze (§ 34) ſehr wichtig ſeyn
wird. — Die analogiſche Rechtsfindung kann in beiden
Stufen vorkommen als Anſtoß zur Fortbildung des Rechts,
z. B. durch Geſetzgebung, in welchem Fall ſie mit größe-

(a) In demſelben Sinn nah-
men den Ausdruck die Römer:
Varro de lingua lat. Lib. 10
(in ältern Ausgaben 9) C. 3—6.
Quinctilian. I. C. 6. Gellius
II. C. 25. Isidor. I. C.
27. —
Über das eigentliche Weſen der
Analogie erklärt ſich ſehr gut
Stahl Philoſophie des Rechts
II. 1. S. 166.
19*
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[291/0347] §. 46. Rechtsquellen als Ganzes. Lücken. Analogie. tige und nothwendige anerkennen, und es iſt weſentlich daſſelbe, welches auch ſchon zur Herſtellung der Einheit durch Beſeitigung von Widerſprüchen angewendet worden iſt (§ 45). Das Verhältniß der durch dieſes Verfahren gefundenen Rechtsſätze zu dem gegebenen poſitiven Recht nennen wir die Analogie (a), und ſie iſt es daher wo- durch wir jede wahrgenommene Lücke auszufüllen haben. Es kommt aber dieſe Rechtsfindung durch Analogie in zwey Stufen vor. Erſtlich wenn ein neues, bisher unbekanntes, Rechtsverhältniß erſcheint, für welches da- her ein Rechtsinſtitut, als Urbild, in dem bisher ausge- bildeten poſitiven Recht nicht enthalten iſt. Hier wird ein ſolches urbildliches Rechtsinſtitut, nach dem Geſetze innerer Verwandtſchaft mit ſchon bekannten, neu geſtaltet werden. Zweytens, und viel häufiger, wenn in einem ſchon bekannten Rechtsinſtitut eine einzelne Rechtsfrage neu entſteht. Dieſe wird zu beantworten ſeyn nach der inneren Verwandtſchaft der dieſem Inſtitute angehörenden Rechtsſätze, zu welchem Zweck die richtige Einſicht in die Gründe der einzelnen Geſetze (§ 34) ſehr wichtig ſeyn wird. — Die analogiſche Rechtsfindung kann in beiden Stufen vorkommen als Anſtoß zur Fortbildung des Rechts, z. B. durch Geſetzgebung, in welchem Fall ſie mit größe- (a) In demſelben Sinn nah- men den Ausdruck die Römer: Varro de lingua lat. Lib. 10 (in ältern Ausgaben 9) C. 3—6. Quinctilian. I. C. 6. Gellius II. C. 25. Isidor. I. C. 27. — Über das eigentliche Weſen der Analogie erklärt ſich ſehr gut Stahl Philoſophie des Rechts II. 1. S. 166. 19*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/347>, abgerufen am 24.11.2024.