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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 39. Justinianische Gesetze. Kritik. Fortsetzung.
schäfts der höheren Kritik zu betrachten, der in der Ver-
besserung des handschriftlichen Textes, also in der Emen-
dation durch Conjecturen (d) besteht. Diese Conjectural-
kritik ist es eigentlich, welche eine so große Aufregung
gegen die kritische Behandlung unsrer Quellentexte über-
haupt hervorgebracht hat. Auch ist nicht zu läugnen, daß
dieselbe seit dem sechszehnten Jahrhundert von Manchen,
besonders Franzosen und Holländern, auf eine willkühr-
liche, ja leichtsinnige Weise geübt worden ist. Diesem
Misbrauch das Wort zu reden, ist gewiß nicht meine Ab-
sicht, aber das wichtige, ja unentbehrliche Recht auf ihren
richtigen Gebrauch dürfen wir darum weder aufgeben, noch
durch willkührliche Bedingungen einschränken lassen (e).

Die beiden hier angegebenen Anwendungen der höhe-
ren Kritik, zur Auswahl unter handschriftlichen Texten,
und zu deren Berichtigung, haben unverkennbare Ähnlich-
keit mit den beiden Auslegungsarten mangelhafter Gesetze,
im Fall des unbestimmten und des unrichtigen Ansdrucks
(§ 35 -- 37). Fragen wir also auch hier nach den Er-

(d) Emendation ist ganz rela-
tiv, und bezieht sich stets auf ir-
gend einen, willkührlich voraus-
gesetzten, Text, der gerade jetzt
verbessert werden soll. Daher
kann auch schon die bloße Be-
richtigung von Druckfehlern als
eine solche gelten; doch beschränkt
man gewöhnlich den Ausdruck
auf die Verbesserungen von wis-
senschaftlichem Character, d. h.
auf solche, die den Text bestimm-
ter Handschriften, oder der auf
Handschriften gebauten Ausga-
ben, zum Gegenstand haben.
(e) Eine solche unzulässige Ein-
schränkung ist es, wenn man
Conjecturen nur als letztes Mit-
tel gegen Sinnlosigkeit des Tex-
tes oder innern Widerspruch der
Gesetzgebung zulassen will, s. o.
§ 38 Note c.

§. 39. Juſtinianiſche Geſetze. Kritik. Fortſetzung.
ſchäfts der höheren Kritik zu betrachten, der in der Ver-
beſſerung des handſchriftlichen Textes, alſo in der Emen-
dation durch Conjecturen (d) beſteht. Dieſe Conjectural-
kritik iſt es eigentlich, welche eine ſo große Aufregung
gegen die kritiſche Behandlung unſrer Quellentexte über-
haupt hervorgebracht hat. Auch iſt nicht zu läugnen, daß
dieſelbe ſeit dem ſechszehnten Jahrhundert von Manchen,
beſonders Franzoſen und Holländern, auf eine willkühr-
liche, ja leichtſinnige Weiſe geübt worden iſt. Dieſem
Misbrauch das Wort zu reden, iſt gewiß nicht meine Ab-
ſicht, aber das wichtige, ja unentbehrliche Recht auf ihren
richtigen Gebrauch dürfen wir darum weder aufgeben, noch
durch willkührliche Bedingungen einſchränken laſſen (e).

Die beiden hier angegebenen Anwendungen der höhe-
ren Kritik, zur Auswahl unter handſchriftlichen Texten,
und zu deren Berichtigung, haben unverkennbare Ähnlich-
keit mit den beiden Auslegungsarten mangelhafter Geſetze,
im Fall des unbeſtimmten und des unrichtigen Ansdrucks
(§ 35 — 37). Fragen wir alſo auch hier nach den Er-

(d) Emendation iſt ganz rela-
tiv, und bezieht ſich ſtets auf ir-
gend einen, willkührlich voraus-
geſetzten, Text, der gerade jetzt
verbeſſert werden ſoll. Daher
kann auch ſchon die bloße Be-
richtigung von Druckfehlern als
eine ſolche gelten; doch beſchränkt
man gewöhnlich den Ausdruck
auf die Verbeſſerungen von wiſ-
ſenſchaftlichem Character, d. h.
auf ſolche, die den Text beſtimm-
ter Handſchriften, oder der auf
Handſchriften gebauten Ausga-
ben, zum Gegenſtand haben.
(e) Eine ſolche unzuläſſige Ein-
ſchränkung iſt es, wenn man
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tel gegen Sinnloſigkeit des Tex-
tes oder innern Widerſpruch der
Geſetzgebung zulaſſen will, ſ. o.
§ 38 Note c.
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[249/0305] §. 39. Juſtinianiſche Geſetze. Kritik. Fortſetzung. ſchäfts der höheren Kritik zu betrachten, der in der Ver- beſſerung des handſchriftlichen Textes, alſo in der Emen- dation durch Conjecturen (d) beſteht. Dieſe Conjectural- kritik iſt es eigentlich, welche eine ſo große Aufregung gegen die kritiſche Behandlung unſrer Quellentexte über- haupt hervorgebracht hat. Auch iſt nicht zu läugnen, daß dieſelbe ſeit dem ſechszehnten Jahrhundert von Manchen, beſonders Franzoſen und Holländern, auf eine willkühr- liche, ja leichtſinnige Weiſe geübt worden iſt. Dieſem Misbrauch das Wort zu reden, iſt gewiß nicht meine Ab- ſicht, aber das wichtige, ja unentbehrliche Recht auf ihren richtigen Gebrauch dürfen wir darum weder aufgeben, noch durch willkührliche Bedingungen einſchränken laſſen (e). Die beiden hier angegebenen Anwendungen der höhe- ren Kritik, zur Auswahl unter handſchriftlichen Texten, und zu deren Berichtigung, haben unverkennbare Ähnlich- keit mit den beiden Auslegungsarten mangelhafter Geſetze, im Fall des unbeſtimmten und des unrichtigen Ansdrucks (§ 35 — 37). Fragen wir alſo auch hier nach den Er- (d) Emendation iſt ganz rela- tiv, und bezieht ſich ſtets auf ir- gend einen, willkührlich voraus- geſetzten, Text, der gerade jetzt verbeſſert werden ſoll. Daher kann auch ſchon die bloße Be- richtigung von Druckfehlern als eine ſolche gelten; doch beſchränkt man gewöhnlich den Ausdruck auf die Verbeſſerungen von wiſ- ſenſchaftlichem Character, d. h. auf ſolche, die den Text beſtimm- ter Handſchriften, oder der auf Handſchriften gebauten Ausga- ben, zum Gegenſtand haben. (e) Eine ſolche unzuläſſige Ein- ſchränkung iſt es, wenn man Conjecturen nur als letztes Mit- tel gegen Sinnloſigkeit des Tex- tes oder innern Widerſpruch der Geſetzgebung zulaſſen will, ſ. o. § 38 Note c.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/305>, abgerufen am 23.11.2024.