durch ein rein logisches Verfahren erlangt wird. Eben darum aber endigt sie mit der deutlichen Einsicht in die Natur des vorliegenden Zweifels, und schließt nicht zu- gleich dessen Auflösung in sich. Diese muß vielmehr an- derwärts aufgesucht werden, und dazu dienen die bereits aufgestellten drey Klassen der Hülfsmittel (§ 35). Sie alle sind dazu anwendbar, und ihr verschiedener Werth kommt nur insoferne in Betracht, als eine Klasse vor der andern anzuwenden ist.
Zuerst also ist wo möglich die Unbestimmtheit aufzu- heben durch den Zusammenhang der Gesetzgebung, und wo dieses Mittel ausreicht, wird jedes andere als weni- ger sicher, und zugleich als überflüssig, ausgeschlossen.
Zweytens ist zu diesem Zweck anzuwenden der Grund des Gesetzes, und zwar wo möglich der specielle, mit dem Inhalt des Gesetzes unmittelbar verwandte Grund (§ 35), wenn wir einen solchen nachzuweisen vermögen. Verläßt uns dieser, so ist auch schon ein allgemeinerer Grund zu- lässig. So z. B. wenn der Inhalt des Gesetzes nur über- haupt auf aequitas beruht, was bey dem regelmäßigen Recht (§ 16) der neueren Zeit durchaus angenommen wer- den muß, so ist unter zwey an sich möglichen Erklärun- gen diejenige vorzuziehen, welche durch diese aequitas ge- rechtfertigt wird (f).
(f) So ist zu verstehen L. 8. C. de jud. (3. 1.) vom J. 314: "Placuit, in omnibus rebus praecipuam esse justitiae aequi- tatisque [scriptae], quam stricti juris rationem." Das heißt: wenn bey einem zweydeutigen Gesetze die eine Erklärung dem
Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
durch ein rein logiſches Verfahren erlangt wird. Eben darum aber endigt ſie mit der deutlichen Einſicht in die Natur des vorliegenden Zweifels, und ſchließt nicht zu- gleich deſſen Auflöſung in ſich. Dieſe muß vielmehr an- derwärts aufgeſucht werden, und dazu dienen die bereits aufgeſtellten drey Klaſſen der Hülfsmittel (§ 35). Sie alle ſind dazu anwendbar, und ihr verſchiedener Werth kommt nur inſoferne in Betracht, als eine Klaſſe vor der andern anzuwenden iſt.
Zuerſt alſo iſt wo möglich die Unbeſtimmtheit aufzu- heben durch den Zuſammenhang der Geſetzgebung, und wo dieſes Mittel ausreicht, wird jedes andere als weni- ger ſicher, und zugleich als überflüſſig, ausgeſchloſſen.
Zweytens iſt zu dieſem Zweck anzuwenden der Grund des Geſetzes, und zwar wo möglich der ſpecielle, mit dem Inhalt des Geſetzes unmittelbar verwandte Grund (§ 35), wenn wir einen ſolchen nachzuweiſen vermögen. Verläßt uns dieſer, ſo iſt auch ſchon ein allgemeinerer Grund zu- läſſig. So z. B. wenn der Inhalt des Geſetzes nur über- haupt auf aequitas beruht, was bey dem regelmäßigen Recht (§ 16) der neueren Zeit durchaus angenommen wer- den muß, ſo iſt unter zwey an ſich möglichen Erklärun- gen diejenige vorzuziehen, welche durch dieſe aequitas ge- rechtfertigt wird (f).
(f) So iſt zu verſtehen L. 8. C. de jud. (3. 1.) vom J. 314: „Placuit, in omnibus rebus praecipuam esse justitiae aequi- tatisque [scriptae], quam stricti juris rationem.” Das heißt: wenn bey einem zweydeutigen Geſetze die eine Erklärung dem
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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
durch ein rein logiſches Verfahren erlangt wird. Eben
darum aber endigt ſie mit der deutlichen Einſicht in die
Natur des vorliegenden Zweifels, und ſchließt nicht zu-
gleich deſſen Auflöſung in ſich. Dieſe muß vielmehr an-
derwärts aufgeſucht werden, und dazu dienen die bereits
aufgeſtellten drey Klaſſen der Hülfsmittel (§ 35). Sie
alle ſind dazu anwendbar, und ihr verſchiedener Werth
kommt nur inſoferne in Betracht, als eine Klaſſe vor der
andern anzuwenden iſt.
Zuerſt alſo iſt wo möglich die Unbeſtimmtheit aufzu-
heben durch den Zuſammenhang der Geſetzgebung, und
wo dieſes Mittel ausreicht, wird jedes andere als weni-
ger ſicher, und zugleich als überflüſſig, ausgeſchloſſen.
Zweytens iſt zu dieſem Zweck anzuwenden der Grund
des Geſetzes, und zwar wo möglich der ſpecielle, mit dem
Inhalt des Geſetzes unmittelbar verwandte Grund (§ 35),
wenn wir einen ſolchen nachzuweiſen vermögen. Verläßt
uns dieſer, ſo iſt auch ſchon ein allgemeinerer Grund zu-
läſſig. So z. B. wenn der Inhalt des Geſetzes nur über-
haupt auf aequitas beruht, was bey dem regelmäßigen
Recht (§ 16) der neueren Zeit durchaus angenommen wer-
den muß, ſo iſt unter zwey an ſich möglichen Erklärun-
gen diejenige vorzuziehen, welche durch dieſe aequitas ge-
rechtfertigt wird (f).
(f) So iſt zu verſtehen L. 8.
C. de jud. (3. 1.) vom J. 314:
„Placuit, in omnibus rebus
praecipuam esse justitiae aequi-
tatisque [scriptae], quam stricti
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wenn bey einem zweydeutigen
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/284>, abgerufen am 23.07.2024.
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