Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Vorrede. wie wenig er selbst dieses vermag. Dennoch ist es gut,sich ein solches Ziel für die vereinten Bestrebungen man- nichfaltiger Kräfte vor Augen zu halten; zunächst um in der wahren Richtung zu bleiben, dann auch um sich gegen alle Anwandlungen des Eigendünkels zu schützen, vor welchen keiner ganz sicher ist. -- Betrachten wir nun aber den wirklichen Zustand unsrer Rechtstheorie, wie sie jetzt ist, in Vergleichung mit dem Zustand, wie er vor Funfzig, und noch mehr wie er vor Hundert Jah- ren war, so finden wir Vorzüge und Nachtheile sehr ge- mischt. Zwar wird Niemand verkennen, daß jetzt Vie- les möglich geworden und wirklich geleistet ist, woran früher nicht zu denken war, ja daß die Masse der her- vorgearbeiteten Kenntnisse in Vergleichung mit jenen früheren Zeitpunkten sehr hoch steht. Sehen wir aber auf den oben geforderten praktischen Sinn, wodurch in den einzelnen Trägern der Theorie ihr Wissen belebt werden soll, so dürfte die Vergleichung minder vortheil- haft für die Gegenwart ausfallen. Dieser Mangel der Gegenwart aber steht im Zusammenhang mit der eigen- thümlichen Richtung, die in den theoretischen Bestrebun- gen selbst gegenwärtig wahrzunehmen ist. Gewiß ist Nichts löblicher, als der Trieb die Wissenschaft durch neue Entdeckungen zu bereichern; dennoch hat auch die- Vorrede. wie wenig er ſelbſt dieſes vermag. Dennoch iſt es gut,ſich ein ſolches Ziel für die vereinten Beſtrebungen man- nichfaltiger Kräfte vor Augen zu halten; zunächſt um in der wahren Richtung zu bleiben, dann auch um ſich gegen alle Anwandlungen des Eigendünkels zu ſchützen, vor welchen keiner ganz ſicher iſt. — Betrachten wir nun aber den wirklichen Zuſtand unſrer Rechtstheorie, wie ſie jetzt iſt, in Vergleichung mit dem Zuſtand, wie er vor Funfzig, und noch mehr wie er vor Hundert Jah- ren war, ſo finden wir Vorzüge und Nachtheile ſehr ge- miſcht. Zwar wird Niemand verkennen, daß jetzt Vie- les möglich geworden und wirklich geleiſtet iſt, woran früher nicht zu denken war, ja daß die Maſſe der her- vorgearbeiteten Kenntniſſe in Vergleichung mit jenen früheren Zeitpunkten ſehr hoch ſteht. Sehen wir aber auf den oben geforderten praktiſchen Sinn, wodurch in den einzelnen Trägern der Theorie ihr Wiſſen belebt werden ſoll, ſo dürfte die Vergleichung minder vortheil- haft für die Gegenwart ausfallen. Dieſer Mangel der Gegenwart aber ſteht im Zuſammenhang mit der eigen- thümlichen Richtung, die in den theoretiſchen Beſtrebun- gen ſelbſt gegenwärtig wahrzunehmen iſt. Gewiß iſt Nichts löblicher, als der Trieb die Wiſſenſchaft durch neue Entdeckungen zu bereichern; dennoch hat auch die- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0028" n="XXII"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorrede</hi>.</fw><lb/> wie wenig er ſelbſt dieſes vermag. Dennoch iſt es gut,<lb/> ſich ein ſolches Ziel für die vereinten Beſtrebungen man-<lb/> nichfaltiger Kräfte vor Augen zu halten; zunächſt um<lb/> in der wahren Richtung zu bleiben, dann auch um ſich<lb/> gegen alle Anwandlungen des Eigendünkels zu ſchützen,<lb/> vor welchen keiner ganz ſicher iſt. — Betrachten wir nun<lb/> aber den wirklichen Zuſtand unſrer Rechtstheorie, wie<lb/> ſie jetzt iſt, in Vergleichung mit dem Zuſtand, wie er<lb/> vor Funfzig, und noch mehr wie er vor Hundert Jah-<lb/> ren war, ſo finden wir Vorzüge und Nachtheile ſehr ge-<lb/> miſcht. Zwar wird Niemand verkennen, daß jetzt Vie-<lb/> les möglich geworden und wirklich geleiſtet iſt, woran<lb/> früher nicht zu denken war, ja daß die Maſſe der her-<lb/> vorgearbeiteten Kenntniſſe in Vergleichung mit jenen<lb/> früheren Zeitpunkten ſehr hoch ſteht. Sehen wir aber<lb/> auf den oben geforderten praktiſchen Sinn, wodurch in<lb/> den einzelnen Trägern der Theorie ihr Wiſſen belebt<lb/> werden ſoll, ſo dürfte die Vergleichung minder vortheil-<lb/> haft für die Gegenwart ausfallen. Dieſer Mangel der<lb/> Gegenwart aber ſteht im Zuſammenhang mit der eigen-<lb/> thümlichen Richtung, die in den theoretiſchen Beſtrebun-<lb/> gen ſelbſt gegenwärtig wahrzunehmen iſt. Gewiß iſt<lb/> Nichts löblicher, als der Trieb die Wiſſenſchaft durch<lb/> neue Entdeckungen zu bereichern; dennoch hat auch die-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [XXII/0028]
Vorrede.
wie wenig er ſelbſt dieſes vermag. Dennoch iſt es gut,
ſich ein ſolches Ziel für die vereinten Beſtrebungen man-
nichfaltiger Kräfte vor Augen zu halten; zunächſt um
in der wahren Richtung zu bleiben, dann auch um ſich
gegen alle Anwandlungen des Eigendünkels zu ſchützen,
vor welchen keiner ganz ſicher iſt. — Betrachten wir nun
aber den wirklichen Zuſtand unſrer Rechtstheorie, wie
ſie jetzt iſt, in Vergleichung mit dem Zuſtand, wie er
vor Funfzig, und noch mehr wie er vor Hundert Jah-
ren war, ſo finden wir Vorzüge und Nachtheile ſehr ge-
miſcht. Zwar wird Niemand verkennen, daß jetzt Vie-
les möglich geworden und wirklich geleiſtet iſt, woran
früher nicht zu denken war, ja daß die Maſſe der her-
vorgearbeiteten Kenntniſſe in Vergleichung mit jenen
früheren Zeitpunkten ſehr hoch ſteht. Sehen wir aber
auf den oben geforderten praktiſchen Sinn, wodurch in
den einzelnen Trägern der Theorie ihr Wiſſen belebt
werden ſoll, ſo dürfte die Vergleichung minder vortheil-
haft für die Gegenwart ausfallen. Dieſer Mangel der
Gegenwart aber ſteht im Zuſammenhang mit der eigen-
thümlichen Richtung, die in den theoretiſchen Beſtrebun-
gen ſelbſt gegenwärtig wahrzunehmen iſt. Gewiß iſt
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