§. 35. Auslegung mangelhafter Gesetze. Arten derselben, und Hülfsmittel dagegen.
Die aufgestellten Grundsätze der Auslegung (§ 33) kön- nen genügen für den gesunden Zustand des Gesetzes, da der Ausdruck einen in sich vollendeten Gedanken darstellt, und kein Umstand vorhanden ist, der uns hindert, diesen Gedanken als wahren Inhalt des Gesetzes anzuerkennen. Es sind aber nun noch die schwierigeren Fälle mangel- hafter Gesetze darzustellen, und zugleich die Hülfsmittel anzugeben, wodurch diese Schwierigkeiten beseitigt werden können. Die an sich denkbaren Fälle solcher mangelhaften Gesetze sind folgende:
I. Unbestimmter Ausdruck, der also überhaupt auf keinen vollendeten Gedanken führt.
II. Unrichtiger Ausdruck, indem der von ihm unmittel- bar bezeichnete Gedanke von dem wirklichen Gedanken des Gesetzes verschieden ist.
In diesen Fällen ist eine Stufenfolge des Bedürfnisses sichtbar. Denn die Beseitigung des ersten Mangels, wo er vorkommt, ist eben so unbedenklich als schlechthin noth- wendig. Der zweyte führt schon größere Bedenken mit sich, und macht wenigstens besondere Vorsicht nöthig.
Ehe aber diese Fälle im Einzelnen dargestellt werden, ist es nöthig, auch die Hülfsmittel zu erwägen, die bey ihrer Behandlung angewendet werden können.
Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
§. 35. Auslegung mangelhafter Geſetze. Arten derſelben, und Hülfsmittel dagegen.
Die aufgeſtellten Grundſätze der Auslegung (§ 33) kön- nen genügen für den geſunden Zuſtand des Geſetzes, da der Ausdruck einen in ſich vollendeten Gedanken darſtellt, und kein Umſtand vorhanden iſt, der uns hindert, dieſen Gedanken als wahren Inhalt des Geſetzes anzuerkennen. Es ſind aber nun noch die ſchwierigeren Fälle mangel- hafter Geſetze darzuſtellen, und zugleich die Hülfsmittel anzugeben, wodurch dieſe Schwierigkeiten beſeitigt werden können. Die an ſich denkbaren Fälle ſolcher mangelhaften Geſetze ſind folgende:
I. Unbeſtimmter Ausdruck, der alſo überhaupt auf keinen vollendeten Gedanken führt.
II. Unrichtiger Ausdruck, indem der von ihm unmittel- bar bezeichnete Gedanke von dem wirklichen Gedanken des Geſetzes verſchieden iſt.
In dieſen Fällen iſt eine Stufenfolge des Bedürfniſſes ſichtbar. Denn die Beſeitigung des erſten Mangels, wo er vorkommt, iſt eben ſo unbedenklich als ſchlechthin noth- wendig. Der zweyte führt ſchon größere Bedenken mit ſich, und macht wenigſtens beſondere Vorſicht nöthig.
Ehe aber dieſe Fälle im Einzelnen dargeſtellt werden, iſt es nöthig, auch die Hülfsmittel zu erwägen, die bey ihrer Behandlung angewendet werden können.
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Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
§. 35.
Auslegung mangelhafter Geſetze. Arten derſelben,
und Hülfsmittel dagegen.
Die aufgeſtellten Grundſätze der Auslegung (§ 33) kön-
nen genügen für den geſunden Zuſtand des Geſetzes, da
der Ausdruck einen in ſich vollendeten Gedanken darſtellt,
und kein Umſtand vorhanden iſt, der uns hindert, dieſen
Gedanken als wahren Inhalt des Geſetzes anzuerkennen.
Es ſind aber nun noch die ſchwierigeren Fälle mangel-
hafter Geſetze darzuſtellen, und zugleich die Hülfsmittel
anzugeben, wodurch dieſe Schwierigkeiten beſeitigt werden
können. Die an ſich denkbaren Fälle ſolcher mangelhaften
Geſetze ſind folgende:
I. Unbeſtimmter Ausdruck, der alſo überhaupt auf
keinen vollendeten Gedanken führt.
II. Unrichtiger Ausdruck, indem der von ihm unmittel-
bar bezeichnete Gedanke von dem wirklichen Gedanken des
Geſetzes verſchieden iſt.
In dieſen Fällen iſt eine Stufenfolge des Bedürfniſſes
ſichtbar. Denn die Beſeitigung des erſten Mangels, wo
er vorkommt, iſt eben ſo unbedenklich als ſchlechthin noth-
wendig. Der zweyte führt ſchon größere Bedenken mit
ſich, und macht wenigſtens beſondere Vorſicht nöthig.
Ehe aber dieſe Fälle im Einzelnen dargeſtellt werden,
iſt es nöthig, auch die Hülfsmittel zu erwägen, die bey
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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