§. 30. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortsetzung.
fähig wird, Kennzeichen einer zum Grund liegenden Rechts- überzeugung zu seyn. Diejenigen aber, welche der Pu- blicität eine eigenthümliche Wichtigkeit beylegen, gehen dabey entweder von dem consensus populi oder dem con- sensus principis aus, also von einem Grundirrthum über das Wesen des Gewohnheitsrechts (§ 28). Nach dieser Auffassung kann daher die allgemeine Forderung der Pu- blicität der Handlungen gar nicht eingeräumt werden (m).
§. 30. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortsetzung.
Wenn wir von dem Beweise eines Gewohnheitsrechts in praktischer Beziehung reden, so denken wir dabey an einen Rechtsstreit, worin eine Partey jenes Recht für sich geltend macht; wir fragen, wie der Richter zur Überzeu- gung von demselben gelange. Eine befriedigende Antwort auf diese Frage ist aber nur möglich, wenn wir zuvor die allgemeinere Frage untersuchen, wie überhaupt (ohne Rücksicht auf einen Richter) die Erkenntniß von dem Da- seyn und Inhalt eines Gewohnheitsrechts entstehe (a).
Denken wir zunächst an die Mitglieder derjenigen Ge- nossenschaft, in welcher das Gewohnheitsrecht entstanden ist, und fortdauernd lebt und wirkt (§ 7. 8.), so beant- wortet sich die Frage von selbst; ihre Erkenntniß ist eine
(m)PuchtaII. S. 40 fg.
(a) Vgl. überhaupt Puchta Gewohnheitsrecht II. Buch 3 Kap. 3.4.
§. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
fähig wird, Kennzeichen einer zum Grund liegenden Rechts- überzeugung zu ſeyn. Diejenigen aber, welche der Pu- blicität eine eigenthümliche Wichtigkeit beylegen, gehen dabey entweder von dem consensus populi oder dem con- sensus principis aus, alſo von einem Grundirrthum über das Weſen des Gewohnheitsrechts (§ 28). Nach dieſer Auffaſſung kann daher die allgemeine Forderung der Pu- blicität der Handlungen gar nicht eingeräumt werden (m).
§. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
Wenn wir von dem Beweiſe eines Gewohnheitsrechts in praktiſcher Beziehung reden, ſo denken wir dabey an einen Rechtsſtreit, worin eine Partey jenes Recht für ſich geltend macht; wir fragen, wie der Richter zur Überzeu- gung von demſelben gelange. Eine befriedigende Antwort auf dieſe Frage iſt aber nur möglich, wenn wir zuvor die allgemeinere Frage unterſuchen, wie überhaupt (ohne Rückſicht auf einen Richter) die Erkenntniß von dem Da- ſeyn und Inhalt eines Gewohnheitsrechts entſtehe (a).
Denken wir zunächſt an die Mitglieder derjenigen Ge- noſſenſchaft, in welcher das Gewohnheitsrecht entſtanden iſt, und fortdauernd lebt und wirkt (§ 7. 8.), ſo beant- wortet ſich die Frage von ſelbſt; ihre Erkenntniß iſt eine
(m)PuchtaII. S. 40 fg.
(a) Vgl. überhaupt Puchta Gewohnheitsrecht II. Buch 3 Kap. 3.4.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0237"n="181"/><fwplace="top"type="header">§. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.</fw><lb/>
fähig wird, Kennzeichen einer zum Grund liegenden Rechts-<lb/>
überzeugung zu ſeyn. Diejenigen aber, welche der Pu-<lb/>
blicität eine eigenthümliche Wichtigkeit beylegen, gehen<lb/>
dabey entweder von dem <hirendition="#aq">consensus populi</hi> oder dem <hirendition="#aq">con-<lb/>
sensus principis</hi> aus, alſo von einem Grundirrthum über<lb/>
das Weſen des Gewohnheitsrechts (§ 28). Nach dieſer<lb/>
Auffaſſung kann daher die allgemeine Forderung der Pu-<lb/>
blicität der Handlungen gar nicht eingeräumt werden <noteplace="foot"n="(m)"><hirendition="#g">Puchta</hi><hirendition="#aq">II.</hi> S. 40 fg.</note>.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 30.<lb/><hirendition="#g">Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen.<lb/>
Fortſetzung</hi>.</head><lb/><p>Wenn wir von dem <hirendition="#g">Beweiſe</hi> eines Gewohnheitsrechts<lb/>
in praktiſcher Beziehung reden, ſo denken wir dabey an<lb/>
einen Rechtsſtreit, worin eine Partey jenes Recht für ſich<lb/>
geltend macht; wir fragen, wie der Richter zur Überzeu-<lb/>
gung von demſelben gelange. Eine befriedigende Antwort<lb/>
auf dieſe Frage iſt aber nur möglich, wenn wir zuvor<lb/>
die allgemeinere Frage unterſuchen, wie überhaupt (ohne<lb/>
Rückſicht auf einen Richter) die Erkenntniß von dem Da-<lb/>ſeyn und Inhalt eines Gewohnheitsrechts entſtehe <noteplace="foot"n="(a)">Vgl. überhaupt <hirendition="#g">Puchta</hi> Gewohnheitsrecht <hirendition="#aq">II.</hi> Buch 3 Kap. 3.4.</note>.</p><lb/><p>Denken wir zunächſt an die Mitglieder derjenigen Ge-<lb/>
noſſenſchaft, in welcher das Gewohnheitsrecht entſtanden<lb/>
iſt, und fortdauernd lebt und wirkt (§ 7. 8.), ſo beant-<lb/>
wortet ſich die Frage von ſelbſt; ihre Erkenntniß iſt eine<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[181/0237]
§. 30. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
fähig wird, Kennzeichen einer zum Grund liegenden Rechts-
überzeugung zu ſeyn. Diejenigen aber, welche der Pu-
blicität eine eigenthümliche Wichtigkeit beylegen, gehen
dabey entweder von dem consensus populi oder dem con-
sensus principis aus, alſo von einem Grundirrthum über
das Weſen des Gewohnheitsrechts (§ 28). Nach dieſer
Auffaſſung kann daher die allgemeine Forderung der Pu-
blicität der Handlungen gar nicht eingeräumt werden (m).
§. 30.
Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen.
Fortſetzung.
Wenn wir von dem Beweiſe eines Gewohnheitsrechts
in praktiſcher Beziehung reden, ſo denken wir dabey an
einen Rechtsſtreit, worin eine Partey jenes Recht für ſich
geltend macht; wir fragen, wie der Richter zur Überzeu-
gung von demſelben gelange. Eine befriedigende Antwort
auf dieſe Frage iſt aber nur möglich, wenn wir zuvor
die allgemeinere Frage unterſuchen, wie überhaupt (ohne
Rückſicht auf einen Richter) die Erkenntniß von dem Da-
ſeyn und Inhalt eines Gewohnheitsrechts entſtehe (a).
Denken wir zunächſt an die Mitglieder derjenigen Ge-
noſſenſchaft, in welcher das Gewohnheitsrecht entſtanden
iſt, und fortdauernd lebt und wirkt (§ 7. 8.), ſo beant-
wortet ſich die Frage von ſelbſt; ihre Erkenntniß iſt eine
(m) Puchta II. S. 40 fg.
(a) Vgl. überhaupt Puchta Gewohnheitsrecht II. Buch 3 Kap. 3.4.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/237>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.