Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. sen wir nun aber diese Bedingungen des Gewohnheits-rechts so auf, wie es hier dargestellt worden ist, so erschei- nen dieselben nicht blos auf einzelne Handlungen und partikuläre Gewohnheiten anwendbar, sondern auch auf das noch wichtigere allgemeine Gewohnheitsrecht der neue- ren Zeiten. Denn der Unterschied, welcher oben in dem praktischen Recht gemacht worden ist, je nachdem es aus einer falschen Theorie hervorgieng, oder aber aus der Beachtung der veränderten Zustände und Bedürfnisse (§ 20) -- dieser Unterschied ist in der That nichts Anderes, als die Anwendung des hier entwickelten Grundsatzes. Die fal- sche Theorie ist ein errore, non ratione obtentum, und daher unfähig, als Gewohnheitsrecht zu gelten und zu wirken: die aus dem Bedürfniß unserer Verhältnisse her- vorgegangene Praxis dagegen hat die ratio, die nesessi- tatis opinio, zur Grundlage, und muß daher als wahres Gewohnheitsrecht gelten, selbst wenn in die Versuche einer theoretischen Rechtfertigung derselben auch mancher histo- rische Irrthum eingemischt seyn sollte. 8) Endlich stellen Manche noch als eine besondere, Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R. ſen wir nun aber dieſe Bedingungen des Gewohnheits-rechts ſo auf, wie es hier dargeſtellt worden iſt, ſo erſchei- nen dieſelben nicht blos auf einzelne Handlungen und partikuläre Gewohnheiten anwendbar, ſondern auch auf das noch wichtigere allgemeine Gewohnheitsrecht der neue- ren Zeiten. Denn der Unterſchied, welcher oben in dem praktiſchen Recht gemacht worden iſt, je nachdem es aus einer falſchen Theorie hervorgieng, oder aber aus der Beachtung der veränderten Zuſtände und Bedürfniſſe (§ 20) — dieſer Unterſchied iſt in der That nichts Anderes, als die Anwendung des hier entwickelten Grundſatzes. Die fal- ſche Theorie iſt ein errore, non ratione obtentum, und daher unfähig, als Gewohnheitsrecht zu gelten und zu wirken: die aus dem Bedürfniß unſerer Verhältniſſe her- vorgegangene Praxis dagegen hat die ratio, die nesessi- tatis opinio, zur Grundlage, und muß daher als wahres Gewohnheitsrecht gelten, ſelbſt wenn in die Verſuche einer theoretiſchen Rechtfertigung derſelben auch mancher hiſto- riſche Irrthum eingemiſcht ſeyn ſollte. 8) Endlich ſtellen Manche noch als eine beſondere, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0236" n="180"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">III.</hi> Quellen des heutigen R. R.</fw><lb/> ſen wir nun aber dieſe Bedingungen des Gewohnheits-<lb/> rechts ſo auf, wie es hier dargeſtellt worden iſt, ſo erſchei-<lb/> nen dieſelben nicht blos auf einzelne Handlungen und<lb/> partikuläre Gewohnheiten anwendbar, ſondern auch auf<lb/> das noch wichtigere allgemeine Gewohnheitsrecht der neue-<lb/> ren Zeiten. Denn der Unterſchied, welcher oben in dem<lb/> praktiſchen Recht gemacht worden iſt, je nachdem es aus<lb/> einer falſchen Theorie hervorgieng, oder aber aus der<lb/> Beachtung der veränderten Zuſtände und Bedürfniſſe (§ 20)<lb/> — dieſer Unterſchied iſt in der That nichts Anderes, als die<lb/> Anwendung des hier entwickelten Grundſatzes. Die fal-<lb/> ſche Theorie iſt ein <hi rendition="#aq">errore, non ratione obtentum,</hi> und<lb/> daher unfähig, als Gewohnheitsrecht zu gelten und zu<lb/> wirken: die aus dem Bedürfniß unſerer Verhältniſſe her-<lb/> vorgegangene Praxis dagegen hat die <hi rendition="#aq">ratio,</hi> die <hi rendition="#aq">nesessi-<lb/> tatis opinio,</hi> zur Grundlage, und muß daher als wahres<lb/> Gewohnheitsrecht gelten, ſelbſt wenn in die Verſuche einer<lb/> theoretiſchen Rechtfertigung derſelben auch mancher hiſto-<lb/> riſche Irrthum eingemiſcht ſeyn ſollte.</p><lb/> <p>8) Endlich ſtellen Manche noch als eine beſondere,<lb/> ſelbſtſtändige Bedingung, die Publicität der einzelnen Hand-<lb/> lungen auf. Allerdings kann manche einzelne Handlung<lb/> durch ihre Öffentlichkeit zur Darlegung eines Gewohn-<lb/> heitsrechts beſonders tauglich, manche andere durch ihre<lb/> Verſtecktheit dazu ungeſchickt werden, wie es eben an eini-<lb/> gen Beyſpielen nachgewieſen worden iſt. Das liegt darin,<lb/> daß die Handlung durch dieſe Umſtände mehr oder weniger<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [180/0236]
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
ſen wir nun aber dieſe Bedingungen des Gewohnheits-
rechts ſo auf, wie es hier dargeſtellt worden iſt, ſo erſchei-
nen dieſelben nicht blos auf einzelne Handlungen und
partikuläre Gewohnheiten anwendbar, ſondern auch auf
das noch wichtigere allgemeine Gewohnheitsrecht der neue-
ren Zeiten. Denn der Unterſchied, welcher oben in dem
praktiſchen Recht gemacht worden iſt, je nachdem es aus
einer falſchen Theorie hervorgieng, oder aber aus der
Beachtung der veränderten Zuſtände und Bedürfniſſe (§ 20)
— dieſer Unterſchied iſt in der That nichts Anderes, als die
Anwendung des hier entwickelten Grundſatzes. Die fal-
ſche Theorie iſt ein errore, non ratione obtentum, und
daher unfähig, als Gewohnheitsrecht zu gelten und zu
wirken: die aus dem Bedürfniß unſerer Verhältniſſe her-
vorgegangene Praxis dagegen hat die ratio, die nesessi-
tatis opinio, zur Grundlage, und muß daher als wahres
Gewohnheitsrecht gelten, ſelbſt wenn in die Verſuche einer
theoretiſchen Rechtfertigung derſelben auch mancher hiſto-
riſche Irrthum eingemiſcht ſeyn ſollte.
8) Endlich ſtellen Manche noch als eine beſondere,
ſelbſtſtändige Bedingung, die Publicität der einzelnen Hand-
lungen auf. Allerdings kann manche einzelne Handlung
durch ihre Öffentlichkeit zur Darlegung eines Gewohn-
heitsrechts beſonders tauglich, manche andere durch ihre
Verſtecktheit dazu ungeſchickt werden, wie es eben an eini-
gen Beyſpielen nachgewieſen worden iſt. Das liegt darin,
daß die Handlung durch dieſe Umſtände mehr oder weniger
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |