Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
thum vorhanden seyn konnte und mußte. Indessen ist diese Bedingung nicht ohne alle Einschränkung als wahr anzunehmen. Wenn z. B. neben der wirklich vorhandenen Volksüberzeugung der theoretische Irrthum nur als eine äußere Bestärkung gedient hat (§ 20), so steht der Irrthum nicht im Wege. Eben so ist es auch, wenn die Handlung eine so äußerliche und an sich gleichgültige Natur hat, daß dabey von einer inneren Überzeugung eigentlich nicht die Rede seyn kann. So z. B. kann es jetzt als ausge- macht angesehen werden, daß sich seit dem Mittelalter eine, dem Römischen Recht fremde Form in die Unterschriften und Siegel der Zeugen irrigerweise eingeschlichen hat. Diese ursprünglich irrige Form ist durch den langen, völlig gleichförmigen Gebrauch in der That zu einer Rechtsform geworden (h).
7) Die Handlungen sollen vernunftgemäß (rationabiles) seyn. Die Stellen des canonischen Rechts, woraus diese Bedingung abgeleitet wird, sind schon oben angeführt wor- den (§ 25 Note z.). Nimmt man diese Bedingung in einem positiven Sinn, als Zweckmäßigkeit und Heilsam- keit der in der Gewohnheit ausgedrückten Regel, so ist es sehr bedenklich für die Rechtsgewißheit, dem Richter das Urtheil über eine so wenig bestimmbare Eigenschaft zu überlassen. Daher wird sie denn auch häufiger in einem blos negativen Sinn aufgefaßt, so daß dadurch nur die ganz widersinnigen, dem sittlichen Gefühl widerstre-
(h) Über den Irrthum bey Gewohnheiten vgl. PuchtaII. S. 62 fg.
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
thum vorhanden ſeyn konnte und mußte. Indeſſen iſt dieſe Bedingung nicht ohne alle Einſchränkung als wahr anzunehmen. Wenn z. B. neben der wirklich vorhandenen Volksüberzeugung der theoretiſche Irrthum nur als eine äußere Beſtärkung gedient hat (§ 20), ſo ſteht der Irrthum nicht im Wege. Eben ſo iſt es auch, wenn die Handlung eine ſo äußerliche und an ſich gleichgültige Natur hat, daß dabey von einer inneren Überzeugung eigentlich nicht die Rede ſeyn kann. So z. B. kann es jetzt als ausge- macht angeſehen werden, daß ſich ſeit dem Mittelalter eine, dem Römiſchen Recht fremde Form in die Unterſchriften und Siegel der Zeugen irrigerweiſe eingeſchlichen hat. Dieſe urſprünglich irrige Form iſt durch den langen, völlig gleichförmigen Gebrauch in der That zu einer Rechtsform geworden (h).
7) Die Handlungen ſollen vernunftgemäß (rationabiles) ſeyn. Die Stellen des canoniſchen Rechts, woraus dieſe Bedingung abgeleitet wird, ſind ſchon oben angeführt wor- den (§ 25 Note z.). Nimmt man dieſe Bedingung in einem poſitiven Sinn, als Zweckmäßigkeit und Heilſam- keit der in der Gewohnheit ausgedrückten Regel, ſo iſt es ſehr bedenklich für die Rechtsgewißheit, dem Richter das Urtheil über eine ſo wenig beſtimmbare Eigenſchaft zu überlaſſen. Daher wird ſie denn auch häufiger in einem blos negativen Sinn aufgefaßt, ſo daß dadurch nur die ganz widerſinnigen, dem ſittlichen Gefühl widerſtre-
(h) Über den Irrthum bey Gewohnheiten vgl. PuchtaII. S. 62 fg.
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Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
thum vorhanden ſeyn konnte und mußte. Indeſſen iſt
dieſe Bedingung nicht ohne alle Einſchränkung als wahr
anzunehmen. Wenn z. B. neben der wirklich vorhandenen
Volksüberzeugung der theoretiſche Irrthum nur als eine
äußere Beſtärkung gedient hat (§ 20), ſo ſteht der Irrthum
nicht im Wege. Eben ſo iſt es auch, wenn die Handlung
eine ſo äußerliche und an ſich gleichgültige Natur hat,
daß dabey von einer inneren Überzeugung eigentlich nicht
die Rede ſeyn kann. So z. B. kann es jetzt als ausge-
macht angeſehen werden, daß ſich ſeit dem Mittelalter eine,
dem Römiſchen Recht fremde Form in die Unterſchriften
und Siegel der Zeugen irrigerweiſe eingeſchlichen hat.
Dieſe urſprünglich irrige Form iſt durch den langen, völlig
gleichförmigen Gebrauch in der That zu einer Rechtsform
geworden (h).
7) Die Handlungen ſollen vernunftgemäß (rationabiles)
ſeyn. Die Stellen des canoniſchen Rechts, woraus dieſe
Bedingung abgeleitet wird, ſind ſchon oben angeführt wor-
den (§ 25 Note z.). Nimmt man dieſe Bedingung in
einem poſitiven Sinn, als Zweckmäßigkeit und Heilſam-
keit der in der Gewohnheit ausgedrückten Regel, ſo iſt
es ſehr bedenklich für die Rechtsgewißheit, dem Richter
das Urtheil über eine ſo wenig beſtimmbare Eigenſchaft
zu überlaſſen. Daher wird ſie denn auch häufiger in
einem blos negativen Sinn aufgefaßt, ſo daß dadurch nur
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(h) Über den Irrthum bey Gewohnheiten vgl. Puchta II. S. 62 fg.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/232>, abgerufen am 23.07.2024.
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