Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 29. Ansichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortsetzung.
hier, wie bey der Mehrheit der Handlungen, kommt Alles
darauf an, zu verhüten, daß das Individuelle, Zufällige,
Vorübergehende durch den täuschenden Schein, den es
annehmen kann, fälschlich als Kennzeichen einer zum
Grund liegenden gemeinsamen Rechtsüberzeugung angese-
hen werde (c).

4) Daß zu solchen Handlungen besonders auch rich-
terliche Urtheile tauglich seyen, war allgemein anerkannt.
Dagegen behaupteten Manche, solche Urtheile seyen zu
einem Gewohnheitsrecht ganz unentbehrlich, was jedoch
von den Meisten mit Recht verworfen wurde (d). Allein
ganz unbedingt kann ich selbst die Zulässigkeit der Ur-
theile zu diesem Zweck nicht einräumen. Es gilt viel-
mehr von denselben das, was oben (§ 20) von den prak-
tischen Arbeiten der Juristen überhaupt, mit Unterschei-
dung der Fälle, gesagt worden ist. Sind also die Ur-
theile namentlich auf ein Gewohnheitsrecht gegründet, so
gelten sie als wichtige Zeugnisse für dessen Daseyn. Eben
so, wenn sie auch nur eine Rechtsregel überhaupt als
wahr und gewiß anerkennen, ohne sich über deren Her-
kunft bestimmter auszusprechen. Anders wenn sie eine
Rechtsregel aus theoretischen Gründen, und zwar aus
einer falschen Theorie, herleiten: denn nun haben sie selbst
nur den Character der Theorie, und es läßt sich aus ihnen

(c) Puchta II. S. 93 fg.
(d) Lauterbach I 3. § 35,
Müller ad Struv. I
3. § 20,
Glück I § 86 N. V. Guilleaume
a. a. O. § 31. Besonders Puchta
II. S. 31 fg.

§. 29. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung.
hier, wie bey der Mehrheit der Handlungen, kommt Alles
darauf an, zu verhüten, daß das Individuelle, Zufällige,
Vorübergehende durch den täuſchenden Schein, den es
annehmen kann, fälſchlich als Kennzeichen einer zum
Grund liegenden gemeinſamen Rechtsüberzeugung angeſe-
hen werde (c).

4) Daß zu ſolchen Handlungen beſonders auch rich-
terliche Urtheile tauglich ſeyen, war allgemein anerkannt.
Dagegen behaupteten Manche, ſolche Urtheile ſeyen zu
einem Gewohnheitsrecht ganz unentbehrlich, was jedoch
von den Meiſten mit Recht verworfen wurde (d). Allein
ganz unbedingt kann ich ſelbſt die Zuläſſigkeit der Ur-
theile zu dieſem Zweck nicht einräumen. Es gilt viel-
mehr von denſelben das, was oben (§ 20) von den prak-
tiſchen Arbeiten der Juriſten überhaupt, mit Unterſchei-
dung der Fälle, geſagt worden iſt. Sind alſo die Ur-
theile namentlich auf ein Gewohnheitsrecht gegründet, ſo
gelten ſie als wichtige Zeugniſſe für deſſen Daſeyn. Eben
ſo, wenn ſie auch nur eine Rechtsregel überhaupt als
wahr und gewiß anerkennen, ohne ſich über deren Her-
kunft beſtimmter auszuſprechen. Anders wenn ſie eine
Rechtsregel aus theoretiſchen Gründen, und zwar aus
einer falſchen Theorie, herleiten: denn nun haben ſie ſelbſt
nur den Character der Theorie, und es läßt ſich aus ihnen

(c) Puchta II. S. 93 fg.
(d) Lauterbach I 3. § 35,
Müller ad Struv. I
3. § 20,
Glück I § 86 N. V. Guilleaume
a. a. O. § 31. Beſonders Puchta
II. S. 31 fg.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0229" n="173"/><fw place="top" type="header">§. 29. An&#x017F;ichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fort&#x017F;etzung.</fw><lb/>
hier, wie bey der Mehrheit der Handlungen, kommt Alles<lb/>
darauf an, zu verhüten, daß das Individuelle, Zufällige,<lb/>
Vorübergehende durch den täu&#x017F;chenden Schein, den es<lb/>
annehmen kann, fäl&#x017F;chlich als Kennzeichen einer zum<lb/>
Grund liegenden gemein&#x017F;amen Rechtsüberzeugung ange&#x017F;e-<lb/>
hen werde <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#g">Puchta</hi><hi rendition="#aq">II.</hi> S. 93 fg.</note>.</p><lb/>
            <p>4) Daß zu &#x017F;olchen Handlungen be&#x017F;onders auch rich-<lb/>
terliche Urtheile tauglich &#x017F;eyen, war allgemein anerkannt.<lb/>
Dagegen behaupteten Manche, &#x017F;olche Urtheile &#x017F;eyen zu<lb/>
einem Gewohnheitsrecht ganz unentbehrlich, was jedoch<lb/>
von den Mei&#x017F;ten mit Recht verworfen wurde <note place="foot" n="(d)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#k">Lauterbach</hi> I 3. § 35,<lb/><hi rendition="#k">Müller</hi> ad Struv. I</hi> 3. § 20,<lb/><hi rendition="#g">Glück</hi> <hi rendition="#aq">I § 86 N. V.</hi> <hi rendition="#g">Guilleaume</hi><lb/>
a. a. O. § 31. Be&#x017F;onders <hi rendition="#g">Puchta</hi><lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> S. 31 fg.</note>. Allein<lb/>
ganz unbedingt kann ich &#x017F;elb&#x017F;t die Zulä&#x017F;&#x017F;igkeit der Ur-<lb/>
theile zu die&#x017F;em Zweck nicht einräumen. Es gilt viel-<lb/>
mehr von den&#x017F;elben das, was oben (§ 20) von den prak-<lb/>
ti&#x017F;chen Arbeiten der Juri&#x017F;ten überhaupt, mit Unter&#x017F;chei-<lb/>
dung der Fälle, ge&#x017F;agt worden i&#x017F;t. Sind al&#x017F;o die Ur-<lb/>
theile namentlich auf ein Gewohnheitsrecht gegründet, &#x017F;o<lb/>
gelten &#x017F;ie als wichtige Zeugni&#x017F;&#x017F;e für de&#x017F;&#x017F;en Da&#x017F;eyn. Eben<lb/>
&#x017F;o, wenn &#x017F;ie auch nur eine Rechtsregel überhaupt als<lb/>
wahr und gewiß anerkennen, ohne &#x017F;ich über deren Her-<lb/>
kunft be&#x017F;timmter auszu&#x017F;prechen. Anders wenn &#x017F;ie eine<lb/>
Rechtsregel aus theoreti&#x017F;chen Gründen, und zwar aus<lb/>
einer fal&#x017F;chen Theorie, herleiten: denn nun haben &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nur den Character der Theorie, und es läßt &#x017F;ich aus ihnen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0229] §. 29. Anſichten der Neueren von den Rechtsquellen. Fortſetzung. hier, wie bey der Mehrheit der Handlungen, kommt Alles darauf an, zu verhüten, daß das Individuelle, Zufällige, Vorübergehende durch den täuſchenden Schein, den es annehmen kann, fälſchlich als Kennzeichen einer zum Grund liegenden gemeinſamen Rechtsüberzeugung angeſe- hen werde (c). 4) Daß zu ſolchen Handlungen beſonders auch rich- terliche Urtheile tauglich ſeyen, war allgemein anerkannt. Dagegen behaupteten Manche, ſolche Urtheile ſeyen zu einem Gewohnheitsrecht ganz unentbehrlich, was jedoch von den Meiſten mit Recht verworfen wurde (d). Allein ganz unbedingt kann ich ſelbſt die Zuläſſigkeit der Ur- theile zu dieſem Zweck nicht einräumen. Es gilt viel- mehr von denſelben das, was oben (§ 20) von den prak- tiſchen Arbeiten der Juriſten überhaupt, mit Unterſchei- dung der Fälle, geſagt worden iſt. Sind alſo die Ur- theile namentlich auf ein Gewohnheitsrecht gegründet, ſo gelten ſie als wichtige Zeugniſſe für deſſen Daſeyn. Eben ſo, wenn ſie auch nur eine Rechtsregel überhaupt als wahr und gewiß anerkennen, ohne ſich über deren Her- kunft beſtimmter auszuſprechen. Anders wenn ſie eine Rechtsregel aus theoretiſchen Gründen, und zwar aus einer falſchen Theorie, herleiten: denn nun haben ſie ſelbſt nur den Character der Theorie, und es läßt ſich aus ihnen (c) Puchta II. S. 93 fg. (d) Lauterbach I 3. § 35, Müller ad Struv. I 3. § 20, Glück I § 86 N. V. Guilleaume a. a. O. § 31. Beſonders Puchta II. S. 31 fg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/229
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/229>, abgerufen am 18.12.2024.