§. 27. Prakt. Werth der Röm. Bestimmungen über die Rechtsq.
Rechtsquellen enthaltenen Vorschriften ganz willkührlich bald annehmen, bald mit Stillschweigen übergehen. Da nun eine unbedingte Anwendung aller dieser Vorschriften ganz unmöglich seyn würde, so entsteht schon daraus ein zwiefaches Bedenken gegen jede Anwendung überhaupt. Denn erstlich ist dieses Verfahren inconsequent, und gegen diesen Vorwurf könnte man sich nur dadurch retten, daß man annähme, durch ein neueres Gewohnheitsrecht sey z. B. das Verbot der juristischen Bücher wieder abgeschafft worden. Zweytens aber ist zu erwägen, daß diejenigen Vorschriften, die man als noch jetzt gültig annimmt, ab- getrennt von dem Zusammenhang mit den verworfenen, vielleicht eine ganz andere Natur annehmen, und selbst unpassend werden dürften.
Geht man aber der Sache mehr auf den Grund, und fragt man, warum einige dieser Vorschriften, besonders welche die Gesetze betreffen, entschieden für unanwendbar gehalten werden müssen, so erkennt man bald den Grund darin, daß sie dem Staatsrecht angehören, welches überhaupt nicht unter die recipirten Theile des fremden Rechts gehört (§ 1. 17.). Dieser Grund aber paßt nicht nur auf die Gesetzgebung, sondern eben so auch auf jede andere Bildungsweise des allgemeinen Rechts, so daß, wer den Grundsatz festhalten will, auch anerkennen muß, daß das Römische Recht auf die Rechtsquellen überhaupt nicht anzuwenden ist. Dadurch wird denn unter andern die Streitfrage über den Sinn der L. 2 C. quae si
§. 27. Prakt. Werth der Röm. Beſtimmungen über die Rechtsq.
Rechtsquellen enthaltenen Vorſchriften ganz willkührlich bald annehmen, bald mit Stillſchweigen übergehen. Da nun eine unbedingte Anwendung aller dieſer Vorſchriften ganz unmöglich ſeyn würde, ſo entſteht ſchon daraus ein zwiefaches Bedenken gegen jede Anwendung überhaupt. Denn erſtlich iſt dieſes Verfahren inconſequent, und gegen dieſen Vorwurf könnte man ſich nur dadurch retten, daß man annähme, durch ein neueres Gewohnheitsrecht ſey z. B. das Verbot der juriſtiſchen Bücher wieder abgeſchafft worden. Zweytens aber iſt zu erwägen, daß diejenigen Vorſchriften, die man als noch jetzt gültig annimmt, ab- getrennt von dem Zuſammenhang mit den verworfenen, vielleicht eine ganz andere Natur annehmen, und ſelbſt unpaſſend werden dürften.
Geht man aber der Sache mehr auf den Grund, und fragt man, warum einige dieſer Vorſchriften, beſonders welche die Geſetze betreffen, entſchieden für unanwendbar gehalten werden müſſen, ſo erkennt man bald den Grund darin, daß ſie dem Staatsrecht angehören, welches überhaupt nicht unter die recipirten Theile des fremden Rechts gehört (§ 1. 17.). Dieſer Grund aber paßt nicht nur auf die Geſetzgebung, ſondern eben ſo auch auf jede andere Bildungsweiſe des allgemeinen Rechts, ſo daß, wer den Grundſatz feſthalten will, auch anerkennen muß, daß das Römiſche Recht auf die Rechtsquellen überhaupt nicht anzuwenden iſt. Dadurch wird denn unter andern die Streitfrage über den Sinn der L. 2 C. quae si
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0221"n="165"/><fwplace="top"type="header">§. 27. Prakt. Werth der Röm. Beſtimmungen über die Rechtsq.</fw><lb/>
Rechtsquellen enthaltenen Vorſchriften ganz willkührlich<lb/>
bald annehmen, bald mit Stillſchweigen übergehen. Da<lb/>
nun eine unbedingte Anwendung aller dieſer Vorſchriften<lb/>
ganz unmöglich ſeyn würde, ſo entſteht ſchon daraus ein<lb/>
zwiefaches Bedenken gegen jede Anwendung überhaupt.<lb/>
Denn erſtlich iſt dieſes Verfahren inconſequent, und gegen<lb/>
dieſen Vorwurf könnte man ſich nur dadurch retten, daß<lb/>
man annähme, durch ein neueres Gewohnheitsrecht ſey<lb/>
z. B. das Verbot der juriſtiſchen Bücher wieder abgeſchafft<lb/>
worden. Zweytens aber iſt zu erwägen, daß diejenigen<lb/>
Vorſchriften, die man als noch jetzt gültig annimmt, ab-<lb/>
getrennt von dem Zuſammenhang mit den verworfenen,<lb/>
vielleicht eine ganz andere Natur annehmen, und ſelbſt<lb/>
unpaſſend werden dürften.</p><lb/><p>Geht man aber der Sache mehr auf den Grund, und<lb/>
fragt man, warum einige dieſer Vorſchriften, beſonders<lb/>
welche die Geſetze betreffen, entſchieden für unanwendbar<lb/>
gehalten werden müſſen, ſo erkennt man bald den Grund<lb/>
darin, daß ſie dem <hirendition="#g">Staatsrecht</hi> angehören, welches<lb/>
überhaupt nicht unter die recipirten Theile des fremden<lb/>
Rechts gehört (§ 1. 17.). Dieſer Grund aber paßt nicht<lb/>
nur auf die Geſetzgebung, ſondern eben ſo auch auf jede<lb/>
andere Bildungsweiſe des allgemeinen Rechts, ſo daß,<lb/>
wer den Grundſatz feſthalten will, auch anerkennen muß,<lb/>
daß das Römiſche Recht auf die Rechtsquellen überhaupt<lb/>
nicht anzuwenden iſt. Dadurch wird denn unter andern<lb/>
die Streitfrage über den Sinn der <hirendition="#aq">L. 2 C. quae si</hi><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[165/0221]
§. 27. Prakt. Werth der Röm. Beſtimmungen über die Rechtsq.
Rechtsquellen enthaltenen Vorſchriften ganz willkührlich
bald annehmen, bald mit Stillſchweigen übergehen. Da
nun eine unbedingte Anwendung aller dieſer Vorſchriften
ganz unmöglich ſeyn würde, ſo entſteht ſchon daraus ein
zwiefaches Bedenken gegen jede Anwendung überhaupt.
Denn erſtlich iſt dieſes Verfahren inconſequent, und gegen
dieſen Vorwurf könnte man ſich nur dadurch retten, daß
man annähme, durch ein neueres Gewohnheitsrecht ſey
z. B. das Verbot der juriſtiſchen Bücher wieder abgeſchafft
worden. Zweytens aber iſt zu erwägen, daß diejenigen
Vorſchriften, die man als noch jetzt gültig annimmt, ab-
getrennt von dem Zuſammenhang mit den verworfenen,
vielleicht eine ganz andere Natur annehmen, und ſelbſt
unpaſſend werden dürften.
Geht man aber der Sache mehr auf den Grund, und
fragt man, warum einige dieſer Vorſchriften, beſonders
welche die Geſetze betreffen, entſchieden für unanwendbar
gehalten werden müſſen, ſo erkennt man bald den Grund
darin, daß ſie dem Staatsrecht angehören, welches
überhaupt nicht unter die recipirten Theile des fremden
Rechts gehört (§ 1. 17.). Dieſer Grund aber paßt nicht
nur auf die Geſetzgebung, ſondern eben ſo auch auf jede
andere Bildungsweiſe des allgemeinen Rechts, ſo daß,
wer den Grundſatz feſthalten will, auch anerkennen muß,
daß das Römiſche Recht auf die Rechtsquellen überhaupt
nicht anzuwenden iſt. Dadurch wird denn unter andern
die Streitfrage über den Sinn der L. 2 C. quae si
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/221>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.