Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Recht den Rescripten niemals zukam, sondern nur den Decreten (§ 23. 24.).
Bey dem Gewohnheitsrecht (§ 25) wird im Allgemei- nen die Anwendbarkeit des Römischen Rechts gar nicht bezweifelt. Nur findet es sich wohl, daß ein einzelner Schriftsteller, wenn er eine besondere Anwendung des Ge- wohnheitsrechts überhaupt bekämpft, die doch im Römi- schen Recht anerkannt ist, dieses Bedenken durch kritische Zweifel an der Anwendbarkeit jenes Rechts zu entfer- nen sucht (c).
Bey dem wissenschaftlichen Recht endlich (§ 26) pflegt man das nicht unwichtige Gesetz Justinians gegen die juri- stischen Bücher ganz mit Stillschweigen zu übergehen, und ich kenne auch nicht einen einzigen neueren Schriftsteller, der aus Gehorsam gegen jenes Gesetz behauptete, solche Bücher müßten noch jetzt zerstört werden. Eine solche Lieblosigkeit gegen das eigene Werk wäre auch in der That unverantwortlich gewesen. Und doch, warum sollte dieses Gesetz weniger Kraft haben, als die anderen über verwandte Fragen?
Faßt man dieses Alles zusammen, so ergiebt es sich, daß unsere Juristen die im Römischen Recht über die
andere Schriftsteller für und wi- der seine Meynung anführt.
(c) So z. B. Schweitzer de desuetudine p. 52. 53. 84. Die ganze Schrift ist gegen die Wir- kung der reinen desuetudo ge- richtet, und deswegen behauptet er, daß in dieser Frage das R. R. keine Anwendbarkeit habe: für das ganze übrige Gewohnheits- recht soll es gelten, und nament- lich schon für die nahe verwandte Frage von der obrogatio durch Gewohnheit.
Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Recht den Reſcripten niemals zukam, ſondern nur den Decreten (§ 23. 24.).
Bey dem Gewohnheitsrecht (§ 25) wird im Allgemei- nen die Anwendbarkeit des Römiſchen Rechts gar nicht bezweifelt. Nur findet es ſich wohl, daß ein einzelner Schriftſteller, wenn er eine beſondere Anwendung des Ge- wohnheitsrechts überhaupt bekämpft, die doch im Römi- ſchen Recht anerkannt iſt, dieſes Bedenken durch kritiſche Zweifel an der Anwendbarkeit jenes Rechts zu entfer- nen ſucht (c).
Bey dem wiſſenſchaftlichen Recht endlich (§ 26) pflegt man das nicht unwichtige Geſetz Juſtinians gegen die juri- ſtiſchen Bücher ganz mit Stillſchweigen zu übergehen, und ich kenne auch nicht einen einzigen neueren Schriftſteller, der aus Gehorſam gegen jenes Geſetz behauptete, ſolche Bücher müßten noch jetzt zerſtört werden. Eine ſolche Liebloſigkeit gegen das eigene Werk wäre auch in der That unverantwortlich geweſen. Und doch, warum ſollte dieſes Geſetz weniger Kraft haben, als die anderen über verwandte Fragen?
Faßt man dieſes Alles zuſammen, ſo ergiebt es ſich, daß unſere Juriſten die im Römiſchen Recht über die
andere Schriftſteller für und wi- der ſeine Meynung anführt.
(c) So z. B. Schweitzer de desuetudine p. 52. 53. 84. Die ganze Schrift iſt gegen die Wir- kung der reinen desuetudo ge- richtet, und deswegen behauptet er, daß in dieſer Frage das R. R. keine Anwendbarkeit habe: für das ganze übrige Gewohnheits- recht ſoll es gelten, und nament- lich ſchon für die nahe verwandte Frage von der obrogatio durch Gewohnheit.
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Buch I. Quellen. Kap. III. Quellen des heutigen R. R.
Recht den Reſcripten niemals zukam, ſondern nur den
Decreten (§ 23. 24.).
Bey dem Gewohnheitsrecht (§ 25) wird im Allgemei-
nen die Anwendbarkeit des Römiſchen Rechts gar nicht
bezweifelt. Nur findet es ſich wohl, daß ein einzelner
Schriftſteller, wenn er eine beſondere Anwendung des Ge-
wohnheitsrechts überhaupt bekämpft, die doch im Römi-
ſchen Recht anerkannt iſt, dieſes Bedenken durch kritiſche
Zweifel an der Anwendbarkeit jenes Rechts zu entfer-
nen ſucht (c).
Bey dem wiſſenſchaftlichen Recht endlich (§ 26) pflegt
man das nicht unwichtige Geſetz Juſtinians gegen die juri-
ſtiſchen Bücher ganz mit Stillſchweigen zu übergehen, und
ich kenne auch nicht einen einzigen neueren Schriftſteller,
der aus Gehorſam gegen jenes Geſetz behauptete, ſolche
Bücher müßten noch jetzt zerſtört werden. Eine ſolche
Liebloſigkeit gegen das eigene Werk wäre auch in der
That unverantwortlich geweſen. Und doch, warum ſollte
dieſes Geſetz weniger Kraft haben, als die anderen über
verwandte Fragen?
Faßt man dieſes Alles zuſammen, ſo ergiebt es ſich,
daß unſere Juriſten die im Römiſchen Recht über die
(b)
(c) So z. B. Schweitzer de
desuetudine p. 52. 53. 84. Die
ganze Schrift iſt gegen die Wir-
kung der reinen desuetudo ge-
richtet, und deswegen behauptet
er, daß in dieſer Frage das R. R.
keine Anwendbarkeit habe: für
das ganze übrige Gewohnheits-
recht ſoll es gelten, und nament-
lich ſchon für die nahe verwandte
Frage von der obrogatio durch
Gewohnheit.
(b) andere Schriftſteller für und wi-
der ſeine Meynung anführt.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/220>, abgerufen am 16.02.2025.
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