die Rückwirkung der Praxis dazu gedient hat, die Theorie vor gänzlichem Versinken zu bewahren (c). -- In den nachfolgenden Jahrhunderten hat zwar die Rechtswissen- schaft verschiedene Bildungsstufen durchlaufen, und sehr wechselnde Schicksale gehabt. Allein ihr allgemeines Ver- hältniß zu der Rechtserzeugung selbst ist dasselbe geblie- ben, wie es so eben für die Zeit des Mittelalters darge- stellt worden ist.
Die Erzeugnisse der geistigen Thätigkeit, die seit der Aufnahme des Römischen Rechts auf dasselbe gerichtet war, sind jedoch von so ungeheurem Umfang, und der Art nach so mannichfaltig, daß es einer besonderen Un- tersuchung bedarf, in welchem Sinn dieselben unter die Rechtsquellen gerechnet werden dürfen, und wie wir uns dazu zu verhalten haben. Wir können zu diesem Zweck alle vor uns liegende Arbeit der Rechtsgelehrten in zwey große Massen zerlegen, theoretische und praktische Arbeit. Diese Ausdrücke aber, in welchen derselbe Gegensatz oft von sehr verschiedenen Seiten aufgefaßt wird, bedürfen einer genaueren Bestimmung.
Theoretisch nenne ich hier jede rein wissenschaftliche Forschung, mag sie nun auf Feststellung des Textes der Quellen, oder auf Erklärung derselben, oder auf ihre Ver- arbeitung zu Resultaten eines Rechtssystems, oder auf die innere Vollendung dieses Systems gerichtet seyn. Dadurch
(c)Savigny a. a. O. B. 6 S. 20.
§. 19. Wiſſenſchaftliches Recht.
die Rückwirkung der Praxis dazu gedient hat, die Theorie vor gänzlichem Verſinken zu bewahren (c). — In den nachfolgenden Jahrhunderten hat zwar die Rechtswiſſen- ſchaft verſchiedene Bildungsſtufen durchlaufen, und ſehr wechſelnde Schickſale gehabt. Allein ihr allgemeines Ver- hältniß zu der Rechtserzeugung ſelbſt iſt daſſelbe geblie- ben, wie es ſo eben für die Zeit des Mittelalters darge- ſtellt worden iſt.
Die Erzeugniſſe der geiſtigen Thätigkeit, die ſeit der Aufnahme des Römiſchen Rechts auf daſſelbe gerichtet war, ſind jedoch von ſo ungeheurem Umfang, und der Art nach ſo mannichfaltig, daß es einer beſonderen Un- terſuchung bedarf, in welchem Sinn dieſelben unter die Rechtsquellen gerechnet werden dürfen, und wie wir uns dazu zu verhalten haben. Wir können zu dieſem Zweck alle vor uns liegende Arbeit der Rechtsgelehrten in zwey große Maſſen zerlegen, theoretiſche und praktiſche Arbeit. Dieſe Ausdrücke aber, in welchen derſelbe Gegenſatz oft von ſehr verſchiedenen Seiten aufgefaßt wird, bedürfen einer genaueren Beſtimmung.
Theoretiſch nenne ich hier jede rein wiſſenſchaftliche Forſchung, mag ſie nun auf Feſtſtellung des Textes der Quellen, oder auf Erklärung derſelben, oder auf ihre Ver- arbeitung zu Reſultaten eines Rechtsſyſtems, oder auf die innere Vollendung dieſes Syſtems gerichtet ſeyn. Dadurch
(c)Savigny a. a. O. B. 6 S. 20.
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§. 19. Wiſſenſchaftliches Recht.
die Rückwirkung der Praxis dazu gedient hat, die Theorie
vor gänzlichem Verſinken zu bewahren (c). — In den
nachfolgenden Jahrhunderten hat zwar die Rechtswiſſen-
ſchaft verſchiedene Bildungsſtufen durchlaufen, und ſehr
wechſelnde Schickſale gehabt. Allein ihr allgemeines Ver-
hältniß zu der Rechtserzeugung ſelbſt iſt daſſelbe geblie-
ben, wie es ſo eben für die Zeit des Mittelalters darge-
ſtellt worden iſt.
Die Erzeugniſſe der geiſtigen Thätigkeit, die ſeit der
Aufnahme des Römiſchen Rechts auf daſſelbe gerichtet
war, ſind jedoch von ſo ungeheurem Umfang, und der
Art nach ſo mannichfaltig, daß es einer beſonderen Un-
terſuchung bedarf, in welchem Sinn dieſelben unter die
Rechtsquellen gerechnet werden dürfen, und wie wir uns
dazu zu verhalten haben. Wir können zu dieſem Zweck
alle vor uns liegende Arbeit der Rechtsgelehrten in zwey
große Maſſen zerlegen, theoretiſche und praktiſche
Arbeit. Dieſe Ausdrücke aber, in welchen derſelbe Gegenſatz
oft von ſehr verſchiedenen Seiten aufgefaßt wird, bedürfen
einer genaueren Beſtimmung.
Theoretiſch nenne ich hier jede rein wiſſenſchaftliche
Forſchung, mag ſie nun auf Feſtſtellung des Textes der
Quellen, oder auf Erklärung derſelben, oder auf ihre Ver-
arbeitung zu Reſultaten eines Rechtsſyſtems, oder auf die
innere Vollendung dieſes Syſtems gerichtet ſeyn. Dadurch
(c) Savigny a. a. O. B. 6 S. 20.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/143>, abgerufen am 23.07.2024.
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