Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
1) als Beachtung sittlicher Zwecke außer dem Rechtsge- biet (boni mores), im neuesten Recht auch kirchlicher Zwecke, 2) als Beachtung des Staatsinteresse (publica utilitas, quod reipublicae interest), 3) als väterliche Vor- sorge für das Wohl der Einzelnen (ratio utilitatis), z. B. Beförderung des Verkehrs, Schutz einiger Klassen, wie Frauen und Minderjährige, gegen besondere Gefahren. -- Nach dieser Übersicht lassen sich die Entstehungsgründe auch folgendergestalt klassificiren. Sie beruhen entweder rein auf dem Rechtsgebiet für sich (jus strictum und aequitas), oder zugleich auf der Mitwirkung solcher Prin- cipien, die nicht in den Gränzen dieses Gebietes liegen, obgleich sie das allgemeine Ziel mit demselben gemein haben (boni mores und jede Art von utilitas).
Durch jene Anerkennung der beiden Elemente jedes positiven Rechts, des allgemeinen und des individuellen, eröffnet sich zugleich für die Gesetzgebung ein neuer und hoher Beruf. Denn gerade in der Wechselwirkung jener Elemente liegt schon das wichtigste Motiv des fortschrei- tenden Volksrechts, wobey es überall darauf ankommt, das allgemeine Ziel sicherer zu erkennen, und sich demsel- ben anzunähern, ohne doch die frische Kraft des indivi- duellen Lebens zu schwächen. Auf diesem Wege giebt es Vieles auszugleichen, manches Hinderniß zu überwinden, und hier kann die gesetzgebende Gewalt dem unsichtbar arbeitenden Volksgeist die wohlthätigste Hülfe leisten. Aber in keinem Geschäft ist auch so viel Behutsamkeit
Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
1) als Beachtung ſittlicher Zwecke außer dem Rechtsge- biet (boni mores), im neueſten Recht auch kirchlicher Zwecke, 2) als Beachtung des Staatsintereſſe (publica utilitas, quod reipublicae interest), 3) als väterliche Vor- ſorge für das Wohl der Einzelnen (ratio utilitatis), z. B. Beförderung des Verkehrs, Schutz einiger Klaſſen, wie Frauen und Minderjährige, gegen beſondere Gefahren. — Nach dieſer Überſicht laſſen ſich die Entſtehungsgründe auch folgendergeſtalt klaſſificiren. Sie beruhen entweder rein auf dem Rechtsgebiet für ſich (jus strictum und aequitas), oder zugleich auf der Mitwirkung ſolcher Prin- cipien, die nicht in den Gränzen dieſes Gebietes liegen, obgleich ſie das allgemeine Ziel mit demſelben gemein haben (boni mores und jede Art von utilitas).
Durch jene Anerkennung der beiden Elemente jedes poſitiven Rechts, des allgemeinen und des individuellen, eröffnet ſich zugleich für die Geſetzgebung ein neuer und hoher Beruf. Denn gerade in der Wechſelwirkung jener Elemente liegt ſchon das wichtigſte Motiv des fortſchrei- tenden Volksrechts, wobey es überall darauf ankommt, das allgemeine Ziel ſicherer zu erkennen, und ſich demſel- ben anzunähern, ohne doch die friſche Kraft des indivi- duellen Lebens zu ſchwächen. Auf dieſem Wege giebt es Vieles auszugleichen, manches Hinderniß zu überwinden, und hier kann die geſetzgebende Gewalt dem unſichtbar arbeitenden Volksgeiſt die wohlthätigſte Hülfe leiſten. Aber in keinem Geſchäft iſt auch ſo viel Behutſamkeit
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Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
1) als Beachtung ſittlicher Zwecke außer dem Rechtsge-
biet (boni mores), im neueſten Recht auch kirchlicher
Zwecke, 2) als Beachtung des Staatsintereſſe (publica
utilitas, quod reipublicae interest), 3) als väterliche Vor-
ſorge für das Wohl der Einzelnen (ratio utilitatis), z. B.
Beförderung des Verkehrs, Schutz einiger Klaſſen, wie
Frauen und Minderjährige, gegen beſondere Gefahren. —
Nach dieſer Überſicht laſſen ſich die Entſtehungsgründe
auch folgendergeſtalt klaſſificiren. Sie beruhen entweder
rein auf dem Rechtsgebiet für ſich (jus strictum und
aequitas), oder zugleich auf der Mitwirkung ſolcher Prin-
cipien, die nicht in den Gränzen dieſes Gebietes liegen,
obgleich ſie das allgemeine Ziel mit demſelben gemein
haben (boni mores und jede Art von utilitas).
Durch jene Anerkennung der beiden Elemente jedes
poſitiven Rechts, des allgemeinen und des individuellen,
eröffnet ſich zugleich für die Geſetzgebung ein neuer und
hoher Beruf. Denn gerade in der Wechſelwirkung jener
Elemente liegt ſchon das wichtigſte Motiv des fortſchrei-
tenden Volksrechts, wobey es überall darauf ankommt,
das allgemeine Ziel ſicherer zu erkennen, und ſich demſel-
ben anzunähern, ohne doch die friſche Kraft des indivi-
duellen Lebens zu ſchwächen. Auf dieſem Wege giebt es
Vieles auszugleichen, manches Hinderniß zu überwinden,
und hier kann die geſetzgebende Gewalt dem unſichtbar
arbeitenden Volksgeiſt die wohlthätigſte Hülfe leiſten.
Aber in keinem Geſchäft iſt auch ſo viel Behutſamkeit
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/112>, abgerufen am 23.07.2024.
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