Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern ganz unmöglich ist; so z. B. glauben beide,
die Ehe habe nicht von einem Ehegatten einseitig,
sondern nur durch Uebereinkunft getrennt werden
können, wodurch in der That das ganze Recht der
Pandekten, ja selbst das von Justinian über die-
sen Gegenstand, vollkommen sinnlos wird; selbst die
Scheidung durch Uebereinkunft sey bey den Römern
blos eine Folge der irrigen Ansicht, daß die Ehe mit
anderen Contracten auf gleicher Linie stehe 1)! Und
dieses betraf hier nicht etwa eine geschichtliche Curio-
sität, sondern Grundsätze, welche auf die Discussion
unmittelbaren Einfluß hatten, wie denn z. B. gerade
das unverständigste in der ganzen Geschichte der Rö-
mischen Ehescheidung zum allgemeinen Ekel in den
Art. 230 aufgenommen ist. Dieser Zustand juristi-
scher Gelehrsamkeit aber ist nicht als Hochmuth oder
Verstockung auszulegen; bey den Debatten über die
Rescission des Kaufs führte einem Staatsrath der
Zufall die Dissertation von Thomasius über die
L. 2. C. de resc. vend. in die Hände, und es ist
ordentlich rührend zu sehen, mit welchem Erstaunen
diese Schrift aufgenommen, excerpirt und discutirt
wird 2). Mit ähnlicher und besserer Gelehrsamkeit

könnten
1) Conference T. 2. p. 123. 124. 136. Der Irrthum von
Emmery p. 139 ist um einige Grade geringer.
2) Conference T. 6. p. 44.

ſondern ganz unmöglich iſt; ſo z. B. glauben beide,
die Ehe habe nicht von einem Ehegatten einſeitig,
ſondern nur durch Uebereinkunft getrennt werden
können, wodurch in der That das ganze Recht der
Pandekten, ja ſelbſt das von Juſtinian über die-
ſen Gegenſtand, vollkommen ſinnlos wird; ſelbſt die
Scheidung durch Uebereinkunft ſey bey den Römern
blos eine Folge der irrigen Anſicht, daß die Ehe mit
anderen Contracten auf gleicher Linie ſtehe 1)! Und
dieſes betraf hier nicht etwa eine geſchichtliche Curio-
ſität, ſondern Grundſätze, welche auf die Discuſſion
unmittelbaren Einfluß hatten, wie denn z. B. gerade
das unverſtändigſte in der ganzen Geſchichte der Rö-
miſchen Eheſcheidung zum allgemeinen Ekel in den
Art. 230 aufgenommen iſt. Dieſer Zuſtand juriſti-
ſcher Gelehrſamkeit aber iſt nicht als Hochmuth oder
Verſtockung auszulegen; bey den Debatten über die
Reſciſſion des Kaufs führte einem Staatsrath der
Zufall die Diſſertation von Thomaſius über die
L. 2. C. de resc. vend. in die Hände, und es iſt
ordentlich rührend zu ſehen, mit welchem Erſtaunen
dieſe Schrift aufgenommen, excerpirt und discutirt
wird 2). Mit ähnlicher und beſſerer Gelehrſamkeit

könnten
1) Conférence T. 2. p. 123. 124. 136. Der Irrthum von
Emmery p. 139 iſt um einige Grade geringer.
2) Conférence T. 6. p. 44.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0074" n="64"/>
&#x017F;ondern ganz unmöglich i&#x017F;t; &#x017F;o z. B. glauben beide,<lb/>
die Ehe habe nicht von einem Ehegatten ein&#x017F;eitig,<lb/>
&#x017F;ondern nur durch Uebereinkunft getrennt werden<lb/>
können, wodurch in der That das ganze Recht der<lb/>
Pandekten, ja &#x017F;elb&#x017F;t das von <hi rendition="#g">Ju&#x017F;tinian</hi> über die-<lb/>
&#x017F;en Gegen&#x017F;tand, vollkommen &#x017F;innlos wird; &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Scheidung durch Uebereinkunft &#x017F;ey bey den Römern<lb/>
blos eine Folge der irrigen An&#x017F;icht, daß die Ehe mit<lb/>
anderen Contracten auf gleicher Linie &#x017F;tehe <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Conférence T. 2. p.</hi> 123. 124. 136. Der Irrthum von<lb/><hi rendition="#g">Emmery</hi> <hi rendition="#aq">p.</hi> 139 i&#x017F;t um einige Grade geringer.</note>! Und<lb/>
die&#x017F;es betraf hier nicht etwa eine ge&#x017F;chichtliche Curio-<lb/>
&#x017F;ität, &#x017F;ondern Grund&#x017F;ätze, welche auf die Discu&#x017F;&#x017F;ion<lb/>
unmittelbaren Einfluß hatten, wie denn z. B. gerade<lb/>
das unver&#x017F;tändig&#x017F;te in der ganzen Ge&#x017F;chichte der Rö-<lb/>
mi&#x017F;chen Ehe&#x017F;cheidung zum allgemeinen Ekel in den<lb/>
Art. 230 aufgenommen i&#x017F;t. Die&#x017F;er Zu&#x017F;tand juri&#x017F;ti-<lb/>
&#x017F;cher Gelehr&#x017F;amkeit aber i&#x017F;t nicht als Hochmuth oder<lb/>
Ver&#x017F;tockung auszulegen; bey den Debatten über die<lb/>
Re&#x017F;ci&#x017F;&#x017F;ion des Kaufs führte einem Staatsrath der<lb/>
Zufall die Di&#x017F;&#x017F;ertation von <hi rendition="#g">Thoma&#x017F;ius</hi> über die<lb/><hi rendition="#aq">L. 2. C. de resc. vend.</hi> in die Hände, und es i&#x017F;t<lb/>
ordentlich rührend zu &#x017F;ehen, mit welchem Er&#x017F;taunen<lb/>
die&#x017F;e Schrift aufgenommen, excerpirt und discutirt<lb/>
wird <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Conférence T. 6. p.</hi> 44.</note>. Mit ähnlicher und be&#x017F;&#x017F;erer Gelehr&#x017F;amkeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">könnten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0074] ſondern ganz unmöglich iſt; ſo z. B. glauben beide, die Ehe habe nicht von einem Ehegatten einſeitig, ſondern nur durch Uebereinkunft getrennt werden können, wodurch in der That das ganze Recht der Pandekten, ja ſelbſt das von Juſtinian über die- ſen Gegenſtand, vollkommen ſinnlos wird; ſelbſt die Scheidung durch Uebereinkunft ſey bey den Römern blos eine Folge der irrigen Anſicht, daß die Ehe mit anderen Contracten auf gleicher Linie ſtehe 1)! Und dieſes betraf hier nicht etwa eine geſchichtliche Curio- ſität, ſondern Grundſätze, welche auf die Discuſſion unmittelbaren Einfluß hatten, wie denn z. B. gerade das unverſtändigſte in der ganzen Geſchichte der Rö- miſchen Eheſcheidung zum allgemeinen Ekel in den Art. 230 aufgenommen iſt. Dieſer Zuſtand juriſti- ſcher Gelehrſamkeit aber iſt nicht als Hochmuth oder Verſtockung auszulegen; bey den Debatten über die Reſciſſion des Kaufs führte einem Staatsrath der Zufall die Diſſertation von Thomaſius über die L. 2. C. de resc. vend. in die Hände, und es iſt ordentlich rührend zu ſehen, mit welchem Erſtaunen dieſe Schrift aufgenommen, excerpirt und discutirt wird 2). Mit ähnlicher und beſſerer Gelehrſamkeit könnten 1) Conférence T. 2. p. 123. 124. 136. Der Irrthum von Emmery p. 139 iſt um einige Grade geringer. 2) Conférence T. 6. p. 44.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/74
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/74>, abgerufen am 05.12.2024.