verdient das bürgerliche Recht, insoferne es das Ge- fühl und Bewußtseyn des Volkes berührt oder zu berühren fähig ist: Tadel, wenn es als etwas fremd- artiges, aus Willkühr entstandenes, das Volk ohne Theilnahme läßt. Jenes aber wird öfter und leich- ter bey besonderen Rechten einzelner Landstriche der Fall seyn, obgleich gewiß nicht jedes Stadtrecht et- was wahrhaft volksmäßiges seyn wird. Ja für die- sen politischen Zweck scheint kein Zustand des bür- gerlichen Rechts günstiger, als der, welcher vormals in Deutschland allgemein war: große Mannichfaltig- keit und Eigenthümlichkeit im einzelnen, aber als Grundlage überall das gemeine Recht, welches alle Deutschen Volksstämme stets an ihre unauflösliche Einheit erinnerte. Das verderblichste aber von die- sem Standpuncte aus ist leichte und willkührliche Aenderung des bürgerlichen Rechts, und selbst wenn durch dieselbe für Einfachheit und Bequemlichkeit gut gesorgt wäre, so könnte dieser Gewinn gegen jenen politischen Nachtheil nicht in Betracht kommen. Was so vor unsern Augen von Menschenhänden gemacht ist, wird im Gefühl des Volkes stets von demjenigen unterschieden werden, dessen Entstehung nicht eben so sichtbar und greiflich ist, und wenn wir in unserm löblichen Eifer diese Unterscheidung ein blindes Vor- urtheil schelten, so sollten wir nicht vergessen, daß aller Glaube und alles Gefühl für das was nicht
verdient das bürgerliche Recht, inſoferne es das Ge- fühl und Bewußtſeyn des Volkes berührt oder zu berühren fähig iſt: Tadel, wenn es als etwas fremd- artiges, aus Willkühr entſtandenes, das Volk ohne Theilnahme läßt. Jenes aber wird öfter und leich- ter bey beſonderen Rechten einzelner Landſtriche der Fall ſeyn, obgleich gewiß nicht jedes Stadtrecht et- was wahrhaft volksmäßiges ſeyn wird. Ja für die- ſen politiſchen Zweck ſcheint kein Zuſtand des bür- gerlichen Rechts günſtiger, als der, welcher vormals in Deutſchland allgemein war: große Mannichfaltig- keit und Eigenthümlichkeit im einzelnen, aber als Grundlage überall das gemeine Recht, welches alle Deutſchen Volksſtämme ſtets an ihre unauflösliche Einheit erinnerte. Das verderblichſte aber von die- ſem Standpuncte aus iſt leichte und willkührliche Aenderung des bürgerlichen Rechts, und ſelbſt wenn durch dieſelbe für Einfachheit und Bequemlichkeit gut geſorgt wäre, ſo könnte dieſer Gewinn gegen jenen politiſchen Nachtheil nicht in Betracht kommen. Was ſo vor unſern Augen von Menſchenhänden gemacht iſt, wird im Gefühl des Volkes ſtets von demjenigen unterſchieden werden, deſſen Entſtehung nicht eben ſo ſichtbar und greiflich iſt, und wenn wir in unſerm löblichen Eifer dieſe Unterſcheidung ein blindes Vor- urtheil ſchelten, ſo ſollten wir nicht vergeſſen, daß aller Glaube und alles Gefühl für das was nicht
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verdient das bürgerliche Recht, inſoferne es das Ge-
fühl und Bewußtſeyn des Volkes berührt oder zu
berühren fähig iſt: Tadel, wenn es als etwas fremd-
artiges, aus Willkühr entſtandenes, das Volk ohne
Theilnahme läßt. Jenes aber wird öfter und leich-
ter bey beſonderen Rechten einzelner Landſtriche der
Fall ſeyn, obgleich gewiß nicht jedes Stadtrecht et-
was wahrhaft volksmäßiges ſeyn wird. Ja für die-
ſen politiſchen Zweck ſcheint kein Zuſtand des bür-
gerlichen Rechts günſtiger, als der, welcher vormals
in Deutſchland allgemein war: große Mannichfaltig-
keit und Eigenthümlichkeit im einzelnen, aber als
Grundlage überall das gemeine Recht, welches alle
Deutſchen Volksſtämme ſtets an ihre unauflösliche
Einheit erinnerte. Das verderblichſte aber von die-
ſem Standpuncte aus iſt leichte und willkührliche
Aenderung des bürgerlichen Rechts, und ſelbſt wenn
durch dieſelbe für Einfachheit und Bequemlichkeit gut
geſorgt wäre, ſo könnte dieſer Gewinn gegen jenen
politiſchen Nachtheil nicht in Betracht kommen. Was
ſo vor unſern Augen von Menſchenhänden gemacht
iſt, wird im Gefühl des Volkes ſtets von demjenigen
unterſchieden werden, deſſen Entſtehung nicht eben
ſo ſichtbar und greiflich iſt, und wenn wir in unſerm
löblichen Eifer dieſe Unterſcheidung ein blindes Vor-
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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/53>, abgerufen am 16.07.2024.
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