ist es, der die Größe der Römischen Juristen begrün- det. Die Begriffe und Sätze ihrer Wissenschaft er- scheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr hervor- gebracht, es sind wirkliche Wesen, deren Daseyn und deren Genealogie ihnen durch langen vertrauten Um- gang bekannt geworden ist. Darum eben hat ihr ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie sie sich sonst außer der Mathematik nicht findet, und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß sie mit ihren Begrif- fen rechnen. Diese Methode aber ist keinesweges das ausschließende Eigenthum eines oder weniger großen Schriftsteller, sie ist vielmehr Gemeingut Al- ler, und obgleich unter sie ein sehr verschiedenes Maaß glücklicher Anwendung vertheilt war, so ist doch die Methode überall dieselbe. Selbst wenn wir ihre Schriften vollständig vor uns hätten, würden wir darin weit weniger Individualität finden, als in irgend einer andern Literatur, sie alle arbeiten gewissermaa- ßen an einem und demselben großen Werke, und die Idee, welche der Compilation der Pandekten zum Grunde liegt, ist darum nicht völlig zu verwerfen. Wie tief bey den Römischen Juristen diese Gemein- schaft des wissenschaftlichen Besitzes gegründet ist, zeigt sich auch darin, daß sie auf die äußeren Mittel die- ser Gemeinschaft geringen Werth legen; so z. B. sind ihre Definitionen größtentheils sehr unvollkommen, ohne daß die Schärfe und Sicherheit der Begriffe im geringsten darunter leidet. Dagegen steht ihnen
iſt es, der die Größe der Römiſchen Juriſten begrün- det. Die Begriffe und Sätze ihrer Wiſſenſchaft er- ſcheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr hervor- gebracht, es ſind wirkliche Weſen, deren Daſeyn und deren Genealogie ihnen durch langen vertrauten Um- gang bekannt geworden iſt. Darum eben hat ihr ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie ſie ſich ſonſt außer der Mathematik nicht findet, und man kann ohne Uebertreibung ſagen, daß ſie mit ihren Begrif- fen rechnen. Dieſe Methode aber iſt keinesweges das ausſchließende Eigenthum eines oder weniger großen Schriftſteller, ſie iſt vielmehr Gemeingut Al- ler, und obgleich unter ſie ein ſehr verſchiedenes Maaß glücklicher Anwendung vertheilt war, ſo iſt doch die Methode überall dieſelbe. Selbſt wenn wir ihre Schriften vollſtändig vor uns hätten, würden wir darin weit weniger Individualität finden, als in irgend einer andern Literatur, ſie alle arbeiten gewiſſermaa- ßen an einem und demſelben großen Werke, und die Idee, welche der Compilation der Pandekten zum Grunde liegt, iſt darum nicht völlig zu verwerfen. Wie tief bey den Römiſchen Juriſten dieſe Gemein- ſchaft des wiſſenſchaftlichen Beſitzes gegründet iſt, zeigt ſich auch darin, daß ſie auf die äußeren Mittel die- ſer Gemeinſchaft geringen Werth legen; ſo z. B. ſind ihre Definitionen größtentheils ſehr unvollkommen, ohne daß die Schärfe und Sicherheit der Begriffe im geringſten darunter leidet. Dagegen ſteht ihnen
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iſt es, der die Größe der Römiſchen Juriſten begrün-
det. Die Begriffe und Sätze ihrer Wiſſenſchaft er-
ſcheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr hervor-
gebracht, es ſind wirkliche Weſen, deren Daſeyn und
deren Genealogie ihnen durch langen vertrauten Um-
gang bekannt geworden iſt. Darum eben hat ihr
ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie ſie ſich ſonſt
außer der Mathematik nicht findet, und man kann
ohne Uebertreibung ſagen, daß ſie mit ihren Begrif-
fen rechnen. Dieſe Methode aber iſt keinesweges
das ausſchließende Eigenthum eines oder weniger
großen Schriftſteller, ſie iſt vielmehr Gemeingut Al-
ler, und obgleich unter ſie ein ſehr verſchiedenes
Maaß glücklicher Anwendung vertheilt war, ſo iſt doch
die Methode überall dieſelbe. Selbſt wenn wir ihre
Schriften vollſtändig vor uns hätten, würden wir darin
weit weniger Individualität finden, als in irgend
einer andern Literatur, ſie alle arbeiten gewiſſermaa-
ßen an einem und demſelben großen Werke, und die
Idee, welche der Compilation der Pandekten zum
Grunde liegt, iſt darum nicht völlig zu verwerfen.
Wie tief bey den Römiſchen Juriſten dieſe Gemein-
ſchaft des wiſſenſchaftlichen Beſitzes gegründet iſt, zeigt
ſich auch darin, daß ſie auf die äußeren Mittel die-
ſer Gemeinſchaft geringen Werth legen; ſo z. B. ſind
ihre Definitionen größtentheils ſehr unvollkommen,
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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/39>, abgerufen am 16.07.2024.
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