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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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weil wegen der völligen Ungleichartigkeit der indivi-
duellen Bildung und Kenntniß unsrer Juristen kein
einzelner als Repräsentant der Gattung betrachtet
werden kann.

Wer auch nach dieser Betrachtung noch an die
Möglichkeit einer wirklich collegialischen Verfertigung
des Gesetzbuchs glauben möchte, der wolle doch die
Discussionen des Französischen Staatsraths, die Thi-
baut
so treffend geschildert hat 1), auch nur in ei-
nem einzelnen Abschnitt durchlesen. Ich zweifle nicht,
daß unsre Discussionen in manchen Stücken besser
seyn würden; aber, auf die Gefahr hin, der Partey-
lichkeit für die Franzosen beschuldigt zu werden, kann
ich die Ueberzeugung nicht verbergen, daß die unsri-
gen in anderer Rücksicht hinter diesem Vorbild zu-
rück bleiben dürften.

Es ist oft verlangt worden, daß ein Gesetzbuch
populär seyn solle, und auch Thibaut kommt ein-
mal auf diese Forderung zurück 2). Recht verstan-
den, ist diese Forderung wohl zuzugeben. Die Spra-
che nämlich, die das wirksamste Mittel ist, wodurch
Ein Geist zum andern kommen kann, hemmt und
beschränkt auch diesen geistigen Verkehr vielfältig;
oft wird der beste Theil des Gedankens von diesem
Medium absorbirt, wegen der Ungeschicklichkeit ent-
weder des Redenden, oder des Hörers. Aber durch

1) s. o. S. 59.
2) A. a. O. S. 23,

weil wegen der völligen Ungleichartigkeit der indivi-
duellen Bildung und Kenntniß unſrer Juriſten kein
einzelner als Repräſentant der Gattung betrachtet
werden kann.

Wer auch nach dieſer Betrachtung noch an die
Möglichkeit einer wirklich collegialiſchen Verfertigung
des Geſetzbuchs glauben möchte, der wolle doch die
Discuſſionen des Franzöſiſchen Staatsraths, die Thi-
baut
ſo treffend geſchildert hat 1), auch nur in ei-
nem einzelnen Abſchnitt durchleſen. Ich zweifle nicht,
daß unſre Discuſſionen in manchen Stücken beſſer
ſeyn würden; aber, auf die Gefahr hin, der Partey-
lichkeit für die Franzoſen beſchuldigt zu werden, kann
ich die Ueberzeugung nicht verbergen, daß die unſri-
gen in anderer Rückſicht hinter dieſem Vorbild zu-
rück bleiben dürften.

Es iſt oft verlangt worden, daß ein Geſetzbuch
populär ſeyn ſolle, und auch Thibaut kommt ein-
mal auf dieſe Forderung zurück 2). Recht verſtan-
den, iſt dieſe Forderung wohl zuzugeben. Die Spra-
che nämlich, die das wirkſamſte Mittel iſt, wodurch
Ein Geiſt zum andern kommen kann, hemmt und
beſchränkt auch dieſen geiſtigen Verkehr vielfältig;
oft wird der beſte Theil des Gedankens von dieſem
Medium abſorbirt, wegen der Ungeſchicklichkeit ent-
weder des Redenden, oder des Hörers. Aber durch

1) ſ. o. S. 59.
2) A. a. O. S. 23,
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[159/0169] weil wegen der völligen Ungleichartigkeit der indivi- duellen Bildung und Kenntniß unſrer Juriſten kein einzelner als Repräſentant der Gattung betrachtet werden kann. Wer auch nach dieſer Betrachtung noch an die Möglichkeit einer wirklich collegialiſchen Verfertigung des Geſetzbuchs glauben möchte, der wolle doch die Discuſſionen des Franzöſiſchen Staatsraths, die Thi- baut ſo treffend geſchildert hat 1), auch nur in ei- nem einzelnen Abſchnitt durchleſen. Ich zweifle nicht, daß unſre Discuſſionen in manchen Stücken beſſer ſeyn würden; aber, auf die Gefahr hin, der Partey- lichkeit für die Franzoſen beſchuldigt zu werden, kann ich die Ueberzeugung nicht verbergen, daß die unſri- gen in anderer Rückſicht hinter dieſem Vorbild zu- rück bleiben dürften. Es iſt oft verlangt worden, daß ein Geſetzbuch populär ſeyn ſolle, und auch Thibaut kommt ein- mal auf dieſe Forderung zurück 2). Recht verſtan- den, iſt dieſe Forderung wohl zuzugeben. Die Spra- che nämlich, die das wirkſamſte Mittel iſt, wodurch Ein Geiſt zum andern kommen kann, hemmt und beſchränkt auch dieſen geiſtigen Verkehr vielfältig; oft wird der beſte Theil des Gedankens von dieſem Medium abſorbirt, wegen der Ungeſchicklichkeit ent- weder des Redenden, oder des Hörers. Aber durch 1) ſ. o. S. 59. 2) A. a. O. S. 23,

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/169>, abgerufen am 24.11.2024.