Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite

gig von einander, jeder das Ganze ausarbeiten, und
durch Vergleichung und Verbindung dieser Werke
würde ein neues entstanden seyn, vollkommner als
jedes einzelne, aber mit jedem gleichartig.

Nun bitte ich jeden, mit diesem Zustand den
unsrigen zu vergleichen, der jenem gerade hierin völ-
lig entgegen gesetzt ist. Um mit dem geringeren an-
zufangen, wähle jeder in Gedanken eine Anzahl der
jetztlebenden Juristen aus, und frage sich, ob aus
deren gemeinschaftlicher Arbeit auch nur ein System
des bestehenden Rechts hervorgehen könne: er wird
sich bald von der völligen Unmöglichkeit überzeugen.
Daß aber ein Gesetzbuch eine viel größere Arbeit ist,
und daß von ihm besonders ein höherer Grad orga-
nischer Einheit verlangt werden muß, wird gewiß
niemand läugnen. In der That also würde das
Gesetzbuch, wenn es nicht durch blos mechanische Zu-
sammensetzung unlebendig und darum völlig verwerf-
lich seyn soll, doch nicht von jenem Collegium ge-
macht werden können, sondern nur von einem Ein-
zelnen; die übrigen aber würden nur untergeordnete
Dienste leisten können, indem sie bey einzelnen Zwei-
feln Rath und Gutachten ertheilten, oder die fertige
Arbeit durch Entdeckung einzelner Mängel zu reini-
gen suchten. Wer uns aber dieses zugiebt, der muß
für die gegenwärtige Zeit an der Möglichkeit über-
haupt verzweifeln; denn eben jenen einzelnen, den
wahren Gesetzgeber, zu finden, ist ganz unmöglich,

gig von einander, jeder das Ganze ausarbeiten, und
durch Vergleichung und Verbindung dieſer Werke
würde ein neues entſtanden ſeyn, vollkommner als
jedes einzelne, aber mit jedem gleichartig.

Nun bitte ich jeden, mit dieſem Zuſtand den
unſrigen zu vergleichen, der jenem gerade hierin völ-
lig entgegen geſetzt iſt. Um mit dem geringeren an-
zufangen, wähle jeder in Gedanken eine Anzahl der
jetztlebenden Juriſten aus, und frage ſich, ob aus
deren gemeinſchaftlicher Arbeit auch nur ein Syſtem
des beſtehenden Rechts hervorgehen könne: er wird
ſich bald von der völligen Unmöglichkeit überzeugen.
Daß aber ein Geſetzbuch eine viel größere Arbeit iſt,
und daß von ihm beſonders ein höherer Grad orga-
niſcher Einheit verlangt werden muß, wird gewiß
niemand läugnen. In der That alſo würde das
Geſetzbuch, wenn es nicht durch blos mechaniſche Zu-
ſammenſetzung unlebendig und darum völlig verwerf-
lich ſeyn ſoll, doch nicht von jenem Collegium ge-
macht werden können, ſondern nur von einem Ein-
zelnen; die übrigen aber würden nur untergeordnete
Dienſte leiſten können, indem ſie bey einzelnen Zwei-
feln Rath und Gutachten ertheilten, oder die fertige
Arbeit durch Entdeckung einzelner Mängel zu reini-
gen ſuchten. Wer uns aber dieſes zugiebt, der muß
für die gegenwärtige Zeit an der Möglichkeit über-
haupt verzweifeln; denn eben jenen einzelnen, den
wahren Geſetzgeber, zu finden, iſt ganz unmöglich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0168" n="158"/>
gig von einander, jeder das Ganze ausarbeiten, und<lb/>
durch Vergleichung und Verbindung die&#x017F;er Werke<lb/>
würde ein neues ent&#x017F;tanden &#x017F;eyn, vollkommner als<lb/>
jedes einzelne, aber mit jedem gleichartig.</p><lb/>
        <p>Nun bitte ich jeden, mit die&#x017F;em Zu&#x017F;tand den<lb/>
un&#x017F;rigen zu vergleichen, der jenem gerade hierin völ-<lb/>
lig entgegen ge&#x017F;etzt i&#x017F;t. Um mit dem geringeren an-<lb/>
zufangen, wähle jeder in Gedanken eine Anzahl der<lb/>
jetztlebenden Juri&#x017F;ten aus, und frage &#x017F;ich, ob aus<lb/>
deren gemein&#x017F;chaftlicher Arbeit auch nur ein Sy&#x017F;tem<lb/>
des be&#x017F;tehenden Rechts hervorgehen könne: er wird<lb/>
&#x017F;ich bald von der völligen Unmöglichkeit überzeugen.<lb/>
Daß aber ein Ge&#x017F;etzbuch eine viel größere Arbeit i&#x017F;t,<lb/>
und daß von ihm be&#x017F;onders ein höherer Grad orga-<lb/>
ni&#x017F;cher Einheit verlangt werden muß, wird gewiß<lb/>
niemand läugnen. In der That al&#x017F;o würde das<lb/>
Ge&#x017F;etzbuch, wenn es nicht durch blos mechani&#x017F;che Zu-<lb/>
&#x017F;ammen&#x017F;etzung unlebendig und darum völlig verwerf-<lb/>
lich &#x017F;eyn &#x017F;oll, doch nicht von jenem Collegium ge-<lb/>
macht werden können, &#x017F;ondern nur von einem Ein-<lb/>
zelnen; die übrigen aber würden nur untergeordnete<lb/>
Dien&#x017F;te lei&#x017F;ten können, indem &#x017F;ie bey einzelnen Zwei-<lb/>
feln Rath und Gutachten ertheilten, oder die fertige<lb/>
Arbeit durch Entdeckung einzelner Mängel zu reini-<lb/>
gen &#x017F;uchten. Wer uns aber die&#x017F;es zugiebt, der muß<lb/>
für die gegenwärtige Zeit an der Möglichkeit über-<lb/>
haupt verzweifeln; denn eben jenen einzelnen, den<lb/>
wahren Ge&#x017F;etzgeber, zu finden, i&#x017F;t ganz unmöglich,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0168] gig von einander, jeder das Ganze ausarbeiten, und durch Vergleichung und Verbindung dieſer Werke würde ein neues entſtanden ſeyn, vollkommner als jedes einzelne, aber mit jedem gleichartig. Nun bitte ich jeden, mit dieſem Zuſtand den unſrigen zu vergleichen, der jenem gerade hierin völ- lig entgegen geſetzt iſt. Um mit dem geringeren an- zufangen, wähle jeder in Gedanken eine Anzahl der jetztlebenden Juriſten aus, und frage ſich, ob aus deren gemeinſchaftlicher Arbeit auch nur ein Syſtem des beſtehenden Rechts hervorgehen könne: er wird ſich bald von der völligen Unmöglichkeit überzeugen. Daß aber ein Geſetzbuch eine viel größere Arbeit iſt, und daß von ihm beſonders ein höherer Grad orga- niſcher Einheit verlangt werden muß, wird gewiß niemand läugnen. In der That alſo würde das Geſetzbuch, wenn es nicht durch blos mechaniſche Zu- ſammenſetzung unlebendig und darum völlig verwerf- lich ſeyn ſoll, doch nicht von jenem Collegium ge- macht werden können, ſondern nur von einem Ein- zelnen; die übrigen aber würden nur untergeordnete Dienſte leiſten können, indem ſie bey einzelnen Zwei- feln Rath und Gutachten ertheilten, oder die fertige Arbeit durch Entdeckung einzelner Mängel zu reini- gen ſuchten. Wer uns aber dieſes zugiebt, der muß für die gegenwärtige Zeit an der Möglichkeit über- haupt verzweifeln; denn eben jenen einzelnen, den wahren Geſetzgeber, zu finden, iſt ganz unmöglich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/168
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/168>, abgerufen am 24.11.2024.