einleuchtend, daß ein eigenthümliches wissenschaftliches Leben aus ihnen nicht entspringen kann, und daß sich auch neben ihnen wissenschaftlicher Geist nur in dem Maaße lebendig erhalten wird, als die geschicht- lichen Quellen dieser Gesetzbücher selbst fortwährend Gegenstand aller juristischen Studien bleiben. Der- selbe Fall aber müßte unfehlbar eintreten, wenn wir ein Gesetzbuch für Deutschland aufstellen wollten. Thibaut, welcher dieses anräth, will, wie sich bey ihm von selbst versteht, nicht die Wissenschaftlichkeit aufheben, vielmehr hofft er gerade für diese großen Gewinn. Welches nun die Basis der künftigen Rechtsstudien seyn soll, ob (wie in Preußen) die al- ten Quellen, oder (wie in Frankreich und Oester- reich) das neue Gesetzbuch selbst, sagt er nicht deut- lich, doch scheint mehr das letzte seine Meynung 1). Ist aber dieses der Fall, so fordere ich jeden auf, bey sich zu erwägen, ob auf eines der drey schon vorhan- denen neuen Gesetzbücher, unabhängig von den Quel- len des bisherigen Rechts und dieser Gesetzbücher selbst, eine wirklich lebendige Rechtswissenschaft möglicher- weise gegründet werden könne. Wer aber dieses nicht für möglich erkennt, der kann es auch nicht für das vorgeschlagene Gesetzbuch behaupten. Denn ich halte es, aus den oben entwickelten Gründen, für ganz unmöglich, daß dasselbe von den bisheri-
1)Thibaut a. a. O., S. 29--32.
K 2
einleuchtend, daß ein eigenthümliches wiſſenſchaftliches Leben aus ihnen nicht entſpringen kann, und daß ſich auch neben ihnen wiſſenſchaftlicher Geiſt nur in dem Maaße lebendig erhalten wird, als die geſchicht- lichen Quellen dieſer Geſetzbücher ſelbſt fortwährend Gegenſtand aller juriſtiſchen Studien bleiben. Der- ſelbe Fall aber müßte unfehlbar eintreten, wenn wir ein Geſetzbuch für Deutſchland aufſtellen wollten. Thibaut, welcher dieſes anräth, will, wie ſich bey ihm von ſelbſt verſteht, nicht die Wiſſenſchaftlichkeit aufheben, vielmehr hofft er gerade für dieſe großen Gewinn. Welches nun die Baſis der künftigen Rechtsſtudien ſeyn ſoll, ob (wie in Preußen) die al- ten Quellen, oder (wie in Frankreich und Oeſter- reich) das neue Geſetzbuch ſelbſt, ſagt er nicht deut- lich, doch ſcheint mehr das letzte ſeine Meynung 1). Iſt aber dieſes der Fall, ſo fordere ich jeden auf, bey ſich zu erwägen, ob auf eines der drey ſchon vorhan- denen neuen Geſetzbücher, unabhängig von den Quel- len des bisherigen Rechts und dieſer Geſetzbücher ſelbſt, eine wirklich lebendige Rechtswiſſenſchaft möglicher- weiſe gegründet werden könne. Wer aber dieſes nicht für möglich erkennt, der kann es auch nicht für das vorgeſchlagene Geſetzbuch behaupten. Denn ich halte es, aus den oben entwickelten Gründen, für ganz unmöglich, daß daſſelbe von den bisheri-
1)Thibaut a. a. O., S. 29—32.
K 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0157"n="147"/>
einleuchtend, daß ein eigenthümliches wiſſenſchaftliches<lb/>
Leben aus ihnen nicht entſpringen kann, und daß<lb/>ſich auch neben ihnen wiſſenſchaftlicher Geiſt nur in<lb/>
dem Maaße lebendig erhalten wird, als die geſchicht-<lb/>
lichen Quellen dieſer Geſetzbücher ſelbſt fortwährend<lb/>
Gegenſtand aller juriſtiſchen Studien bleiben. Der-<lb/>ſelbe Fall aber müßte unfehlbar eintreten, wenn wir<lb/>
ein Geſetzbuch für Deutſchland aufſtellen wollten.<lb/><hirendition="#g">Thibaut</hi>, welcher dieſes anräth, will, wie ſich bey<lb/>
ihm von ſelbſt verſteht, nicht die Wiſſenſchaftlichkeit<lb/>
aufheben, vielmehr hofft er gerade für dieſe großen<lb/>
Gewinn. Welches nun die Baſis der künftigen<lb/>
Rechtsſtudien ſeyn ſoll, ob (wie in Preußen) die al-<lb/>
ten Quellen, oder (wie in Frankreich und Oeſter-<lb/>
reich) das neue Geſetzbuch ſelbſt, ſagt er nicht deut-<lb/>
lich, doch ſcheint mehr das letzte ſeine Meynung <noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#g">Thibaut</hi> a. a. O., S. 29—32.</note>.<lb/>
Iſt aber dieſes der Fall, ſo fordere ich jeden auf,<lb/>
bey ſich zu erwägen, ob auf eines der drey ſchon vorhan-<lb/>
denen neuen Geſetzbücher, unabhängig von den Quel-<lb/>
len des bisherigen Rechts und dieſer Geſetzbücher ſelbſt,<lb/>
eine wirklich lebendige Rechtswiſſenſchaft möglicher-<lb/>
weiſe gegründet werden könne. Wer aber dieſes<lb/>
nicht für möglich erkennt, der kann es auch nicht<lb/>
für das vorgeſchlagene Geſetzbuch behaupten. Denn<lb/>
ich halte es, aus den oben entwickelten Gründen,<lb/>
für ganz unmöglich, daß daſſelbe von den bisheri-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[147/0157]
einleuchtend, daß ein eigenthümliches wiſſenſchaftliches
Leben aus ihnen nicht entſpringen kann, und daß
ſich auch neben ihnen wiſſenſchaftlicher Geiſt nur in
dem Maaße lebendig erhalten wird, als die geſchicht-
lichen Quellen dieſer Geſetzbücher ſelbſt fortwährend
Gegenſtand aller juriſtiſchen Studien bleiben. Der-
ſelbe Fall aber müßte unfehlbar eintreten, wenn wir
ein Geſetzbuch für Deutſchland aufſtellen wollten.
Thibaut, welcher dieſes anräth, will, wie ſich bey
ihm von ſelbſt verſteht, nicht die Wiſſenſchaftlichkeit
aufheben, vielmehr hofft er gerade für dieſe großen
Gewinn. Welches nun die Baſis der künftigen
Rechtsſtudien ſeyn ſoll, ob (wie in Preußen) die al-
ten Quellen, oder (wie in Frankreich und Oeſter-
reich) das neue Geſetzbuch ſelbſt, ſagt er nicht deut-
lich, doch ſcheint mehr das letzte ſeine Meynung 1).
Iſt aber dieſes der Fall, ſo fordere ich jeden auf,
bey ſich zu erwägen, ob auf eines der drey ſchon vorhan-
denen neuen Geſetzbücher, unabhängig von den Quel-
len des bisherigen Rechts und dieſer Geſetzbücher ſelbſt,
eine wirklich lebendige Rechtswiſſenſchaft möglicher-
weiſe gegründet werden könne. Wer aber dieſes
nicht für möglich erkennt, der kann es auch nicht
für das vorgeſchlagene Geſetzbuch behaupten. Denn
ich halte es, aus den oben entwickelten Gründen,
für ganz unmöglich, daß daſſelbe von den bisheri-
1) Thibaut a. a. O., S. 29—32.
K 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/157>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.