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Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

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In neueren Zeiten sind über die Bedingungen
unsres Studiums zwey von dieser Ansicht abweichen-
de, völlig entgegengesetzte Meynungen gehört wor-
den. Thibaut nämlich 1) stellt die Schwierigkeit des-
selben fast schauderhaft dar, und so, daß allerdings
jedem, der es unternehmen wollte, der Muth entfal-
len müßte; so z. B. sollen wir vielleicht erst nach
tausend Jahren so glücklich seyn, über alle Lehren
des Römischen Rechts erschöpfende Werke zu erhalten.
Das ist zu wenig oder zu viel, je nachdem man es
nimmt. Ganz erschöpfen und völlig abthun, so daß
kein Weiterkommen möglich wäre, läßt sich eine wür-
dige historische Aufgabe niemals, auch nicht in tau-
send Jahren; aber um zu sicherer Anschauung und
zur Möglichkeit unmittelbarer, verständiger Anwen-
dung des Römischen Rechts zu gelangen, brauchen
wir so lange Zeit nicht, dies ist größtentheils schon
jetzt möglich, obgleich mit stetem Fortschreiten nach
innen, was ich unsrer Wissenschaft nicht zum Tadel,
sondern zu wahrer Ehre rechne. Es kommt alles auf
die Art an, wie das Studium behandelt wird. Vor
hundert Jahren hat man in Deutschland viel mehr
Mühe und Zeit an das Römische Recht gesetzt als
jetzt, und es ist unläugbar, daß man in eigentlicher
Kenntniß nicht so weit kommen konnte, als es jetzt

1) a. a. O., S. 15 -- 22.

In neueren Zeiten ſind über die Bedingungen
unſres Studiums zwey von dieſer Anſicht abweichen-
de, völlig entgegengeſetzte Meynungen gehört wor-
den. Thibaut nämlich 1) ſtellt die Schwierigkeit deſ-
ſelben faſt ſchauderhaft dar, und ſo, daß allerdings
jedem, der es unternehmen wollte, der Muth entfal-
len müßte; ſo z. B. ſollen wir vielleicht erſt nach
tauſend Jahren ſo glücklich ſeyn, über alle Lehren
des Römiſchen Rechts erſchöpfende Werke zu erhalten.
Das iſt zu wenig oder zu viel, je nachdem man es
nimmt. Ganz erſchöpfen und völlig abthun, ſo daß
kein Weiterkommen möglich wäre, läßt ſich eine wür-
dige hiſtoriſche Aufgabe niemals, auch nicht in tau-
ſend Jahren; aber um zu ſicherer Anſchauung und
zur Möglichkeit unmittelbarer, verſtändiger Anwen-
dung des Römiſchen Rechts zu gelangen, brauchen
wir ſo lange Zeit nicht, dies iſt größtentheils ſchon
jetzt möglich, obgleich mit ſtetem Fortſchreiten nach
innen, was ich unſrer Wiſſenſchaft nicht zum Tadel,
ſondern zu wahrer Ehre rechne. Es kommt alles auf
die Art an, wie das Studium behandelt wird. Vor
hundert Jahren hat man in Deutſchland viel mehr
Mühe und Zeit an das Römiſche Recht geſetzt als
jetzt, und es iſt unläugbar, daß man in eigentlicher
Kenntniß nicht ſo weit kommen konnte, als es jetzt

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[122/0132] In neueren Zeiten ſind über die Bedingungen unſres Studiums zwey von dieſer Anſicht abweichen- de, völlig entgegengeſetzte Meynungen gehört wor- den. Thibaut nämlich 1) ſtellt die Schwierigkeit deſ- ſelben faſt ſchauderhaft dar, und ſo, daß allerdings jedem, der es unternehmen wollte, der Muth entfal- len müßte; ſo z. B. ſollen wir vielleicht erſt nach tauſend Jahren ſo glücklich ſeyn, über alle Lehren des Römiſchen Rechts erſchöpfende Werke zu erhalten. Das iſt zu wenig oder zu viel, je nachdem man es nimmt. Ganz erſchöpfen und völlig abthun, ſo daß kein Weiterkommen möglich wäre, läßt ſich eine wür- dige hiſtoriſche Aufgabe niemals, auch nicht in tau- ſend Jahren; aber um zu ſicherer Anſchauung und zur Möglichkeit unmittelbarer, verſtändiger Anwen- dung des Römiſchen Rechts zu gelangen, brauchen wir ſo lange Zeit nicht, dies iſt größtentheils ſchon jetzt möglich, obgleich mit ſtetem Fortſchreiten nach innen, was ich unſrer Wiſſenſchaft nicht zum Tadel, ſondern zu wahrer Ehre rechne. Es kommt alles auf die Art an, wie das Studium behandelt wird. Vor hundert Jahren hat man in Deutſchland viel mehr Mühe und Zeit an das Römiſche Recht geſetzt als jetzt, und es iſt unläugbar, daß man in eigentlicher Kenntniß nicht ſo weit kommen konnte, als es jetzt 1) a. a. O., S. 15 — 22.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/132>, abgerufen am 28.11.2024.