Onans Sünde gelesen oder gehöret hatte, bis ich ohngefehr vor 8. oder 9. Jahren, als ich noch in der Lehre war, Jhr Buch sahe.
Nachdem ich solches gelesen hatte, gerieth ich in grosse Gemüths-Bestürtzung, und bedurfte Hülfe an Seel und Lei- be; wuste aber nicht, wie ich meinen Zustand iemanden vor- stellen solte. Jch war immittelst einem grausamen Husten und andern Uebligkeiten unterworfen, und wurde gantz klein von Statur. Jch hatte Jhr Buch nicht lange gehabt, so fand es iemand aus der Familie. Jch habe aber niemals erfahren, wer es gewesen ist, durfte auch nicht darnach fra- gen. Eine Zeitlang stritte ich scharf wieder diese Unart. Jch versprach und gelobte an, ich wolte mich deren nicht mehr schuldig machen, und gebrauchte alle Mittel, die ich erden- cken konnte, diese Sünde zu verhüten; aber meine Neigung dazu war so starck und gewaltig, daß es mir schwer fiel, mich nur eine Woche davon zu enthalten. Und ich hatte hernach das Unglück, etliche anzutreffen, welche eine natürliche Noth- wendigkeit dieser Unart behaupteten; aber dessen ungeachtet konnte ich nicht dahin gebracht werden, solches für keine Sünde zu halten. Jch habe unterschiedene Versuche gethan, meinen Zustand zu verändern, und mich in den Ehestand zu begeben; bin aber allemal daran verhindert worden. Jch schreibe nun in gröster Bedrängniß an Sie, mein Herr! Mein Leib ist durch diese leichtfertige Gewohnheit gantz auf die Neige gekommen. Jch habe lange Zeit einen heftigen Husten gehabt, und will mich öfters erbrechen, kan aber we- nig heraus bringen. Jch habe öfters Kopf- und Rücken- schmertzen, und grosse Schwachheit in meinen Gliedern. Der Kopf ist mir voller Dünste, und die Augen sind gantz schwach und dunckel. Jch habe mich seither dieser garstigen Gewohnheit lange nicht schuldig gemacht; welches ich aber nicht sowol für eine Wirckung der Tugend als des Unver- mögens ansehe. Mein Herr, Sie würden ein Werck der Christlichen Liebe erweisen, wenn Sie so gut seyn, und mir Jhren Rath so wol am Leibe als Gemüth ertheilen wolten. Meine Umstände sind sehr gering; dafern ich aber iemals vermögend werden solte, Jhnen Vergeltung zu thun, so wür- de ich mich nicht undanckbar finden lassen. Jch muß ohne einigen Beystand verderben, und ich weiß nicht, zu wem ich mich in diesen traurigen und betrübten Umständen wenden soll, wenn Sie mir Jhre Hülfe versagen. Jch bitte Sie demnach um einer armen Seele willen, Sie wollen mir ei- nigen Rath ertheilen, damit ich nicht in den verzweifelten Zustand gerathen und schliessen muß, daß keine Hülfe für mich übrig sey, und ich also verderben müsse. Sie verzeihen meiner Ungestümigkeit. Sie rühret von der Empfindung
mei-
M 3
Betrachtung der Unreinigkeit.
Onans Suͤnde geleſen oder gehoͤret hatte, bis ich ohngefehr vor 8. oder 9. Jahren, als ich noch in der Lehre war, Jhr Buch ſahe.
Nachdem ich ſolches geleſen hatte, gerieth ich in groſſe Gemuͤths-Beſtuͤrtzung, und bedurfte Huͤlfe an Seel und Lei- be; wuſte aber nicht, wie ich meinen Zuſtand iemanden vor- ſtellen ſolte. Jch war immittelſt einem grauſamen Huſten und andern Uebligkeiten unterworfen, und wurde gantz klein von Statur. Jch hatte Jhr Buch nicht lange gehabt, ſo fand es iemand aus der Familie. Jch habe aber niemals erfahren, wer es geweſen iſt, durfte auch nicht darnach fra- gen. Eine Zeitlang ſtritte ich ſcharf wieder dieſe Unart. Jch verſprach und gelobte an, ich wolte mich deren nicht mehr ſchuldig machen, und gebrauchte alle Mittel, die ich erden- cken konnte, dieſe Suͤnde zu verhuͤten; aber meine Neigung dazu war ſo ſtarck und gewaltig, daß es mir ſchwer fiel, mich nur eine Woche davon zu enthalten. Und ich hatte hernach das Ungluͤck, etliche anzutreffen, welche eine natuͤrliche Noth- wendigkeit dieſer Unart behaupteten; aber deſſen ungeachtet konnte ich nicht dahin gebracht werden, ſolches fuͤr keine Suͤnde zu halten. Jch habe unterſchiedene Verſuche gethan, meinen Zuſtand zu veraͤndern, und mich in den Eheſtand zu begeben; bin aber allemal daran verhindert worden. Jch ſchreibe nun in groͤſter Bedraͤngniß an Sie, mein Herr! Mein Leib iſt durch dieſe leichtfertige Gewohnheit gantz auf die Neige gekommen. Jch habe lange Zeit einen heftigen Huſten gehabt, und will mich oͤfters erbrechen, kan aber we- nig heraus bringen. Jch habe oͤfters Kopf- und Ruͤcken- ſchmertzen, und groſſe Schwachheit in meinen Gliedern. Der Kopf iſt mir voller Duͤnſte, und die Augen ſind gantz ſchwach und dunckel. Jch habe mich ſeither dieſer garſtigen Gewohnheit lange nicht ſchuldig gemacht; welches ich aber nicht ſowol fuͤr eine Wirckung der Tugend als des Unver- moͤgens anſehe. Mein Herr, Sie wuͤrden ein Werck der Chriſtlichen Liebe erweiſen, wenn Sie ſo gut ſeyn, und mir Jhren Rath ſo wol am Leibe als Gemuͤth ertheilen wolten. Meine Umſtaͤnde ſind ſehr gering; dafern ich aber iemals vermoͤgend werden ſolte, Jhnen Vergeltung zu thun, ſo wuͤr- de ich mich nicht undanckbar finden laſſen. Jch muß ohne einigen Beyſtand verderben, und ich weiß nicht, zu wem ich mich in dieſen traurigen und betruͤbten Umſtaͤnden wenden ſoll, wenn Sie mir Jhre Huͤlfe verſagen. Jch bitte Sie demnach um einer armen Seele willen, Sie wollen mir ei- nigen Rath ertheilen, damit ich nicht in den verzweifelten Zuſtand gerathen und ſchlieſſen muß, daß keine Huͤlfe fuͤr mich uͤbrig ſey, und ich alſo verderben muͤſſe. Sie verzeihen meiner Ungeſtuͤmigkeit. Sie ruͤhret von der Empfindung
mei-
M 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><floatingText><body><divtype="letter"><p><pbfacs="#f0201"n="181"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Betrachtung der Unreinigkeit.</hi></fw><lb/>
Onans Suͤnde geleſen oder gehoͤret hatte, bis ich ohngefehr<lb/>
vor 8. oder 9. Jahren, als ich noch in der Lehre war, Jhr<lb/>
Buch ſahe.</p><lb/><p>Nachdem ich ſolches geleſen hatte, gerieth ich in groſſe<lb/>
Gemuͤths-Beſtuͤrtzung, und bedurfte Huͤlfe an Seel und Lei-<lb/>
be; wuſte aber nicht, wie ich meinen Zuſtand iemanden vor-<lb/>ſtellen ſolte. Jch war immittelſt einem grauſamen Huſten und<lb/>
andern Uebligkeiten unterworfen, und wurde gantz klein<lb/>
von Statur. Jch hatte Jhr Buch nicht lange gehabt, ſo<lb/>
fand es iemand aus der Familie. Jch habe aber niemals<lb/>
erfahren, wer es geweſen iſt, durfte auch nicht darnach fra-<lb/>
gen. Eine Zeitlang ſtritte ich ſcharf wieder dieſe Unart. Jch<lb/>
verſprach und gelobte an, ich wolte mich deren nicht mehr<lb/>ſchuldig machen, und gebrauchte alle Mittel, die ich erden-<lb/>
cken konnte, dieſe Suͤnde zu verhuͤten; aber meine Neigung<lb/>
dazu war ſo ſtarck und gewaltig, daß es mir ſchwer fiel, mich<lb/>
nur eine Woche davon zu enthalten. Und ich hatte hernach<lb/>
das Ungluͤck, etliche anzutreffen, welche eine natuͤrliche Noth-<lb/>
wendigkeit dieſer Unart behaupteten; aber deſſen ungeachtet<lb/>
konnte ich nicht dahin gebracht werden, ſolches fuͤr keine<lb/>
Suͤnde zu halten. Jch habe unterſchiedene Verſuche gethan,<lb/>
meinen Zuſtand zu veraͤndern, und mich in den Eheſtand zu<lb/>
begeben; bin aber allemal daran verhindert worden. Jch<lb/>ſchreibe nun in groͤſter Bedraͤngniß an Sie, mein Herr!<lb/>
Mein Leib iſt durch dieſe leichtfertige Gewohnheit gantz auf<lb/>
die Neige gekommen. Jch habe lange Zeit einen heftigen<lb/>
Huſten gehabt, und will mich oͤfters erbrechen, kan aber we-<lb/>
nig heraus bringen. Jch habe oͤfters Kopf- und Ruͤcken-<lb/>ſchmertzen, und groſſe Schwachheit in meinen Gliedern.<lb/>
Der Kopf iſt mir voller Duͤnſte, und die Augen ſind gantz<lb/>ſchwach und dunckel. Jch habe mich ſeither dieſer garſtigen<lb/>
Gewohnheit lange nicht ſchuldig gemacht; welches ich aber<lb/>
nicht ſowol fuͤr eine Wirckung der Tugend als des Unver-<lb/>
moͤgens anſehe. Mein Herr, Sie wuͤrden ein Werck der<lb/>
Chriſtlichen Liebe erweiſen, wenn Sie ſo gut ſeyn, und mir<lb/>
Jhren Rath ſo wol am Leibe als Gemuͤth ertheilen wolten.<lb/>
Meine Umſtaͤnde ſind ſehr gering; dafern ich aber iemals<lb/>
vermoͤgend werden ſolte, Jhnen Vergeltung zu thun, ſo wuͤr-<lb/>
de ich mich nicht undanckbar finden laſſen. Jch muß ohne<lb/>
einigen Beyſtand verderben, und ich weiß nicht, zu wem ich<lb/>
mich in dieſen traurigen und betruͤbten Umſtaͤnden wenden<lb/>ſoll, wenn Sie mir Jhre Huͤlfe verſagen. Jch bitte Sie<lb/>
demnach um einer armen Seele willen, Sie wollen mir ei-<lb/>
nigen Rath ertheilen, damit ich nicht in den verzweifelten<lb/>
Zuſtand gerathen und ſchlieſſen muß, daß keine Huͤlfe fuͤr<lb/>
mich uͤbrig ſey, und ich alſo verderben muͤſſe. Sie verzeihen<lb/>
meiner Ungeſtuͤmigkeit. Sie ruͤhret von der Empfindung<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">mei-</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></div></div></body></text></TEI>
[181/0201]
Betrachtung der Unreinigkeit.
Onans Suͤnde geleſen oder gehoͤret hatte, bis ich ohngefehr
vor 8. oder 9. Jahren, als ich noch in der Lehre war, Jhr
Buch ſahe.
Nachdem ich ſolches geleſen hatte, gerieth ich in groſſe
Gemuͤths-Beſtuͤrtzung, und bedurfte Huͤlfe an Seel und Lei-
be; wuſte aber nicht, wie ich meinen Zuſtand iemanden vor-
ſtellen ſolte. Jch war immittelſt einem grauſamen Huſten und
andern Uebligkeiten unterworfen, und wurde gantz klein
von Statur. Jch hatte Jhr Buch nicht lange gehabt, ſo
fand es iemand aus der Familie. Jch habe aber niemals
erfahren, wer es geweſen iſt, durfte auch nicht darnach fra-
gen. Eine Zeitlang ſtritte ich ſcharf wieder dieſe Unart. Jch
verſprach und gelobte an, ich wolte mich deren nicht mehr
ſchuldig machen, und gebrauchte alle Mittel, die ich erden-
cken konnte, dieſe Suͤnde zu verhuͤten; aber meine Neigung
dazu war ſo ſtarck und gewaltig, daß es mir ſchwer fiel, mich
nur eine Woche davon zu enthalten. Und ich hatte hernach
das Ungluͤck, etliche anzutreffen, welche eine natuͤrliche Noth-
wendigkeit dieſer Unart behaupteten; aber deſſen ungeachtet
konnte ich nicht dahin gebracht werden, ſolches fuͤr keine
Suͤnde zu halten. Jch habe unterſchiedene Verſuche gethan,
meinen Zuſtand zu veraͤndern, und mich in den Eheſtand zu
begeben; bin aber allemal daran verhindert worden. Jch
ſchreibe nun in groͤſter Bedraͤngniß an Sie, mein Herr!
Mein Leib iſt durch dieſe leichtfertige Gewohnheit gantz auf
die Neige gekommen. Jch habe lange Zeit einen heftigen
Huſten gehabt, und will mich oͤfters erbrechen, kan aber we-
nig heraus bringen. Jch habe oͤfters Kopf- und Ruͤcken-
ſchmertzen, und groſſe Schwachheit in meinen Gliedern.
Der Kopf iſt mir voller Duͤnſte, und die Augen ſind gantz
ſchwach und dunckel. Jch habe mich ſeither dieſer garſtigen
Gewohnheit lange nicht ſchuldig gemacht; welches ich aber
nicht ſowol fuͤr eine Wirckung der Tugend als des Unver-
moͤgens anſehe. Mein Herr, Sie wuͤrden ein Werck der
Chriſtlichen Liebe erweiſen, wenn Sie ſo gut ſeyn, und mir
Jhren Rath ſo wol am Leibe als Gemuͤth ertheilen wolten.
Meine Umſtaͤnde ſind ſehr gering; dafern ich aber iemals
vermoͤgend werden ſolte, Jhnen Vergeltung zu thun, ſo wuͤr-
de ich mich nicht undanckbar finden laſſen. Jch muß ohne
einigen Beyſtand verderben, und ich weiß nicht, zu wem ich
mich in dieſen traurigen und betruͤbten Umſtaͤnden wenden
ſoll, wenn Sie mir Jhre Huͤlfe verſagen. Jch bitte Sie
demnach um einer armen Seele willen, Sie wollen mir ei-
nigen Rath ertheilen, damit ich nicht in den verzweifelten
Zuſtand gerathen und ſchlieſſen muß, daß keine Huͤlfe fuͤr
mich uͤbrig ſey, und ich alſo verderben muͤſſe. Sie verzeihen
meiner Ungeſtuͤmigkeit. Sie ruͤhret von der Empfindung
mei-
M 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sarganeck, Georg: Ueberzeugende und bewegliche Warnung vor allen Sünden der Unreinigkeit und Heimlichen Unzucht. Züllichau, 1740, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sarganeck_unzucht_1740/201>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.