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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von der ewigen Seeligkeit.

4. Dieweilen dieses alles uns nun viel zu hoch und unbegreifflich ist/ so
erzehle ich dir/ mein Christliche Seel/ eine und andere Geschicht/ auß denen
du dir zum wenigsten von weitem etwas einbilden mögest/ so viel dein blöder
Verstand begreiffen kan/ daß die ewige Seeligkeit ein herliche Sach seyn
müsse. Ein sehr frommer und andächt. Geistlicher hat in seiner Einfalt mehr-Historia.
malen von Gott inständiglich begehrt/ daß er ihn doch einige wenige Süssig-
keit der himmlischen Freuden allhier auff Erden zu schmecken würdigen
wolle. Nun hat sich zugetragen/ da er mit seinen Mit-Brüdern diesen
Vers auß dem neun und achttzigsten Psalmen Davids gesungen: Tausent
Jahr seynd vor deinen Augen/ wie der Tag/ der gestern
vorüber gangen ist:
Daß er in Zweiffel gerathen/ ob diesem also seyn
würde. Jndem nun dieser fromme Diener GOttes/ auch nach vollen-
deter Metten/ denen Worten deß Königlichen Propheten weiters nachge-
dacht/ und zugleich gebetten/ der liebe GOtt wolle ihm doch das Geheimb-
nuß dieses Spruchs entdecken; hat er die Stimm eines überauß süssiglich
singenden Vögeleins gehört; von welcher er dermassen erlustiget worden/
daß er in eine Verzuckung gerathen/ und also dem Vögelein/ so in den nechst-
gelegenen Busch geflohen/ gefolgt ist; alwo er unter einem Baum gestan-
den/ und den lieblichen Gesang so lang zugehöret/ biß das Vögelein sein Ge-
sang geendiget/ und den Baum sambt seinem Zuhörer verlassen hat. Da
ist der Geistliche/ in Meinung/ daß er ein oder andere Stund lang daselbst
verharret habe/ wiederumb zum Kloster gangen/ und hat befunden/ daß die
Pfort desselben zugemauret/ und ein andere gebauet gewesen. Nachdem
er nun in höchster Verwunderung sich bey derselben neuen Pforten ange-
meldet/ hat ihn der Pförtner gefragt/ wer er seye/ von wannen er komme/
und was seyn Begehren seye? Dieser gibt zur Antwort und sagt: Was ist
das? vor wenig Stunden bin ich von hierauß gangen/ komm jetzt wieder/
und siehe/ der gantze Bau deß Klosters sambt den München ist zumahlen
verändert! Dieses neue Wunder hinterbringt der Pförtner seinem Prä-
laten: Selbiger nimbt die Aelteste deß Klosters zu sich/ und fragt den Geist-
lichen/ wie der Abt/ unter welchem er im Kloster gelebt/ geheissen habe.
Da man nun den Nahmen desselben gehört/ hat man in der Chronick deß
Klosters nachgesucht/ und befunden/ daß dieser Geistliche bereits dreyhundert
und viertzig Jahr ausserhalb dem Kloster gewesen seye. Jst nun dieses nicht
ein grosses und ungemeines Wunder/ daß selbiger eine so geraume Zeit/ für
Lieblichkeit deß Gesangs solchen Vögeleins/ oder vielmehr Engels/ weder
Hitz noch Kälte/ weder Hunger noch Durst empfunden habe? Was grosse

Freud
N n n n 2
Von der ewigen Seeligkeit.

4. Dieweilen dieſes alles uns nun viel zu hoch und unbegreifflich iſt/ ſo
erzehle ich dir/ mein Chriſtliche Seel/ eine und andere Geſchicht/ auß denen
du dir zum wenigſten von weitem etwas einbilden moͤgeſt/ ſo viel dein bloͤder
Verſtand begreiffen kan/ daß die ewige Seeligkeit ein herliche Sach ſeyn
muͤſſe. Ein ſehr from̃er und andaͤcht. Geiſtlicher hat in ſeiner Einfalt mehr-Hiſtoria.
malen von Gott inſtaͤndiglich begehrt/ daß er ihn doch einige wenige Suͤſſig-
keit der himmliſchen Freuden allhier auff Erden zu ſchmecken wuͤrdigen
wolle. Nun hat ſich zugetragen/ da er mit ſeinen Mit-Bruͤdern dieſen
Vers auß dem neun und achttzigſten Pſalmen Davids geſungen: Tauſent
Jahr ſeynd vor deinen Augen/ wie der Tag/ der geſtern
vorüber gangen iſt:
Daß er in Zweiffel gerathen/ ob dieſem alſo ſeyn
wuͤrde. Jndem nun dieſer fromme Diener GOttes/ auch nach vollen-
deter Metten/ denen Worten deß Koͤniglichen Propheten weiters nachge-
dacht/ und zugleich gebetten/ der liebe GOtt wolle ihm doch das Geheimb-
nuß dieſes Spruchs entdecken; hat er die Stimm eines uͤberauß ſuͤſſiglich
ſingenden Voͤgeleins gehoͤrt; von welcher er dermaſſen erluſtiget worden/
daß er in eine Verzuckung gerathen/ und alſo dem Voͤgelein/ ſo in den nechſt-
gelegenen Buſch geflohen/ gefolgt iſt; alwo er unter einem Baum geſtan-
den/ und den lieblichen Geſang ſo lang zugehoͤret/ biß das Voͤgelein ſein Ge-
ſang geendiget/ und den Baum ſambt ſeinem Zuhoͤrer verlaſſen hat. Da
iſt der Geiſtliche/ in Meinung/ daß er ein oder andere Stund lang daſelbſt
verharret habe/ wiederumb zum Kloſter gangen/ und hat befunden/ daß die
Pfort deſſelben zugemauret/ und ein andere gebauet geweſen. Nachdem
er nun in hoͤchſter Verwunderung ſich bey derſelben neuen Pforten ange-
meldet/ hat ihn der Pfoͤrtner gefragt/ wer er ſeye/ von wannen er komme/
und was ſeyn Begehren ſeye? Dieſer gibt zur Antwort und ſagt: Was iſt
das? vor wenig Stunden bin ich von hierauß gangen/ komm jetzt wieder/
und ſiehe/ der gantze Bau deß Kloſters ſambt den Muͤnchen iſt zumahlen
veraͤndert! Dieſes neue Wunder hinterbringt der Pfoͤrtner ſeinem Praͤ-
laten: Selbiger nimbt die Aelteſte deß Kloſters zu ſich/ und fragt den Geiſt-
lichen/ wie der Abt/ unter welchem er im Kloſter gelebt/ geheiſſen habe.
Da man nun den Nahmen deſſelben gehoͤrt/ hat man in der Chronick deß
Kloſters nachgeſucht/ und befunden/ daß dieſer Geiſtliche bereits dreyhundert
und viertzig Jahr auſſerhalb dem Kloſter geweſen ſeye. Jſt nun dieſes nicht
ein groſſes und ungemeines Wunder/ daß ſelbiger eine ſo geraume Zeit/ fuͤr
Lieblichkeit deß Geſangs ſolchen Voͤgeleins/ oder vielmehr Engels/ weder
Hitz noch Kaͤlte/ weder Hunger noch Durſt empfunden habe? Was groſſe

Freud
N n n n 2
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[651/0679] Von der ewigen Seeligkeit. 4. Dieweilen dieſes alles uns nun viel zu hoch und unbegreifflich iſt/ ſo erzehle ich dir/ mein Chriſtliche Seel/ eine und andere Geſchicht/ auß denen du dir zum wenigſten von weitem etwas einbilden moͤgeſt/ ſo viel dein bloͤder Verſtand begreiffen kan/ daß die ewige Seeligkeit ein herliche Sach ſeyn muͤſſe. Ein ſehr from̃er und andaͤcht. Geiſtlicher hat in ſeiner Einfalt mehr- malen von Gott inſtaͤndiglich begehrt/ daß er ihn doch einige wenige Suͤſſig- keit der himmliſchen Freuden allhier auff Erden zu ſchmecken wuͤrdigen wolle. Nun hat ſich zugetragen/ da er mit ſeinen Mit-Bruͤdern dieſen Vers auß dem neun und achttzigſten Pſalmen Davids geſungen: Tauſent Jahr ſeynd vor deinen Augen/ wie der Tag/ der geſtern vorüber gangen iſt: Daß er in Zweiffel gerathen/ ob dieſem alſo ſeyn wuͤrde. Jndem nun dieſer fromme Diener GOttes/ auch nach vollen- deter Metten/ denen Worten deß Koͤniglichen Propheten weiters nachge- dacht/ und zugleich gebetten/ der liebe GOtt wolle ihm doch das Geheimb- nuß dieſes Spruchs entdecken; hat er die Stimm eines uͤberauß ſuͤſſiglich ſingenden Voͤgeleins gehoͤrt; von welcher er dermaſſen erluſtiget worden/ daß er in eine Verzuckung gerathen/ und alſo dem Voͤgelein/ ſo in den nechſt- gelegenen Buſch geflohen/ gefolgt iſt; alwo er unter einem Baum geſtan- den/ und den lieblichen Geſang ſo lang zugehoͤret/ biß das Voͤgelein ſein Ge- ſang geendiget/ und den Baum ſambt ſeinem Zuhoͤrer verlaſſen hat. Da iſt der Geiſtliche/ in Meinung/ daß er ein oder andere Stund lang daſelbſt verharret habe/ wiederumb zum Kloſter gangen/ und hat befunden/ daß die Pfort deſſelben zugemauret/ und ein andere gebauet geweſen. Nachdem er nun in hoͤchſter Verwunderung ſich bey derſelben neuen Pforten ange- meldet/ hat ihn der Pfoͤrtner gefragt/ wer er ſeye/ von wannen er komme/ und was ſeyn Begehren ſeye? Dieſer gibt zur Antwort und ſagt: Was iſt das? vor wenig Stunden bin ich von hierauß gangen/ komm jetzt wieder/ und ſiehe/ der gantze Bau deß Kloſters ſambt den Muͤnchen iſt zumahlen veraͤndert! Dieſes neue Wunder hinterbringt der Pfoͤrtner ſeinem Praͤ- laten: Selbiger nimbt die Aelteſte deß Kloſters zu ſich/ und fragt den Geiſt- lichen/ wie der Abt/ unter welchem er im Kloſter gelebt/ geheiſſen habe. Da man nun den Nahmen deſſelben gehoͤrt/ hat man in der Chronick deß Kloſters nachgeſucht/ und befunden/ daß dieſer Geiſtliche bereits dreyhundert und viertzig Jahr auſſerhalb dem Kloſter geweſen ſeye. Jſt nun dieſes nicht ein groſſes und ungemeines Wunder/ daß ſelbiger eine ſo geraume Zeit/ fuͤr Lieblichkeit deß Geſangs ſolchen Voͤgeleins/ oder vielmehr Engels/ weder Hitz noch Kaͤlte/ weder Hunger noch Durſt empfunden habe? Was groſſe Freud Hiſtoria. N n n n 2

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/679>, abgerufen am 22.11.2024.