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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Fünfftzigste Geistliche Lection
Sunden ab mit Allmosen/ und deine Missethaten mit
Barmhertzigkeit gegen den Armen.
Unter allen Allmussen aber
ist keine edler/ und unier den Barmhertzigkeiten keine grösser/ als die jenige/
so den Seelen im Feg. Feur erwiesen werden: welches auß denen Umbständen
gnugsamb kan ermessen werden/ durch welche den Allmusen grosse Vor-
trefflichkeit erkandt wird.

4. Dieser Umbständen erster ist die Bedürfftigkeit der Personen: dann
wie mehrern Armseeligkeiten eine Person unterworffen ist/ und wie weni-
ger selbige sich selbst helffen kan; desto fürtrefflicher seynd die Allmusen/ so
derselben gereichet werden. Gedencke nun/ mein Christliche Seel/ und
erinnere dich der vorhergehenden Lection von den Peynen deß Feg-Feuers;
gedencke/ ob wol einer einem grössern Elend könne unterworffen werden/ und
sich einer weniger helffen könne/ als ein solche arme und abermahl arme Seel?
Der zweyte Umbstand ist die Heiligkeit deß bedürfftigen. Wie mögen nun
aber unter den Bettleren heiligere Persohnen gefunden werden/ als eben die
Seclen deß Feg-Feurs/ so da von allem Macul der Sünd gereiniget seynd?
Der dritte Umbstand wird vergrössert durch die Fürtreffligkeit der Sachen/
so gegeben oder erworben wird. Was kan aber besser und herrlicher erdacht
werden/ als die ewige Seeligkeit selbst/ die wir durch unsere Allmusen den
armen Kindern zu wegen bringen können? Der vierte Umbstand ist die
Noth deß Wohlthäter selbst; wann nemblich selbiger nicht allein/ das jeni-
ge gibt/ was er übrig hat; sondern auch/ das jenige/ dessen er selbst bedürfftig
ist. Wer thut aber dieses in mehrerer Vollkommenheit/ als der jenige/
welcher den gnugthuenden Nutzen seiner guten Werck/ der da allen Men-
schen hochnöthig ist/ sich selbst entziehet/ und denen Seelen zum besten gibt?
Der fünffte Umbstand ist die gute Neigung und Affection deß Wohltäters:
zumahlen auß selbiger die Gütigkeit deß Gebenden meistens ermessen wird/
wie der heilige Papst Lco unter andern bezeuget. Wo kan aber ein grös-
sere Lieb und Affection gefunden werden/ als eben/ wann der Mensch/ in
dem er einen andern vom Feuer erlöset/ sich selbsten zum Leyden darstel-
let? Hierauß künnen wir vernüfftlich schliessen/ daß die geistliche Allmu-
sen/ so den brennenden Seelen gereichet werden/ viel fürtrefflicher seyen/
als die Leibliche/ so den Armen gegeben werden. Wann nun diese leibliche
Allmuß/ nach Zeugnüß deß frommen Tobiä/ den Menschen vom Todt
befreyet/ und selbige die Sünden reiniget/ und erfindet die Barmhertzigkeit/
und das ewige Leben: Wie viel mehr wird selbiges nicht verrichten die

gest-

Die Fuͤnfftzigſte Geiſtliche Lection
Sůnden ab mit Allmoſen/ und deine Miſſethaten mit
Barmhertzigkeit gegen den Armen.
Unter allen Allmuſſen aber
iſt keine edler/ und unier den Barmhertzigkeiten keine groͤſſer/ als die jenige/
ſo den Seelen im Feg. Feur erwieſen werden: welches auß denen Umbſtaͤnden
gnugſamb kan ermeſſen werden/ durch welche den Allmuſen groſſe Vor-
trefflichkeit erkandt wird.

4. Dieſer Umbſtaͤnden erſter iſt die Beduͤrfftigkeit der Perſonen: dann
wie mehrern Armſeeligkeiten eine Perſon unterworffen iſt/ und wie weni-
ger ſelbige ſich ſelbſt helffen kan; deſto fuͤrtrefflicher ſeynd die Allmuſen/ ſo
derſelben gereichet werden. Gedencke nun/ mein Chriſtliche Seel/ und
erinnere dich der vorhergehenden Lection von den Peynen deß Feg-Feuers;
gedencke/ ob wol einer einem groͤſſern Elend koͤnne unterworffen werden/ und
ſich einer weniger helffen koͤnne/ als ein ſolche arme und abermahl arme Seel?
Der zweyte Umbſtand iſt die Heiligkeit deß beduͤrfftigen. Wie moͤgen nun
aber unter den Bettleren heiligere Perſohnen gefunden werden/ als eben die
Seclen deß Feg-Feurs/ ſo da von allem Macul der Suͤnd gereiniget ſeynd?
Der dritte Umbſtand wird vergroͤſſert durch die Fuͤrtreffligkeit der Sachen/
ſo gegeben oder erworben wird. Was kan aber beſſer und herrlicher erdacht
werden/ als die ewige Seeligkeit ſelbſt/ die wir durch unſere Allmuſen den
armen Kindern zu wegen bringen koͤnnen? Der vierte Umbſtand iſt die
Noth deß Wohlthaͤter ſelbſt; wann nemblich ſelbiger nicht allein/ das jeni-
ge gibt/ was er uͤbrig hat; ſondern auch/ das jenige/ deſſen er ſelbſt beduͤrfftig
iſt. Wer thut aber dieſes in mehrerer Vollkommenheit/ als der jenige/
welcher den gnugthuenden Nutzen ſeiner guten Werck/ der da allen Men-
ſchen hochnoͤthig iſt/ ſich ſelbſt entziehet/ und denen Seelen zum beſten gibt?
Der fuͤnffte Umbſtand iſt die gute Neigung und Affection deß Wohltaͤters:
zumahlen auß ſelbiger die Guͤtigkeit deß Gebenden meiſtens ermeſſen wird/
wie der heilige Papſt Lco unter andern bezeuget. Wo kan aber ein groͤſ-
ſere Lieb und Affection gefunden werden/ als eben/ wann der Menſch/ in
dem er einen andern vom Feuer erloͤſet/ ſich ſelbſten zum Leyden darſtel-
let? Hierauß kuͤnnen wir vernuͤfftlich ſchlieſſen/ daß die geiſtliche Allmu-
ſen/ ſo den brennenden Seelen gereichet werden/ viel fuͤrtrefflicher ſeyen/
als die Leibliche/ ſo den Armen gegeben werden. Wann nun dieſe leibliche
Allmuß/ nach Zeugnuͤß deß frommen Tobiaͤ/ den Menſchen vom Todt
befreyet/ und ſelbige die Suͤnden reiniget/ und erfindet die Barmhertzigkeit/
und das ewige Leben: Wie viel mehr wird ſelbiges nicht verrichten die

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[640/0668] Die Fuͤnfftzigſte Geiſtliche Lection Sůnden ab mit Allmoſen/ und deine Miſſethaten mit Barmhertzigkeit gegen den Armen. Unter allen Allmuſſen aber iſt keine edler/ und unier den Barmhertzigkeiten keine groͤſſer/ als die jenige/ ſo den Seelen im Feg. Feur erwieſen werden: welches auß denen Umbſtaͤnden gnugſamb kan ermeſſen werden/ durch welche den Allmuſen groſſe Vor- trefflichkeit erkandt wird. 4. Dieſer Umbſtaͤnden erſter iſt die Beduͤrfftigkeit der Perſonen: dann wie mehrern Armſeeligkeiten eine Perſon unterworffen iſt/ und wie weni- ger ſelbige ſich ſelbſt helffen kan; deſto fuͤrtrefflicher ſeynd die Allmuſen/ ſo derſelben gereichet werden. Gedencke nun/ mein Chriſtliche Seel/ und erinnere dich der vorhergehenden Lection von den Peynen deß Feg-Feuers; gedencke/ ob wol einer einem groͤſſern Elend koͤnne unterworffen werden/ und ſich einer weniger helffen koͤnne/ als ein ſolche arme und abermahl arme Seel? Der zweyte Umbſtand iſt die Heiligkeit deß beduͤrfftigen. Wie moͤgen nun aber unter den Bettleren heiligere Perſohnen gefunden werden/ als eben die Seclen deß Feg-Feurs/ ſo da von allem Macul der Suͤnd gereiniget ſeynd? Der dritte Umbſtand wird vergroͤſſert durch die Fuͤrtreffligkeit der Sachen/ ſo gegeben oder erworben wird. Was kan aber beſſer und herrlicher erdacht werden/ als die ewige Seeligkeit ſelbſt/ die wir durch unſere Allmuſen den armen Kindern zu wegen bringen koͤnnen? Der vierte Umbſtand iſt die Noth deß Wohlthaͤter ſelbſt; wann nemblich ſelbiger nicht allein/ das jeni- ge gibt/ was er uͤbrig hat; ſondern auch/ das jenige/ deſſen er ſelbſt beduͤrfftig iſt. Wer thut aber dieſes in mehrerer Vollkommenheit/ als der jenige/ welcher den gnugthuenden Nutzen ſeiner guten Werck/ der da allen Men- ſchen hochnoͤthig iſt/ ſich ſelbſt entziehet/ und denen Seelen zum beſten gibt? Der fuͤnffte Umbſtand iſt die gute Neigung und Affection deß Wohltaͤters: zumahlen auß ſelbiger die Guͤtigkeit deß Gebenden meiſtens ermeſſen wird/ wie der heilige Papſt Lco unter andern bezeuget. Wo kan aber ein groͤſ- ſere Lieb und Affection gefunden werden/ als eben/ wann der Menſch/ in dem er einen andern vom Feuer erloͤſet/ ſich ſelbſten zum Leyden darſtel- let? Hierauß kuͤnnen wir vernuͤfftlich ſchlieſſen/ daß die geiſtliche Allmu- ſen/ ſo den brennenden Seelen gereichet werden/ viel fuͤrtrefflicher ſeyen/ als die Leibliche/ ſo den Armen gegeben werden. Wann nun dieſe leibliche Allmuß/ nach Zeugnuͤß deß frommen Tobiaͤ/ den Menſchen vom Todt befreyet/ und ſelbige die Suͤnden reiniget/ und erfindet die Barmhertzigkeit/ und das ewige Leben: Wie viel mehr wird ſelbiges nicht verrichten die geſt-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/668>, abgerufen am 22.11.2024.