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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Sieben und Viertzigste Geistliche Lection
über zehn Jahr/ wann er sonst früher nicht könnte/ die übrige Zeit seines
Lebens im Kloster deß Heil. Vincentii im Dienst GOttes zubringen wol-
te. Nach verlauffenen zehn Jahren hab ich ihm angelegen/ sagt der Cardinal/
er mögte doch seinem Versprechen nachkommen: worauff er zwarn mit dem
Mund guldene Berg versprochen/ hat aber in der That seine Wort nicht
gehalten/ sondern mit allerhand Entschuldigungen seine Bekchrung ver-
schoben. Hierzu kombt auch/ daß der Vorsteher desselben Klosters/ deme
er viele Wohlthaten erwiesen hatte/ die Verlängerung zum geistlichen
Stand gerathen/ dieweilen selbiger gern gesehen/ daß ein so grosser Wol-
thäter nicht auff einmahl seiner Güter sich entblösete/ sondern vor und nach
und dahero desto länger den armen Geistlichen Guts thäte. Arduinus wird
unterdessen mit einer so schwähren Kranckheit überfallen/ daß auch die Artzten
alsbald zu verzweiflen anfangen. Auff daß aber die Seel nicht verlohren gien-
ge/ lasset der Krancke den Beichts- Vatter beruffen/ beichtet demselben/ und
nach gethaner Beicht und empfangener Absolution theilt er der Kirchen und
Armen seine Güter freygebig mit/ und bereitet sich dergestalt zu einem se[i]l gen
Todt/ daß er in grosser Zufriedenheit/ seine Freund und Verwandten umb
GOttes Willen ersuchet/ sie sollen doch umb Verlängerung seines zeitligen
und vergänglichen Lebens nicht betten/ sondern umb ein seeliges End bey
GOtt anhalten. Er stirbt mit völliger Resignation seines Willens/ gantz
wohl und andächtiglich dahin/ daß auch ein jeder anders nicht urtheilen kön-
nen/ als daß dieser fromme HErr zur Rechenschafft zu geben/ sich über die
Massen wohl bereitet habe. Aber/ aber/ anders urtheilet GOtt/ und an-
ders urtheilen die Menschen! Nach einigen wenig Tagen erscheinet er in
der Nacht dem obgemeldten Vorsteher deß Klosters S. Vincentii. Die-
sem geduncke/ er stehet auff einer weiten Ebene/ und sehe daselbst stehen ei-
nen Kayser mit den Fürnehmsten seines Reichs/ sambt einem gewaltigen
Kriegs-Heer. Der Abt sicht umb sich/ und bald auff diese/ bald auffjene
Seiten; und da er alles beschauet/ schet er/ daß der Arduinus von einigen
Trabanten gezogen wird. Da fragt selbiger den gleichsamb vorbey gehen-
den Arduinum und sagt: Ach mein lieber Arduine halte doch still/ und
sagt mir/ wie es mit dir stehe: erfreuestu dich/ oder leidestu; bistu seelig/
oder bistu verdambt? Arduinus gantz ängstig/ gibt mit weinender Stimm
zur Antwort: Warumb fragstu mich/ ob ich seelig seye/ der ich immer-
wehrende Schmertzen leyde/ und nicht ein augenblickliche Ruhe hab? Ach/
ich armseeliger brenne/ und daß zwarn ewiglich/ dieweil ich mein Ver-

sprechen

Die Sieben und Viertzigſte Geiſtliche Lection
uͤber zehn Jahr/ wann er ſonſt fruͤher nicht koͤnnte/ die uͤbrige Zeit ſeines
Lebens im Kloſter deß Heil. Vincentii im Dienſt GOttes zubringen wol-
te. Nach verlauffenen zehn Jahren hab ich ihm angelegen/ ſagt der Cardinal/
er moͤgte doch ſeinem Verſprechen nachkommen: worauff er zwarn mit dem
Mund guldene Berg verſprochen/ hat aber in der That ſeine Wort nicht
gehalten/ ſondern mit allerhand Entſchuldigungen ſeine Bekchrung ver-
ſchoben. Hierzu kombt auch/ daß der Vorſteher deſſelben Kloſters/ deme
er viele Wohlthaten erwieſen hatte/ die Verlaͤngerung zum geiſtlichen
Stand gerathen/ dieweilen ſelbiger gern geſehen/ daß ein ſo groſſer Wol-
thaͤter nicht auff einmahl ſeiner Guͤter ſich entbloͤſete/ ſondern vor und nach
und dahero deſto laͤnger den armen Geiſtlichen Guts thaͤte. Arduinus wird
unterdeſſen mit einer ſo ſchwaͤhren Kranckheit uͤberfallen/ daß auch die Artzten
alsbald zu verzweiflen anfangen. Auff daß aber die Seel nicht verlohren gien-
ge/ laſſet der Krancke den Beichts- Vatter beruffen/ beichtet demſelben/ und
nach gethaner Beicht und empfangener Abſolution theilt er der Kirchen und
Armen ſeine Guͤter freygebig mit/ und bereitet ſich dergeſtalt zu einem ſe[i]l gen
Todt/ daß er in groſſer Zufriedenheit/ ſeine Freund und Verwandten umb
GOttes Willen erſuchet/ ſie ſollen doch umb Verlaͤngerung ſeines zeitligen
und vergaͤnglichen Lebens nicht betten/ ſondern umb ein ſeeliges End bey
GOtt anhalten. Er ſtirbt mit voͤlliger Reſignation ſeines Willens/ gantz
wohl und andaͤchtiglich dahin/ daß auch ein jeder anders nicht urtheilen koͤn-
nen/ als daß dieſer fromme HErr zur Rechenſchafft zu geben/ ſich uͤber die
Maſſen wohl bereitet habe. Aber/ aber/ anders urtheilet GOtt/ und an-
ders urtheilen die Menſchen! Nach einigen wenig Tagen erſcheinet er in
der Nacht dem obgemeldten Vorſteher deß Kloſters S. Vincentii. Die-
ſem geduncke/ er ſtehet auff einer weiten Ebene/ und ſehe daſelbſt ſtehen ei-
nen Kayſer mit den Fuͤrnehmſten ſeines Reichs/ ſambt einem gewaltigen
Kriegs-Heer. Der Abt ſicht umb ſich/ und bald auff dieſe/ bald auffjene
Seiten; und da er alles beſchauet/ ſchet er/ daß der Arduinus von einigen
Trabanten gezogen wird. Da fragt ſelbiger den gleichſamb vorbey gehen-
den Arduinum und ſagt: Ach mein lieber Arduine halte doch ſtill/ und
ſagt mir/ wie es mit dir ſtehe: erfreueſtu dich/ oder leideſtu; biſtu ſeelig/
oder biſtu verdambt? Arduinus gantz aͤngſtig/ gibt mit weinender Stimm
zur Antwort: Warumb fragſtu mich/ ob ich ſeelig ſeye/ der ich immer-
wehrende Schmertzen leyde/ und nicht ein augenblickliche Ruhe hab? Ach/
ich armſeeliger brenne/ und daß zwarn ewiglich/ dieweil ich mein Ver-

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[596/0624] Die Sieben und Viertzigſte Geiſtliche Lection uͤber zehn Jahr/ wann er ſonſt fruͤher nicht koͤnnte/ die uͤbrige Zeit ſeines Lebens im Kloſter deß Heil. Vincentii im Dienſt GOttes zubringen wol- te. Nach verlauffenen zehn Jahren hab ich ihm angelegen/ ſagt der Cardinal/ er moͤgte doch ſeinem Verſprechen nachkommen: worauff er zwarn mit dem Mund guldene Berg verſprochen/ hat aber in der That ſeine Wort nicht gehalten/ ſondern mit allerhand Entſchuldigungen ſeine Bekchrung ver- ſchoben. Hierzu kombt auch/ daß der Vorſteher deſſelben Kloſters/ deme er viele Wohlthaten erwieſen hatte/ die Verlaͤngerung zum geiſtlichen Stand gerathen/ dieweilen ſelbiger gern geſehen/ daß ein ſo groſſer Wol- thaͤter nicht auff einmahl ſeiner Guͤter ſich entbloͤſete/ ſondern vor und nach und dahero deſto laͤnger den armen Geiſtlichen Guts thaͤte. Arduinus wird unterdeſſen mit einer ſo ſchwaͤhren Kranckheit uͤberfallen/ daß auch die Artzten alsbald zu verzweiflen anfangen. Auff daß aber die Seel nicht verlohren gien- ge/ laſſet der Krancke den Beichts- Vatter beruffen/ beichtet demſelben/ und nach gethaner Beicht und empfangener Abſolution theilt er der Kirchen und Armen ſeine Guͤter freygebig mit/ und bereitet ſich dergeſtalt zu einem ſeil gen Todt/ daß er in groſſer Zufriedenheit/ ſeine Freund und Verwandten umb GOttes Willen erſuchet/ ſie ſollen doch umb Verlaͤngerung ſeines zeitligen und vergaͤnglichen Lebens nicht betten/ ſondern umb ein ſeeliges End bey GOtt anhalten. Er ſtirbt mit voͤlliger Reſignation ſeines Willens/ gantz wohl und andaͤchtiglich dahin/ daß auch ein jeder anders nicht urtheilen koͤn- nen/ als daß dieſer fromme HErr zur Rechenſchafft zu geben/ ſich uͤber die Maſſen wohl bereitet habe. Aber/ aber/ anders urtheilet GOtt/ und an- ders urtheilen die Menſchen! Nach einigen wenig Tagen erſcheinet er in der Nacht dem obgemeldten Vorſteher deß Kloſters S. Vincentii. Die- ſem geduncke/ er ſtehet auff einer weiten Ebene/ und ſehe daſelbſt ſtehen ei- nen Kayſer mit den Fuͤrnehmſten ſeines Reichs/ ſambt einem gewaltigen Kriegs-Heer. Der Abt ſicht umb ſich/ und bald auff dieſe/ bald auffjene Seiten; und da er alles beſchauet/ ſchet er/ daß der Arduinus von einigen Trabanten gezogen wird. Da fragt ſelbiger den gleichſamb vorbey gehen- den Arduinum und ſagt: Ach mein lieber Arduine halte doch ſtill/ und ſagt mir/ wie es mit dir ſtehe: erfreueſtu dich/ oder leideſtu; biſtu ſeelig/ oder biſtu verdambt? Arduinus gantz aͤngſtig/ gibt mit weinender Stimm zur Antwort: Warumb fragſtu mich/ ob ich ſeelig ſeye/ der ich immer- wehrende Schmertzen leyde/ und nicht ein augenblickliche Ruhe hab? Ach/ ich armſeeliger brenne/ und daß zwarn ewiglich/ dieweil ich mein Ver- ſprechen

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/624>, abgerufen am 25.11.2024.