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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Sechs und Viertzigste Geistliche Lection
keiner gefunden werden/ welcher in steter Todts-Forcht/ da alle Stund/ alle
Augenblick ungewiß seynd/ so keck ist/ und wagen darff/ was ihm einen
unseeligen Todt in Ewigkeit verursachet. Zu dieser Todts-Gedächtnuß
ermahnet der Gottselige Climacus mit diesen Worten:Gleich wie das Brod
dem Menschen nöthig ist für andern Speisen; also ist demselben die reiffli-
che Betrachtung deß Todts für andern guten Wercken und Ubungen am
meisten dienlich und nothwendig.

Historia.

8. Dieser Gottseelige Vatter erzehlet von einem Einsidler/ welcher lan-
ge Zeit ein nachlässiges Leben geführet/ und geringe Sorg für das Heyl
seiner Seelen getragen; endlich durch eine Kranckheit zur eussersten Ge-
fahr seines Lebens gerathen seye. Demnach er nun/ allem Anschen
nach/ deß Todts verblichen gewesen/ seye er ein Stund hernach wiederumb
zu sich kommen/ und haben alle Anwesende gebetten/ sie mögten doch alle
hinweg gehen. Da dieses begehrter massen geschehen; habe er den Ein-
gang seiner Cellen mit Steinen verschlossen/ und seye in selbiger zwölff
Jahr lang verblieben/ habe mit niemand geredet/ und nur mit Wasser und
Brod vor lieb genommen: er habe nichts anders betrachtet/ als was er in
der Verzuckung gesehen hatte/ und in selbigem seye er auch immer also ver-
tiefft gewesen/ daß er nunmehr allzeit mit den Augen gestarret/ und unter
häuffig fliessenden Zähren verstarrt/ biß zum todt verblieben seye. Nach-
dem er aber zu sterben kommen/ haben wir/ sagt Climacus/ den Eingang er-
öffnet/ und zum Krancken gangen: und da wir von selbigem ein oder andere
Lehr begehrt haben; hat er uns nur dieses geantwortet: Vergebet mir:
keiner wird jemahlen sündigen können/ welcher die Ge-
dächtnuß deß Tods in Warheit wird erkennet haben.
Der-
halben hat der H. Cardinal und Bischoff Guarinus mit unzahlbaren andern/
den Todt täglich vor Augen gehalten und betrachtet: und daß zwarn billig:
dann er wuste wohl/ daß diese Betrachtung/ nach der Lehr deß heiligen Au-
gustini/ eine wahre Vernichtigung aller Laster seye: zumahlen daselbst
ein außgelassenes und ungeschlachtes Leben ist/ alwo kein Forcht deß Todts
ist: da lassen sich finden die Sünden in Uberfluß/ und das Verderben der
Seele: dann die Forcht deß Todts bessert das Leben/ nimbt hinweg die
unmässige und schädliche Sicherheit/ bringt Sorg/ wirfft nieder die Hos-
fart/ ernährt die Demut/ vermehret die Lieb/ und machet grösser die Zahl
der Tugenten.

9. Es ware vor diesem zu Constantinopel der Brauch/ das wann ein
Kayser geerönet wurde/ demselben die Gräb-Feuer vier oder fünff Stück-

lein

Die Sechs und Viertzigſte Geiſtliche Lection
keiner gefunden werden/ welcher in ſteter Todts-Forcht/ da alle Stund/ alle
Augenblick ungewiß ſeynd/ ſo keck iſt/ und wagen darff/ was ihm einen
unſeeligen Todt in Ewigkeit verurſachet. Zu dieſer Todts-Gedaͤchtnuß
ermahnet der Gottſelige Climacus mit dieſen Worten:Gleich wie das Brod
dem Menſchen noͤthig iſt fuͤr andern Speiſen; alſo iſt demſelben die reiffli-
che Betrachtung deß Todts fuͤr andern guten Wercken und Ubungen am
meiſten dienlich und nothwendig.

Hiſtoria.

8. Dieſer Gottſeelige Vatter erzehlet von einem Einſidler/ welcher lan-
ge Zeit ein nachlaͤſſiges Leben gefuͤhret/ und geringe Sorg fuͤr das Heyl
ſeiner Seelen getragen; endlich durch eine Kranckheit zur euſſerſten Ge-
fahr ſeines Lebens gerathen ſeye. Demnach er nun/ allem Anſchen
nach/ deß Todts verblichen geweſen/ ſeye er ein Stund hernach wiederumb
zu ſich kommen/ und haben alle Anweſende gebetten/ ſie moͤgten doch alle
hinweg gehen. Da dieſes begehrter maſſen geſchehen; habe er den Ein-
gang ſeiner Cellen mit Steinen verſchloſſen/ und ſeye in ſelbiger zwoͤlff
Jahr lang verblieben/ habe mit niemand geredet/ und nur mit Waſſer und
Brod vor lieb genommen: er habe nichts anders betrachtet/ als was er in
der Verzuckung geſehen hatte/ und in ſelbigem ſeye er auch immer alſo ver-
tiefft geweſen/ daß er nunmehr allzeit mit den Augen geſtarret/ und unter
haͤuffig flieſſenden Zaͤhren verſtarrt/ biß zum todt verblieben ſeye. Nach-
dem er aber zu ſterben kommen/ haben wir/ ſagt Climacus/ den Eingang er-
oͤffnet/ und zum Krancken gangen: und da wir von ſelbigem ein oder andere
Lehr begehrt haben; hat er uns nur dieſes geantwortet: Vergebet mir:
keiner wird jemahlen ſuͤndigen koͤnnen/ welcher die Ge-
daͤchtnůß deß Tods in Warheit wird erkennet haben.
Der-
halben hat der H. Cardinal und Biſchoff Guarinus mit unzahlbaren andern/
den Todt taͤglich vor Augen gehalten und betrachtet: und daß zwarn billig:
dann er wuſte wohl/ daß dieſe Betrachtung/ nach der Lehr deß heiligen Au-
guſtini/ eine wahre Vernichtigung aller Laſter ſeye: zumahlen daſelbſt
ein außgelaſſenes und ungeſchlachtes Leben iſt/ alwo kein Forcht deß Todts
iſt: da laſſen ſich finden die Suͤnden in Uberfluß/ und das Verderben der
Seele: dann die Forcht deß Todts beſſert das Leben/ nimbt hinweg die
unmaͤſſige und ſchaͤdliche Sicherheit/ bringt Sorg/ wirfft nieder die Hoſ-
fart/ ernaͤhrt die Demut/ vermehret die Lieb/ und machet groͤſſer die Zahl
der Tugenten.

9. Es ware vor dieſem zu Conſtantinopel der Brauch/ das wann ein
Kayſer geeroͤnet wurde/ demſelben die Graͤb-Feuer vier oder fuͤnff Stuͤck-

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[588/0616] Die Sechs und Viertzigſte Geiſtliche Lection keiner gefunden werden/ welcher in ſteter Todts-Forcht/ da alle Stund/ alle Augenblick ungewiß ſeynd/ ſo keck iſt/ und wagen darff/ was ihm einen unſeeligen Todt in Ewigkeit verurſachet. Zu dieſer Todts-Gedaͤchtnuß ermahnet der Gottſelige Climacus mit dieſen Worten:Gleich wie das Brod dem Menſchen noͤthig iſt fuͤr andern Speiſen; alſo iſt demſelben die reiffli- che Betrachtung deß Todts fuͤr andern guten Wercken und Ubungen am meiſten dienlich und nothwendig. 8. Dieſer Gottſeelige Vatter erzehlet von einem Einſidler/ welcher lan- ge Zeit ein nachlaͤſſiges Leben gefuͤhret/ und geringe Sorg fuͤr das Heyl ſeiner Seelen getragen; endlich durch eine Kranckheit zur euſſerſten Ge- fahr ſeines Lebens gerathen ſeye. Demnach er nun/ allem Anſchen nach/ deß Todts verblichen geweſen/ ſeye er ein Stund hernach wiederumb zu ſich kommen/ und haben alle Anweſende gebetten/ ſie moͤgten doch alle hinweg gehen. Da dieſes begehrter maſſen geſchehen; habe er den Ein- gang ſeiner Cellen mit Steinen verſchloſſen/ und ſeye in ſelbiger zwoͤlff Jahr lang verblieben/ habe mit niemand geredet/ und nur mit Waſſer und Brod vor lieb genommen: er habe nichts anders betrachtet/ als was er in der Verzuckung geſehen hatte/ und in ſelbigem ſeye er auch immer alſo ver- tiefft geweſen/ daß er nunmehr allzeit mit den Augen geſtarret/ und unter haͤuffig flieſſenden Zaͤhren verſtarrt/ biß zum todt verblieben ſeye. Nach- dem er aber zu ſterben kommen/ haben wir/ ſagt Climacus/ den Eingang er- oͤffnet/ und zum Krancken gangen: und da wir von ſelbigem ein oder andere Lehr begehrt haben; hat er uns nur dieſes geantwortet: Vergebet mir: keiner wird jemahlen ſuͤndigen koͤnnen/ welcher die Ge- daͤchtnůß deß Tods in Warheit wird erkennet haben. Der- halben hat der H. Cardinal und Biſchoff Guarinus mit unzahlbaren andern/ den Todt taͤglich vor Augen gehalten und betrachtet: und daß zwarn billig: dann er wuſte wohl/ daß dieſe Betrachtung/ nach der Lehr deß heiligen Au- guſtini/ eine wahre Vernichtigung aller Laſter ſeye: zumahlen daſelbſt ein außgelaſſenes und ungeſchlachtes Leben iſt/ alwo kein Forcht deß Todts iſt: da laſſen ſich finden die Suͤnden in Uberfluß/ und das Verderben der Seele: dann die Forcht deß Todts beſſert das Leben/ nimbt hinweg die unmaͤſſige und ſchaͤdliche Sicherheit/ bringt Sorg/ wirfft nieder die Hoſ- fart/ ernaͤhrt die Demut/ vermehret die Lieb/ und machet groͤſſer die Zahl der Tugenten. 9. Es ware vor dieſem zu Conſtantinopel der Brauch/ das wann ein Kayſer geeroͤnet wurde/ demſelben die Graͤb-Feuer vier oder fuͤnff Stuͤck- lein

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/616>, abgerufen am 25.11.2024.