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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die dritte Geistliche Lection
und Vielheit der Sünden ansehe. Lasset uns nur von Hertzen seuffzen
wie sichs gebühret/ so werden wir bereit finden aller und jeden begange-
nen Sünden Vergessenheit.

10. David hat gezeuffzet/ und ist ihm Barmhertzigkeit wiederfahren.
Der öffentliche Sünder hat geseuffzet im Tempel/ und ist gerechtfertiget
nach Hauß gangen. Der Schächer am Creutz hat geseuffzet/ und hat
verdienet zu hören: Heut sollstu mit mir im Paradeiß seyn.
Viele tausend andere Sünder und Sünderinnen haben geseuffzet/ de-
ren keinem eintzigen die Barmhertzigkeit ist geweigert worden: unter
welche daß jenige Weib billig zu zehlen ist/ so von Christo selbsten ge-
höret hat: Jch verzeihe dir die Sunden. Welcher Gestalt
sich aber solches zugetragen/ will ich zu deinem Trost erzehlen. Ein
gewisser Priester im Thüringer Land hat einsmals den allerheyligsten
Leib Christi in einer Schachtel/ einen Krancken darmit zu versehen/
ausserhalb deß Dorffs getragen: es ist aber ein Hur nicht weit von dem
Weeg in ihrem öffentlichen Huren- Hauß gestanden/ und da sie den
Priester gesehen/ hat sie bey sich selbsten gedacht: wann der Christliche
Glaub der rechte Glaub ist/ so ist dieser der Heyland der Welt/ den
dieser Priester in der Schachteln traget: und weilen sie billig über sich
selbsten eifferte; daß nem[b]lich in Gegenwart dessen so viele und grosse
Sünden zubegehen sich nicht gescheuet hätte/ der so erschöckliche
Tormenten zu Crlösung der Welt hat außgestanden; als ist selbige
dergestalt in sich selbsten bewegt worden/ daß sie alsobald das Hu-
ren - Hauß verlassen/ durch überhäuffigen Koth in aller Ge-
schwindigkeit zum Priester gelauffen/ und gesagt: Stehet Herr Prie-
ster: und in selbigem Augenblick/ da der Priester still gestanden/ hat sich
das Weib in den Koth vor dem Allerhöchsten Gut niedergeworffen/ und
gesprochen: Mein liebster HErr JEsu Christe/ wann du der jenige
bist/ der füe unser allgemeines Heyl von einer Jungfrauen gebohren/ ge-
litten und begraben/ in den Himmel auffgefahren/ sitzet zur Rechten
deß Vatters/ und wirst kommen zu richten die Lebendige und die Todte;
wann du der jenige bist/ und dich dieser Priester in seinen Händen
traget; so bitte ich dich Fuß-fälliglich durch deine unaußsprechliche
Barmhertzigkeit/ vergebe mir meine Sünden. Auff diese demütigiste
Bitt deß Weibs antwortet Christus auß der Schachtel: ich verzeyhe
dir deine Sünden/ und werde dich zu meiner Gnade auffnehmen. Da
dieses daß offt-gemeldte Weib höret/ gibt sie zur Antwort: nimbstu
mich/ O HERR/ zu deinen Gnaden an/ die ich an meinem Leib mit

aller-

Die dritte Geiſtliche Lection
und Vielheit der Suͤnden anſehe. Laſſet uns nur von Hertzen ſeuffzen
wie ſichs gebuͤhret/ ſo werden wir bereit finden aller und jeden begange-
nen Suͤnden Vergeſſenheit.

10. David hat gezeuffzet/ und iſt ihm Barmhertzigkeit wiederfahren.
Der oͤffentliche Suͤnder hat geſeuffzet im Tempel/ und iſt gerechtfertiget
nach Hauß gangen. Der Schaͤcher am Creutz hat geſeuffzet/ und hat
verdienet zu hoͤren: Heut ſollſtu mit mir im Paradeiß ſeyn.
Viele tauſend andere Suͤnder und Suͤnderinnen haben geſeuffzet/ de-
ren keinem eintzigen die Barmhertzigkeit iſt geweigert worden: unter
welche daß jenige Weib billig zu zehlen iſt/ ſo von Chriſto ſelbſten ge-
hoͤret hat: Jch verzeihe dir die Sůnden. Welcher Geſtalt
ſich aber ſolches zugetragen/ will ich zu deinem Troſt erzehlen. Ein
gewiſſer Prieſter im Thuͤringer Land hat einsmals den allerheyligſten
Leib Chriſti in einer Schachtel/ einen Krancken darmit zu verſehen/
auſſerhalb deß Dorffs getragen: es iſt aber ein Hur nicht weit von dem
Weeg in ihrem oͤffentlichen Huren- Hauß geſtanden/ und da ſie den
Prieſter geſehen/ hat ſie bey ſich ſelbſten gedacht: wann der Chriſtliche
Glaub der rechte Glaub iſt/ ſo iſt dieſer der Heyland der Welt/ den
dieſer Prieſter in der Schachteln traget: und weilen ſie billig uͤber ſich
ſelbſten eifferte; daß nem[b]lich in Gegenwart deſſen ſo viele und groſſe
Suͤnden zubegehen ſich nicht geſcheuet haͤtte/ der ſo erſchoͤckliche
Tormenten zu Crloͤſung der Welt hat außgeſtanden; als iſt ſelbige
dergeſtalt in ſich ſelbſten bewegt worden/ daß ſie alſobald das Hu-
ren - Hauß verlaſſen/ durch uͤberhaͤuffigen Koth in aller Ge-
ſchwindigkeit zum Prieſter gelauffen/ und geſagt: Stehet Herr Prie-
ſter: und in ſelbigem Augenblick/ da der Prieſter ſtill geſtanden/ hat ſich
das Weib in den Koth vor dem Allerhoͤchſten Gut niedergeworffen/ und
geſprochen: Mein liebſter HErr JEſu Chriſte/ wann du der jenige
biſt/ der fuͤe unſer allgemeines Heyl von einer Jungfrauen gebohren/ ge-
litten und begraben/ in den Himmel auffgefahren/ ſitzet zur Rechten
deß Vatters/ und wirſt kommen zu richten die Lebendige und die Todte;
wann du der jenige biſt/ und dich dieſer Prieſter in ſeinen Haͤnden
traget; ſo bitte ich dich Fuß-faͤlliglich durch deine unaußſprechliche
Barmhertzigkeit/ vergebe mir meine Suͤnden. Auff dieſe demuͤtigiſte
Bitt deß Weibs antwortet Chriſtus auß der Schachtel: ich verzeyhe
dir deine Suͤnden/ und werde dich zu meiner Gnade auffnehmen. Da
dieſes daß offt-gemeldte Weib hoͤret/ gibt ſie zur Antwort: nimbſtu
mich/ O HERR/ zu deinen Gnaden an/ die ich an meinem Leib mit

aller-
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[30/0058] Die dritte Geiſtliche Lection und Vielheit der Suͤnden anſehe. Laſſet uns nur von Hertzen ſeuffzen wie ſichs gebuͤhret/ ſo werden wir bereit finden aller und jeden begange- nen Suͤnden Vergeſſenheit. 10. David hat gezeuffzet/ und iſt ihm Barmhertzigkeit wiederfahren. Der oͤffentliche Suͤnder hat geſeuffzet im Tempel/ und iſt gerechtfertiget nach Hauß gangen. Der Schaͤcher am Creutz hat geſeuffzet/ und hat verdienet zu hoͤren: Heut ſollſtu mit mir im Paradeiß ſeyn. Viele tauſend andere Suͤnder und Suͤnderinnen haben geſeuffzet/ de- ren keinem eintzigen die Barmhertzigkeit iſt geweigert worden: unter welche daß jenige Weib billig zu zehlen iſt/ ſo von Chriſto ſelbſten ge- hoͤret hat: Jch verzeihe dir die Sůnden. Welcher Geſtalt ſich aber ſolches zugetragen/ will ich zu deinem Troſt erzehlen. Ein gewiſſer Prieſter im Thuͤringer Land hat einsmals den allerheyligſten Leib Chriſti in einer Schachtel/ einen Krancken darmit zu verſehen/ auſſerhalb deß Dorffs getragen: es iſt aber ein Hur nicht weit von dem Weeg in ihrem oͤffentlichen Huren- Hauß geſtanden/ und da ſie den Prieſter geſehen/ hat ſie bey ſich ſelbſten gedacht: wann der Chriſtliche Glaub der rechte Glaub iſt/ ſo iſt dieſer der Heyland der Welt/ den dieſer Prieſter in der Schachteln traget: und weilen ſie billig uͤber ſich ſelbſten eifferte; daß nemblich in Gegenwart deſſen ſo viele und groſſe Suͤnden zubegehen ſich nicht geſcheuet haͤtte/ der ſo erſchoͤckliche Tormenten zu Crloͤſung der Welt hat außgeſtanden; als iſt ſelbige dergeſtalt in ſich ſelbſten bewegt worden/ daß ſie alſobald das Hu- ren - Hauß verlaſſen/ durch uͤberhaͤuffigen Koth in aller Ge- ſchwindigkeit zum Prieſter gelauffen/ und geſagt: Stehet Herr Prie- ſter: und in ſelbigem Augenblick/ da der Prieſter ſtill geſtanden/ hat ſich das Weib in den Koth vor dem Allerhoͤchſten Gut niedergeworffen/ und geſprochen: Mein liebſter HErr JEſu Chriſte/ wann du der jenige biſt/ der fuͤe unſer allgemeines Heyl von einer Jungfrauen gebohren/ ge- litten und begraben/ in den Himmel auffgefahren/ ſitzet zur Rechten deß Vatters/ und wirſt kommen zu richten die Lebendige und die Todte; wann du der jenige biſt/ und dich dieſer Prieſter in ſeinen Haͤnden traget; ſo bitte ich dich Fuß-faͤlliglich durch deine unaußſprechliche Barmhertzigkeit/ vergebe mir meine Suͤnden. Auff dieſe demuͤtigiſte Bitt deß Weibs antwortet Chriſtus auß der Schachtel: ich verzeyhe dir deine Suͤnden/ und werde dich zu meiner Gnade auffnehmen. Da dieſes daß offt-gemeldte Weib hoͤret/ gibt ſie zur Antwort: nimbſtu mich/ O HERR/ zu deinen Gnaden an/ die ich an meinem Leib mit aller-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/58>, abgerufen am 27.11.2024.