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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Sieben und zwantzigste Geistliche Lection
Sach erfahrnen H. Hieronymum von sich selbst also reden lassen: Der
Herr ist mein Zeug; daß es mich manchmahl gedunckte
nach vielen vergossenen Zähren/ und da ich mit erhebten
Augen den Himmel anschawete; ich wäre unter den Cho-
ren der Engelen; dahero sunge ich fur Frewd und Frölig-
keit.
So ermahnet uns recht und wohl der andachtige Thomas a Kempis,
L. 3. c. 30.
§. 6.
welcher im Nahmen Christi ein jede Christglaubige Seel also anredet: So
du es recht verstehest/ und in der Warheit ansiehest; so solst
du umb Widerwärtigkeit willen nimmermehr so gar trau-
rig und erschlagen seyn; sondern vielmehr Frewd haben/
und Danck sagen; ja eben daß fur ein sondere Freud achten/
daß ich dich mit schmertzen peinige/ und dir nichts ubersehe.

7. Daß nun die vollkommene Frewd nicht in den ersprießlichen und glück-
seligen/ sondern in den widerwärtigen Dingen bestehe; lehret uns der seraphi-
sche Franciscus auff seiner Reise zur Kirchen der. H. Mariae von den Engelen:
auff diesem Weeg und in der bitteresten Kälte sagt der H. Vatter zu seinem
Gesellen dem Bruder Leo: mein lieber Bruder Leo, wann die Minnen-
Brüder überall ein Exempel geben grosser Heyligkeit und Auffer bawung;
so zeichne doch fleissig auff in deinem Täfflein/ daß darinn die vollkommene
Frewd nit bestehe: über ein wenig rufft er den. gemeldten Bruder/ so vorauß
gangen ware/ zurück/ und sagt: Bruder Leo, wan schon ein Minnen-Brüder
die Blinde schend/ die Lahme gerad/ die Gichtbrüchtige gehend/ die Taube
hörend/ und die Stumme redend machet; wann er schon die Teuffel außtrei-
bet/ und/ was noch mehr ist/ einen viertägigen Todten aufferwecket; so ist doch
allhier nicht zu finden die vollkommene Frewd: bald darauff sagt er wieder-
umb: Bruder Leo; wan ein Minnen-Brüder die Sprachen aller Nationen/
alle Wissenschafften und die H. Schrifft nach aller Vollkommenheit verstün-
de; und wan er nicht allein weissagen/ und die künfftige Ding vorsagen; son-
dern auch die Hertzen und Gewissen der Menschen besehawen könte: zeichne
auff; daß allda noch keine vollkommene Frewd seye: indem nun diese beyde
ihre Reiß als weiters fortsetzten; sagt abermahl der H. Vatter zu seinem Ge-
färten mit harter Stimm: O mein Bruder Leo: wann schon einer auß uns
mit einer Englischen Zung redete/ verstünde auch den Lauff der Sternen und
die Kräfften der Kräuter; und wan ihm schon auch die Schätz der Erden of-
fenbahret würden; wan er auch die Tugenden und Eigenschafften der Vögel/
der Fisch/ der Thieren/ der Menschen/ der Wurtzeln/ der Steine/ der Bäum
und Wässer erkennete/ so schreibe gleichwol an/ daß darin nit bestehe die voll-

kommene

Die Sieben und zwantzigſte Geiſtliche Lection
Sach erfahrnen H. Hieronymum von ſich ſelbſt alſo reden laſſen: Der
Herr iſt mein Zeug; daß es mich manchmahl gedunckte
nach vielen vergoſſenen Zaͤhren/ und da ich mit erhebten
Augen den Himmel anſchawete; ich waͤre unter den Cho-
ren der Engelen; dahero ſunge ich fůr Frewd und Froͤlig-
keit.
So ermahnet uns recht und wohl der andachtige Thomas à Kempis,
L. 3. c. 30.
§. 6.
welcher im Nahmen Chriſti ein jede Chriſtglaubige Seel alſo anredet: So
du es recht verſteheſt/ und in der Warheit anſieheſt; ſo ſolſt
du umb Widerwaͤrtigkeit willen nimmermehr ſo gar trau-
rig und erſchlagen ſeyn; ſondern vielmehr Frewd haben/
und Danck ſagen; ja eben daß fůr ein ſondere Freud achten/
daß ich dich mit ſchmertzen peinige/ und dir nichts ůberſehe.

7. Daß nun die vollkommene Frewd nicht in den erſprießlichen und gluͤck-
ſeligen/ ſondern in den widerwaͤrtigen Dingen beſtehe; lehret uns der ſeraphi-
ſche Franciſcus auff ſeiner Reiſe zur Kirchen der. H. Mariæ von den Engelen:
auff dieſem Weeg und in der bittereſten Kaͤlte ſagt der H. Vatter zu ſeinem
Geſellen dem Bruder Leo: mein lieber Bruder Leo, wann die Minnen-
Bruͤder uͤberall ein Exempel geben groſſer Heyligkeit und Auffer bawung;
ſo zeichne doch fleiſſig auff in deinem Taͤfflein/ daß darinn die vollkommene
Frewd nit beſtehe: uͤber ein wenig rufft er den. gemeldten Bruder/ ſo vorauß
gangen ware/ zuruͤck/ und ſagt: Bruder Leo, wan ſchon ein Minnen-Bruͤder
die Blinde ſchend/ die Lahme gerad/ die Gichtbruͤchtige gehend/ die Taube
hoͤrend/ und die Stumme redend machet; wann er ſchon die Teuffel außtrei-
bet/ und/ was noch mehr iſt/ einen viertaͤgigen Todten aufferwecket; ſo iſt doch
allhier nicht zu finden die vollkommene Frewd: bald darauff ſagt er wieder-
umb: Bruder Leo; wan ein Minnen-Bruͤder die Sprachen aller Nationen/
alle Wiſſenſchafften und die H. Schrifft nach aller Vollkommenheit verſtuͤn-
de; und wan er nicht allein weiſſagen/ und die kuͤnfftige Ding vorſagen; ſon-
dern auch die Hertzen und Gewiſſen der Menſchen beſehawen koͤnte: zeichne
auff; daß allda noch keine vollkommene Frewd ſeye: indem nun dieſe beyde
ihre Reiß als weiters fortſetzten; ſagt abermahl der H. Vatter zu ſeinem Ge-
faͤrten mit harter Stimm: O mein Bruder Leo: wann ſchon einer auß uns
mit einer Engliſchen Zung redete/ verſtuͤnde auch den Lauff der Sternen und
die Kraͤfften der Kraͤuter; und wan ihm ſchon auch die Schaͤtz der Erden of-
fenbahret wuͤrden; wan er auch die Tugenden und Eigenſchafften der Voͤgel/
der Fiſch/ der Thieren/ der Menſchen/ der Wurtzeln/ der Steine/ der Baͤum
und Waͤſſer erkennete/ ſo ſchreibe gleichwol an/ daß darin nit beſtehe die voll-

kommene
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[348/0376] Die Sieben und zwantzigſte Geiſtliche Lection Sach erfahrnen H. Hieronymum von ſich ſelbſt alſo reden laſſen: Der Herr iſt mein Zeug; daß es mich manchmahl gedunckte nach vielen vergoſſenen Zaͤhren/ und da ich mit erhebten Augen den Himmel anſchawete; ich waͤre unter den Cho- ren der Engelen; dahero ſunge ich fůr Frewd und Froͤlig- keit. So ermahnet uns recht und wohl der andachtige Thomas à Kempis, welcher im Nahmen Chriſti ein jede Chriſtglaubige Seel alſo anredet: So du es recht verſteheſt/ und in der Warheit anſieheſt; ſo ſolſt du umb Widerwaͤrtigkeit willen nimmermehr ſo gar trau- rig und erſchlagen ſeyn; ſondern vielmehr Frewd haben/ und Danck ſagen; ja eben daß fůr ein ſondere Freud achten/ daß ich dich mit ſchmertzen peinige/ und dir nichts ůberſehe. L. 3. c. 30. §. 6. 7. Daß nun die vollkommene Frewd nicht in den erſprießlichen und gluͤck- ſeligen/ ſondern in den widerwaͤrtigen Dingen beſtehe; lehret uns der ſeraphi- ſche Franciſcus auff ſeiner Reiſe zur Kirchen der. H. Mariæ von den Engelen: auff dieſem Weeg und in der bittereſten Kaͤlte ſagt der H. Vatter zu ſeinem Geſellen dem Bruder Leo: mein lieber Bruder Leo, wann die Minnen- Bruͤder uͤberall ein Exempel geben groſſer Heyligkeit und Auffer bawung; ſo zeichne doch fleiſſig auff in deinem Taͤfflein/ daß darinn die vollkommene Frewd nit beſtehe: uͤber ein wenig rufft er den. gemeldten Bruder/ ſo vorauß gangen ware/ zuruͤck/ und ſagt: Bruder Leo, wan ſchon ein Minnen-Bruͤder die Blinde ſchend/ die Lahme gerad/ die Gichtbruͤchtige gehend/ die Taube hoͤrend/ und die Stumme redend machet; wann er ſchon die Teuffel außtrei- bet/ und/ was noch mehr iſt/ einen viertaͤgigen Todten aufferwecket; ſo iſt doch allhier nicht zu finden die vollkommene Frewd: bald darauff ſagt er wieder- umb: Bruder Leo; wan ein Minnen-Bruͤder die Sprachen aller Nationen/ alle Wiſſenſchafften und die H. Schrifft nach aller Vollkommenheit verſtuͤn- de; und wan er nicht allein weiſſagen/ und die kuͤnfftige Ding vorſagen; ſon- dern auch die Hertzen und Gewiſſen der Menſchen beſehawen koͤnte: zeichne auff; daß allda noch keine vollkommene Frewd ſeye: indem nun dieſe beyde ihre Reiß als weiters fortſetzten; ſagt abermahl der H. Vatter zu ſeinem Ge- faͤrten mit harter Stimm: O mein Bruder Leo: wann ſchon einer auß uns mit einer Engliſchen Zung redete/ verſtuͤnde auch den Lauff der Sternen und die Kraͤfften der Kraͤuter; und wan ihm ſchon auch die Schaͤtz der Erden of- fenbahret wuͤrden; wan er auch die Tugenden und Eigenſchafften der Voͤgel/ der Fiſch/ der Thieren/ der Menſchen/ der Wurtzeln/ der Steine/ der Baͤum und Waͤſſer erkennete/ ſo ſchreibe gleichwol an/ daß darin nit beſtehe die voll- kommene

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/376>, abgerufen am 16.07.2024.