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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Von der Demuth.

19. Nehme derhalben vor lieb/ was ich dir auß dem hoch erleuchten Cli-
maco
erzehle: dieser Joannes Climacus ware stäts beflissen/ wie er in den
Gott gefälligen Tugenden mehr und mehr zunehmen möchte/ derhalben be-
suchte er die jenige GOttes-Häusser/ so vor andern den grösten Ruff der
Vollkommenheit hatten: Nun ist geschehen/ daß er in deren einen sich eineIn scal.
Caelest.
Grad.
4.

Zeit lang auffgehalten/ und da er einsmahls mit dem Vorsteher dieses Clo-
sters im gemeinen Refectorio zu Tisch gesessen/ und deren geistlichen herrli-
che Tugenden sonderbahr gepriesen; hat ihn der Vorsteher gefragt/ ob er ver-
lange ein sonderliches Beyspiel der Demuth zu sehen: weilen nun der gott-
seelige Joannes nichts so sehr/ als eben dieses verlangete: als hat der offt er-
wehnte Vorsteher einen zu Tisch sitzenden achtzig jährigen Priester/ dessen
Nahm Laurentius ware/ zu sich beruffen/ welcher alsbald zu seinem Abt
kommen/ in Meinung/ einigen Befelch von ihm zu empfangen; derowegen er
kniend den Seegen deß Vorstehers begehret und erlanget: nachdeme er aber
von der Erden auffgestanden/ und ein jeder vermeint/ ihm würde die Ursach
deß Beruffens von dem Abten bedeutet werden/ ist nichts gefolget/ und mein
guter greißgraue Laurentius ist zwey gantzer Stund lang vor der Tafel
seines Abten gestanden/ und den Befelch seiner Obrigkeit mit nieder geschla-
genen Augen/ da inzwischen seine Mitbrüder zu Tisch gesessen/ in aller De-
muth erwartet: nach gehaltener Mahlzeit hat ihm der Abtbefohlen/ er solle
hingehen einem andern Geistlichen desselben Ordens/ Nahmens Isidoro
den neun und dreissigsten Psalmen zu betten befehlen: dieser gottseelige
Mann ist nochmalen von dem vorgemeldten Joanne Climaco gefragt wor-
den; was er doch gedacht habe/ indem er so lang ohne Essen und Trincken/
allen gleichsamb zum Spott vor der Tafel deß Abten habe stehen müssen?
höre die Antwort/ meine Christliche Seel/ merck auff/ mein Bruder/ nimb
wahr/ meine Schwester in Christo: der demüthige Laurentius sagt: ich hab
mir nicht eingebildet/ daß ich vor einem Menschen stünde/ sondern vor dem
Angesicht Gottes/ welchen ich in meiner Obrigkeit geehret hab: die Li[e]be/
mit dero Gott mein Hertz versehen hat/ wird niemahlen zulassen/ daß auch das
geringste Wölcklein eines bösen Gedancken gegen meine Obrigkeit empör
steigen möge.

20. Sehe nun auch den herrlichen Nutzen dieser Tugend/ welchen dir der
and ächtige Petrus Cluniacensis in Anführung eines H. Cartheusers vorRodr. p.
2. Tr. 3. c.

24.

Augen stellet: der in seiner letzten Kranckheit von seinem Prior in Anwesen-
heit sämbtlicher seiner geistlichen Mitbrüder gefragt worden; durch welche
Ubungen er sich die göttliche Majestät dergestalt geneigt gemacht habe/ daß

er
R
Von der Demuth.

19. Nehme derhalben vor lieb/ was ich dir auß dem hoch erleuchten Cli-
maco
erzehle: dieſer Joannes Climacus ware ſtaͤts befliſſen/ wie er in den
Gott gefaͤlligen Tugenden mehr und mehr zunehmen moͤchte/ derhalben be-
ſuchte er die jenige GOttes-Haͤuſſer/ ſo vor andern den groͤſten Ruff der
Vollkommenheit hatten: Nun iſt geſchehen/ daß er in deren einen ſich eineIn ſcal.
Cæleſt.
Grad.
4.

Zeit lang auffgehalten/ und da er einsmahls mit dem Vorſteher dieſes Clo-
ſters im gemeinen Refectorio zu Tiſch geſeſſen/ und deren geiſtlichen herrli-
che Tugenden ſonderbahr geprieſen; hat ihn der Vorſteher gefragt/ ob er ver-
lange ein ſonderliches Beyſpiel der Demuth zu ſehen: weilen nun der gott-
ſeelige Joannes nichts ſo ſehr/ als eben dieſes verlangete: als hat der offt er-
wehnte Vorſteher einen zu Tiſch ſitzenden achtzig jaͤhrigen Prieſter/ deſſen
Nahm Laurentius ware/ zu ſich beruffen/ welcher alsbald zu ſeinem Abt
kommen/ in Meinung/ einigen Befelch von ihm zu empfangen; derowegen er
kniend den Seegen deß Vorſtehers begehret und erlanget: nachdeme er aber
von der Erden auffgeſtanden/ und ein jeder vermeint/ ihm wuͤrde die Urſach
deß Beruffens von dem Abten bedeutet werden/ iſt nichts gefolget/ und mein
guter greißgraue Laurentius iſt zwey gantzer Stund lang vor der Tafel
ſeines Abten geſtanden/ und den Befelch ſeiner Obrigkeit mit nieder geſchla-
genen Augen/ da inzwiſchen ſeine Mitbruͤder zu Tiſch geſeſſen/ in aller De-
muth erwartet: nach gehaltener Mahlzeit hat ihm der Abtbefohlen/ er ſolle
hingehen einem andern Geiſtlichen deſſelben Ordens/ Nahmens Iſidoro
den neun und dreiſſigſten Pſalmen zu betten befehlen: dieſer gottſeelige
Mann iſt nochmalen von dem vorgemeldten Joanne Climaco gefragt wor-
den; was er doch gedacht habe/ indem er ſo lang ohne Eſſen und Trincken/
allen gleichſamb zum Spott vor der Tafel deß Abten habe ſtehen muͤſſen?
hoͤre die Antwort/ meine Chriſtliche Seel/ merck auff/ mein Bruder/ nimb
wahr/ meine Schweſter in Chriſto: der demuͤthige Laurentius ſagt: ich hab
mir nicht eingebildet/ daß ich vor einem Menſchen ſtuͤnde/ ſondern vor dem
Angeſicht Gottes/ welchen ich in meiner Obrigkeit geehret hab: die Li[e]be/
mit dero Gott mein Hertz verſehen hat/ wird niemahlen zulaſſen/ daß auch das
geringſte Woͤlcklein eines boͤſen Gedancken gegen meine Obrigkeit empoͤr
ſteigen moͤge.

20. Sehe nun auch den herrlichen Nutzen dieſer Tugend/ welchen dir der
and aͤchtige Petrus Cluniacenſis in Anfuͤhrung eines H. Cartheuſers vorRodr. p.
2. Tr. 3. c.

24.

Augen ſtellet: der in ſeiner letzten Kranckheit von ſeinem Prior in Anweſen-
heit ſaͤmbtlicher ſeiner geiſtlichen Mitbruͤder gefragt worden; durch welche
Ubungen er ſich die goͤttliche Majeſtaͤt dergeſtalt geneigt gemacht habe/ daß

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[129/0157] Von der Demuth. 19. Nehme derhalben vor lieb/ was ich dir auß dem hoch erleuchten Cli- maco erzehle: dieſer Joannes Climacus ware ſtaͤts befliſſen/ wie er in den Gott gefaͤlligen Tugenden mehr und mehr zunehmen moͤchte/ derhalben be- ſuchte er die jenige GOttes-Haͤuſſer/ ſo vor andern den groͤſten Ruff der Vollkommenheit hatten: Nun iſt geſchehen/ daß er in deren einen ſich eine Zeit lang auffgehalten/ und da er einsmahls mit dem Vorſteher dieſes Clo- ſters im gemeinen Refectorio zu Tiſch geſeſſen/ und deren geiſtlichen herrli- che Tugenden ſonderbahr geprieſen; hat ihn der Vorſteher gefragt/ ob er ver- lange ein ſonderliches Beyſpiel der Demuth zu ſehen: weilen nun der gott- ſeelige Joannes nichts ſo ſehr/ als eben dieſes verlangete: als hat der offt er- wehnte Vorſteher einen zu Tiſch ſitzenden achtzig jaͤhrigen Prieſter/ deſſen Nahm Laurentius ware/ zu ſich beruffen/ welcher alsbald zu ſeinem Abt kommen/ in Meinung/ einigen Befelch von ihm zu empfangen; derowegen er kniend den Seegen deß Vorſtehers begehret und erlanget: nachdeme er aber von der Erden auffgeſtanden/ und ein jeder vermeint/ ihm wuͤrde die Urſach deß Beruffens von dem Abten bedeutet werden/ iſt nichts gefolget/ und mein guter greißgraue Laurentius iſt zwey gantzer Stund lang vor der Tafel ſeines Abten geſtanden/ und den Befelch ſeiner Obrigkeit mit nieder geſchla- genen Augen/ da inzwiſchen ſeine Mitbruͤder zu Tiſch geſeſſen/ in aller De- muth erwartet: nach gehaltener Mahlzeit hat ihm der Abtbefohlen/ er ſolle hingehen einem andern Geiſtlichen deſſelben Ordens/ Nahmens Iſidoro den neun und dreiſſigſten Pſalmen zu betten befehlen: dieſer gottſeelige Mann iſt nochmalen von dem vorgemeldten Joanne Climaco gefragt wor- den; was er doch gedacht habe/ indem er ſo lang ohne Eſſen und Trincken/ allen gleichſamb zum Spott vor der Tafel deß Abten habe ſtehen muͤſſen? hoͤre die Antwort/ meine Chriſtliche Seel/ merck auff/ mein Bruder/ nimb wahr/ meine Schweſter in Chriſto: der demuͤthige Laurentius ſagt: ich hab mir nicht eingebildet/ daß ich vor einem Menſchen ſtuͤnde/ ſondern vor dem Angeſicht Gottes/ welchen ich in meiner Obrigkeit geehret hab: die Liebe/ mit dero Gott mein Hertz verſehen hat/ wird niemahlen zulaſſen/ daß auch das geringſte Woͤlcklein eines boͤſen Gedancken gegen meine Obrigkeit empoͤr ſteigen moͤge. In ſcal. Cæleſt. Grad. 4. 20. Sehe nun auch den herrlichen Nutzen dieſer Tugend/ welchen dir der and aͤchtige Petrus Cluniacenſis in Anfuͤhrung eines H. Cartheuſers vor Augen ſtellet: der in ſeiner letzten Kranckheit von ſeinem Prior in Anweſen- heit ſaͤmbtlicher ſeiner geiſtlichen Mitbruͤder gefragt worden; durch welche Ubungen er ſich die goͤttliche Majeſtaͤt dergeſtalt geneigt gemacht habe/ daß er Rodr. p. 2. Tr. 3. c. 24. R

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/157>, abgerufen am 24.11.2024.