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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Eilffte Geistliche Lection
wann ich deß morgens auffstehe/ und ehe ich zu meiner Arbeit gehe; erkenne
ich gern/ und sage von Hertzen/ daß diese gantze Statt vom kleinesten biß
zum grösten/ wegen ihrer gerechten Wercken zum Reich GOttes zu ge-
langen würdig seye; und ich allein durch meine Sünden die ewige Straf-
fen verdiene: und dieses sage ich ebenfalls von Grund meines Hertzens
in aller Warheit/ so offt mich zum schlaffen niederlege: da dieses der Heil.
Antonius höret/ spricht er; mein Sohn/ du bist fürwahr ein guter Künst-
ler/ du sitzest in deinem Hauß mit aller Zufriedenheit und Ruhe/ und er-
langest den Himmel: ich aber habe gleichsamb ohne gebührliche Beschei-
denheit schier alle meine Zeit in der Wüsten zugebracht/ und bin noch nicht
kommen zu der Maaß deiner sothanen üblichen Worten: Jch mache den
Schluß hierauß/ daß nichts fürtrefflicher und GOTT gefälliger könne
gefunden werden/ als daß einer von sich selbsten gäntzlich darfür halte/ er
seye aller Verschämung/ aller Straff und aller Verspottung vor allen
andern Menschen würdig: derhalben der Heil. Isidorus einen jeden billig
ermahnet mit diesen Worten: Seye klein in deinen Augen/ damit du groß
seyest in den Augen deineß Herrn: dann wie du wirst in deinen Augen seyn
verwürfflicher/ so viel wirst du in den Augen GOTTES seyn kost-
bahrer.

12. Hüte dich aber/ hüte dich/ sag ich/ daß du mit keiner gemach-
ten und falschen Demuth dich bekleidest; dann viele/ sagt der heilige
Hieronymus in einem Send-Schreiben/ suchen den Schatten der
Demuth; wenig aber seynd/ so nach der Warheit trach-
ten.
Es ist leicht zu thuen/ daß man mit einem schlechten Kleid auffzie-
he/ daß man einen demüthiglich grüsse; daß man einem Händ und Füß
küsse; daß man mit geneigtem Haupt/ und niedergeschlagenen Augen die
Demuth und Sanfftmuth gleichsamb verspreche: kein grossen Lob ver-
dienet/ daß man langsamb und still rede/ öfftermahl seufftze/ und zu allen
Worten sich einen Sünder und armseeligen Tropffen erkenne: sondern
dieses ist/ was von einem demüthigen erfordert wird; daß er nemblich durch
keine Reden müsse im geringsten zur Ungedult bewegt werden: daß er in
allen widrigen Begebenheiten den geneigten Halß nicht außstrecke/ die
nieder geworffene Augen nicht erhebe/ und den süssen Klang der vorigen
Stimm in ein ungebührliches Ruffen und Außfahren zu seiner Ver-
thätigung nicht verändere. Erkenne mein Mensch/ daß du ein Sünder

seyest;

Die Eilffte Geiſtliche Lection
wann ich deß morgens auffſtehe/ und ehe ich zu meiner Arbeit gehe; erkenne
ich gern/ und ſage von Hertzen/ daß dieſe gantze Statt vom kleineſten biß
zum groͤſten/ wegen ihrer gerechten Wercken zum Reich GOttes zu ge-
langen wuͤrdig ſeye; und ich allein durch meine Suͤnden die ewige Straf-
fen verdiene: und dieſes ſage ich ebenfalls von Grund meines Hertzens
in aller Warheit/ ſo offt mich zum ſchlaffen niederlege: da dieſes der Heil.
Antonius hoͤret/ ſpricht er; mein Sohn/ du biſt fuͤrwahr ein guter Kuͤnſt-
ler/ du ſitzeſt in deinem Hauß mit aller Zufriedenheit und Ruhe/ und er-
langeſt den Himmel: ich aber habe gleichſamb ohne gebuͤhrliche Beſchei-
denheit ſchier alle meine Zeit in der Wuͤſten zugebracht/ und bin noch nicht
kommen zu der Maaß deiner ſothanen uͤblichen Worten: Jch mache den
Schluß hierauß/ daß nichts fuͤrtrefflicher und GOTT gefaͤlliger koͤnne
gefunden werden/ als daß einer von ſich ſelbſten gaͤntzlich darfuͤr halte/ er
ſeye aller Verſchaͤmung/ aller Straff und aller Verſpottung vor allen
andern Menſchen wuͤrdig: derhalben der Heil. Iſidorus einen jeden billig
ermahnet mit dieſen Worten: Seye klein in deinen Augen/ damit du groß
ſeyeſt in den Augen deineß Herrn: dann wie du wirſt in deinen Augen ſeyn
verwuͤrfflicher/ ſo viel wirſt du in den Augen GOTTES ſeyn koſt-
bahrer.

12. Huͤte dich aber/ huͤte dich/ ſag ich/ daß du mit keiner gemach-
ten und falſchen Demuth dich bekleideſt; dann viele/ ſagt der heilige
Hieronymus in einem Send-Schreiben/ ſuchen den Schatten der
Demuth; wenig aber ſeynd/ ſo nach der Warheit trach-
ten.
Es iſt leicht zu thuen/ daß man mit einem ſchlechten Kleid auffzie-
he/ daß man einen demuͤthiglich gruͤſſe; daß man einem Haͤnd und Fuͤß
kuͤſſe; daß man mit geneigtem Haupt/ und niedergeſchlagenen Augen die
Demuth und Sanfftmuth gleichſamb verſpreche: kein groſſen Lob ver-
dienet/ daß man langſamb und ſtill rede/ oͤfftermahl ſeufftze/ und zu allen
Worten ſich einen Suͤnder und armſeeligen Tropffen erkenne: ſondern
dieſes iſt/ was von einem demuͤthigen erfordert wird; daß er nemblich durch
keine Reden muͤſſe im geringſten zur Ungedult bewegt werden: daß er in
allen widrigen Begebenheiten den geneigten Halß nicht außſtrecke/ die
nieder geworffene Augen nicht erhebe/ und den ſuͤſſen Klang der vorigen
Stimm in ein ungebuͤhrliches Ruffen und Außfahren zu ſeiner Ver-
thaͤtigung nicht veraͤndere. Erkenne mein Menſch/ daß du ein Suͤnder

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[122/0150] Die Eilffte Geiſtliche Lection wann ich deß morgens auffſtehe/ und ehe ich zu meiner Arbeit gehe; erkenne ich gern/ und ſage von Hertzen/ daß dieſe gantze Statt vom kleineſten biß zum groͤſten/ wegen ihrer gerechten Wercken zum Reich GOttes zu ge- langen wuͤrdig ſeye; und ich allein durch meine Suͤnden die ewige Straf- fen verdiene: und dieſes ſage ich ebenfalls von Grund meines Hertzens in aller Warheit/ ſo offt mich zum ſchlaffen niederlege: da dieſes der Heil. Antonius hoͤret/ ſpricht er; mein Sohn/ du biſt fuͤrwahr ein guter Kuͤnſt- ler/ du ſitzeſt in deinem Hauß mit aller Zufriedenheit und Ruhe/ und er- langeſt den Himmel: ich aber habe gleichſamb ohne gebuͤhrliche Beſchei- denheit ſchier alle meine Zeit in der Wuͤſten zugebracht/ und bin noch nicht kommen zu der Maaß deiner ſothanen uͤblichen Worten: Jch mache den Schluß hierauß/ daß nichts fuͤrtrefflicher und GOTT gefaͤlliger koͤnne gefunden werden/ als daß einer von ſich ſelbſten gaͤntzlich darfuͤr halte/ er ſeye aller Verſchaͤmung/ aller Straff und aller Verſpottung vor allen andern Menſchen wuͤrdig: derhalben der Heil. Iſidorus einen jeden billig ermahnet mit dieſen Worten: Seye klein in deinen Augen/ damit du groß ſeyeſt in den Augen deineß Herrn: dann wie du wirſt in deinen Augen ſeyn verwuͤrfflicher/ ſo viel wirſt du in den Augen GOTTES ſeyn koſt- bahrer. 12. Huͤte dich aber/ huͤte dich/ ſag ich/ daß du mit keiner gemach- ten und falſchen Demuth dich bekleideſt; dann viele/ ſagt der heilige Hieronymus in einem Send-Schreiben/ ſuchen den Schatten der Demuth; wenig aber ſeynd/ ſo nach der Warheit trach- ten. Es iſt leicht zu thuen/ daß man mit einem ſchlechten Kleid auffzie- he/ daß man einen demuͤthiglich gruͤſſe; daß man einem Haͤnd und Fuͤß kuͤſſe; daß man mit geneigtem Haupt/ und niedergeſchlagenen Augen die Demuth und Sanfftmuth gleichſamb verſpreche: kein groſſen Lob ver- dienet/ daß man langſamb und ſtill rede/ oͤfftermahl ſeufftze/ und zu allen Worten ſich einen Suͤnder und armſeeligen Tropffen erkenne: ſondern dieſes iſt/ was von einem demuͤthigen erfordert wird; daß er nemblich durch keine Reden muͤſſe im geringſten zur Ungedult bewegt werden: daß er in allen widrigen Begebenheiten den geneigten Halß nicht außſtrecke/ die nieder geworffene Augen nicht erhebe/ und den ſuͤſſen Klang der vorigen Stimm in ein ungebuͤhrliches Ruffen und Außfahren zu ſeiner Ver- thaͤtigung nicht veraͤndere. Erkenne mein Menſch/ daß du ein Suͤnder ſeyeſt;

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/150>, abgerufen am 23.11.2024.