Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem freventlichen Vrtheil.
so ungewöhnliche Zufriedenheit und Sicherheit deß Gemüts erzeige. Der
Sterbende hat diese seiner Mit-Brüder wohl-meinende Frag- Stück auff
folgende Weiß beantwortet: Jch gestehe gern/ mein liebe Mit- Brüder/
daß es also seye/ wie ihr saget: ich hab ein sehr nachlässiges Leben geführet:
es seynd aber zu dieser Stunde die Engel GOttes zu mir kommen/ und haben
mir eine Verzeichnuß meiner Sünden gebracht; und nachdem sie alle meine
in dem Geistlichen Stand verübte Missethaten mir vorgelesen/ haben sie
mich gefragt/ ob ich mich deren schuldig erkenne? worauff ich geantwortet;
ja freylich bekenne ich/ daß ich durch selbige das Höchste Gut beläidiget ha-
be: dieses aber erfreuet mich/ daß ich von Zeit meines angefangenen Beruffs
biß auff gegenwärtige Stund niemand geurtheilet/ und deß mir von an-
deren zugefügten Unrechts niemahln gedacht habe: derhalben wünsche ich
und bitte/ daß mir die Wort deß HErrn mögen zugeignet werden/ die Er
gesprochen: Richtet nicht/ so werdetihr nicht gerichtet wer-
den.
Verzeyhet/ so wird euch verzyehen werden. Nachdem ich solches
den Engelen gesagt hab/ ist die gemeldte Verzeichnuß von ihnen zerrissen
worden/ und ich reise jetzt mit höchster Freud und Sicherheit zu dem HErrn.
Mit Endigung dieser Worten/ hat der Geistliche Bruder auch seyn Leben
geschlossen/ und allen ein herrliches und aufferbauliches Exempel jener bey-
den Tugenden hinterlassen.

20. Verzeyhe mir nun/ mein Christliche Seel/ daß ich dich frage. Wem
hat die unendliche Gütigkeit GOttes dieses Beyspiel zum Besten dergestalt
offenbahren/ und in so vielen Jahren auch durch öffentlichen Druck verkün-
digen wollen? ist daß nicht dir und mir/ und fort allen so dieses hören zum
grossen Vortheil geschehen? verlangest du mit diesem glückseeligen Geistli-
chen dem Göttlichen Urtheil zu entfliehen/ und den Todt mit innerlichen
Freude deß Hertzens zu erwarten/ so folge nach die zwey herrliche Tugenden
dieses Geistlichen: und damit du solches füglicher und bequemblicher ins
Werck richten mögest; so lasse dir sonderbahr angelegen seyn diese zwey üb-
liche Lehr-Stück/ deren erstes dir an die Hand gibt ein sicherer Gottseeliger
Mann mit folgenden Worten: Du solst am allerfleissigsten/ nicht anders als
wie für die allergröste Sünd dich hüten/ daß du keines wegs andere rich-
test: sondern/ alles/ was sie immer thun und reden/ das lege du zum besten
auß/ und trage Sorg bey dir selbsten/ wie du sie verthätigen mögest/ nicht
and[e]rs/ alswann du derselben Advocat und Vorsprecher wärest: Kanst du
solches aber nicht thun/ dieweilen die Sach handgreifflich böß ist; nichts de-
stoweniger entschuldige sie/ so viel möglich/ bey dir selbst/ und gebe die

Schuld
N ?

Von dem freventlichen Vrtheil.
ſo ungewoͤhnliche Zufriedenheit und Sicherheit deß Gemuͤts erzeige. Der
Sterbende hat dieſe ſeiner Mit-Bruͤder wohl-meinende Frag- Stuͤck auff
folgende Weiß beantwortet: Jch geſtehe gern/ mein liebe Mit- Bruͤder/
daß es alſo ſeye/ wie ihr ſaget: ich hab ein ſehr nachlaͤſſiges Leben gefuͤhret:
es ſeynd aber zu dieſer Stunde die Engel GOttes zu mir kommen/ und haben
mir eine Verzeichnuß meiner Suͤnden gebracht; und nachdem ſie alle meine
in dem Geiſtlichen Stand veruͤbte Miſſethaten mir vorgeleſen/ haben ſie
mich gefragt/ ob ich mich deren ſchuldig erkenne? worauff ich geantwortet;
ja freylich bekenne ich/ daß ich durch ſelbige das Hoͤchſte Gut belaͤidiget ha-
be: dieſes aber erfreuet mich/ daß ich von Zeit meines angefangenen Beruffs
biß auff gegenwaͤrtige Stund niemand geurtheilet/ und deß mir von an-
deren zugefuͤgten Unrechts niemahln gedacht habe: derhalben wuͤnſche ich
und bitte/ daß mir die Wort deß HErrn moͤgen zugeignet werden/ die Er
geſprochen: Richtet nicht/ ſo werdetihr nicht gerichtet wer-
den.
Verzeyhet/ ſo wird euch verzyehen werden. Nachdem ich ſolches
den Engelen geſagt hab/ iſt die gemeldte Verzeichnuß von ihnen zerriſſen
worden/ und ich reiſe jetzt mit hoͤchſter Freud und Sicherheit zu dem HErrn.
Mit Endigung dieſer Worten/ hat der Geiſtliche Bruder auch ſeyn Leben
geſchloſſen/ und allen ein herrliches und aufferbauliches Exempel jener bey-
den Tugenden hinterlaſſen.

20. Verzeyhe mir nun/ mein Chriſtliche Seel/ daß ich dich frage. Wem
hat die unendliche Guͤtigkeit GOttes dieſes Beyſpiel zum Beſten dergeſtalt
offenbahren/ und in ſo vielen Jahren auch durch oͤffentlichen Druck verkuͤn-
digen wollen? iſt daß nicht dir und mir/ und fort allen ſo dieſes hoͤren zum
groſſen Vortheil geſchehen? verlangeſt du mit dieſem gluͤckſeeligen Geiſtli-
chen dem Goͤttlichen Urtheil zu entfliehen/ und den Todt mit innerlichen
Freude deß Hertzens zu erwarten/ ſo folge nach die zwey herrliche Tugenden
dieſes Geiſtlichen: und damit du ſolches fuͤglicher und bequemblicher ins
Werck richten moͤgeſt; ſo laſſe dir ſonderbahr angelegen ſeyn dieſe zwey uͤb-
liche Lehr-Stuͤck/ deren erſtes dir an die Hand gibt ein ſicherer Gottſeeliger
Mann mit folgenden Worten: Du ſolſt am allerfleiſſigſten/ nicht anders als
wie fuͤr die allergroͤſte Suͤnd dich huͤten/ daß du keines wegs andere rich-
teſt: ſondern/ alles/ was ſie immer thun und reden/ das lege du zum beſten
auß/ und trage Sorg bey dir ſelbſten/ wie du ſie verthaͤtigen moͤgeſt/ nicht
and[e]rs/ alswann du derſelben Advocat und Vorſprecher waͤreſt: Kanſt du
ſolches aber nicht thun/ dieweilen die Sach handgreifflich boͤß iſt; nichts de-
ſtoweniger entſchuldige ſie/ ſo viel moͤglich/ bey dir ſelbſt/ und gebe die

Schuld
N ?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0129" n="101"/><fw place="top" type="header">Von dem freventlichen Vrtheil.</fw><lb/>
&#x017F;o ungewo&#x0364;hnliche Zufriedenheit und Sicherheit deß Gemu&#x0364;ts erzeige. Der<lb/>
Sterbende hat die&#x017F;e &#x017F;einer Mit-Bru&#x0364;der wohl-meinende Frag- Stu&#x0364;ck auff<lb/>
folgende Weiß beantwortet: Jch ge&#x017F;tehe gern/ mein liebe Mit- Bru&#x0364;der/<lb/>
daß es al&#x017F;o &#x017F;eye/ wie ihr &#x017F;aget: ich hab ein &#x017F;ehr nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;iges Leben gefu&#x0364;hret:<lb/>
es &#x017F;eynd aber zu die&#x017F;er Stunde die Engel GOttes zu mir kommen/ und haben<lb/>
mir eine Verzeichnuß meiner Su&#x0364;nden gebracht; und nachdem &#x017F;ie alle meine<lb/>
in dem Gei&#x017F;tlichen Stand veru&#x0364;bte Mi&#x017F;&#x017F;ethaten mir vorgele&#x017F;en/ haben &#x017F;ie<lb/>
mich gefragt/ ob ich mich deren &#x017F;chuldig erkenne? worauff ich geantwortet;<lb/>
ja freylich bekenne ich/ daß ich durch &#x017F;elbige das Ho&#x0364;ch&#x017F;te Gut bela&#x0364;idiget ha-<lb/>
be: die&#x017F;es aber erfreuet mich/ daß ich von Zeit meines angefangenen Beruffs<lb/>
biß auff gegenwa&#x0364;rtige Stund niemand geurtheilet/ und deß mir von an-<lb/>
deren zugefu&#x0364;gten Unrechts niemahln gedacht habe: derhalben wu&#x0364;n&#x017F;che ich<lb/>
und bitte/ daß mir die Wort deß HErrn mo&#x0364;gen zugeignet werden/ die Er<lb/>
ge&#x017F;prochen: <hi rendition="#fr">Richtet nicht/ &#x017F;o werdetihr nicht gerichtet wer-<lb/>
den.</hi> Verzeyhet/ &#x017F;o wird euch verzyehen werden. Nachdem ich &#x017F;olches<lb/>
den Engelen ge&#x017F;agt hab/ i&#x017F;t die gemeldte Verzeichnuß von ihnen zerri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
worden/ und ich rei&#x017F;e jetzt mit ho&#x0364;ch&#x017F;ter Freud und Sicherheit zu dem HErrn.<lb/>
Mit Endigung die&#x017F;er Worten/ hat der Gei&#x017F;tliche Bruder auch &#x017F;eyn Leben<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en/ und allen ein herrliches und aufferbauliches Exempel jener bey-<lb/>
den Tugenden hinterla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>20. Verzeyhe mir nun/ mein Chri&#x017F;tliche Seel/ daß ich dich frage. Wem<lb/>
hat die unendliche Gu&#x0364;tigkeit GOttes die&#x017F;es Bey&#x017F;piel zum Be&#x017F;ten derge&#x017F;talt<lb/>
offenbahren/ und in &#x017F;o vielen Jahren auch durch o&#x0364;ffentlichen Druck verku&#x0364;n-<lb/>
digen wollen? i&#x017F;t daß nicht dir und mir/ und fort allen &#x017F;o die&#x017F;es ho&#x0364;ren zum<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Vortheil ge&#x017F;chehen? verlange&#x017F;t du mit die&#x017F;em glu&#x0364;ck&#x017F;eeligen Gei&#x017F;tli-<lb/>
chen dem Go&#x0364;ttlichen Urtheil zu entfliehen/ und den Todt mit innerlichen<lb/>
Freude deß Hertzens zu erwarten/ &#x017F;o folge nach die zwey herrliche Tugenden<lb/>
die&#x017F;es Gei&#x017F;tlichen: und damit du &#x017F;olches fu&#x0364;glicher und bequemblicher ins<lb/>
Werck richten mo&#x0364;ge&#x017F;t; &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;e dir &#x017F;onderbahr angelegen &#x017F;eyn die&#x017F;e zwey u&#x0364;b-<lb/>
liche Lehr-Stu&#x0364;ck/ deren er&#x017F;tes dir an die Hand gibt ein &#x017F;icherer Gott&#x017F;eeliger<lb/>
Mann mit folgenden Worten: Du &#x017F;ol&#x017F;t am allerflei&#x017F;&#x017F;ig&#x017F;ten/ nicht anders als<lb/>
wie fu&#x0364;r die allergro&#x0364;&#x017F;te Su&#x0364;nd dich hu&#x0364;ten/ daß du keines wegs andere rich-<lb/>
te&#x017F;t: &#x017F;ondern/ alles/ was &#x017F;ie immer thun und reden/ das lege du zum be&#x017F;ten<lb/>
auß/ und trage Sorg bey dir &#x017F;elb&#x017F;ten/ wie du &#x017F;ie vertha&#x0364;tigen mo&#x0364;ge&#x017F;t/ nicht<lb/>
and<supplied>e</supplied>rs/ alswann du der&#x017F;elben Advocat und Vor&#x017F;precher wa&#x0364;re&#x017F;t: Kan&#x017F;t du<lb/>
&#x017F;olches aber nicht thun/ dieweilen die Sach handgreifflich bo&#x0364;ß i&#x017F;t; nichts de-<lb/>
&#x017F;toweniger ent&#x017F;chuldige &#x017F;ie/ &#x017F;o viel mo&#x0364;glich/ bey dir &#x017F;elb&#x017F;t/ und gebe die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N ?</fw><fw place="bottom" type="catch">Schuld</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0129] Von dem freventlichen Vrtheil. ſo ungewoͤhnliche Zufriedenheit und Sicherheit deß Gemuͤts erzeige. Der Sterbende hat dieſe ſeiner Mit-Bruͤder wohl-meinende Frag- Stuͤck auff folgende Weiß beantwortet: Jch geſtehe gern/ mein liebe Mit- Bruͤder/ daß es alſo ſeye/ wie ihr ſaget: ich hab ein ſehr nachlaͤſſiges Leben gefuͤhret: es ſeynd aber zu dieſer Stunde die Engel GOttes zu mir kommen/ und haben mir eine Verzeichnuß meiner Suͤnden gebracht; und nachdem ſie alle meine in dem Geiſtlichen Stand veruͤbte Miſſethaten mir vorgeleſen/ haben ſie mich gefragt/ ob ich mich deren ſchuldig erkenne? worauff ich geantwortet; ja freylich bekenne ich/ daß ich durch ſelbige das Hoͤchſte Gut belaͤidiget ha- be: dieſes aber erfreuet mich/ daß ich von Zeit meines angefangenen Beruffs biß auff gegenwaͤrtige Stund niemand geurtheilet/ und deß mir von an- deren zugefuͤgten Unrechts niemahln gedacht habe: derhalben wuͤnſche ich und bitte/ daß mir die Wort deß HErrn moͤgen zugeignet werden/ die Er geſprochen: Richtet nicht/ ſo werdetihr nicht gerichtet wer- den. Verzeyhet/ ſo wird euch verzyehen werden. Nachdem ich ſolches den Engelen geſagt hab/ iſt die gemeldte Verzeichnuß von ihnen zerriſſen worden/ und ich reiſe jetzt mit hoͤchſter Freud und Sicherheit zu dem HErrn. Mit Endigung dieſer Worten/ hat der Geiſtliche Bruder auch ſeyn Leben geſchloſſen/ und allen ein herrliches und aufferbauliches Exempel jener bey- den Tugenden hinterlaſſen. 20. Verzeyhe mir nun/ mein Chriſtliche Seel/ daß ich dich frage. Wem hat die unendliche Guͤtigkeit GOttes dieſes Beyſpiel zum Beſten dergeſtalt offenbahren/ und in ſo vielen Jahren auch durch oͤffentlichen Druck verkuͤn- digen wollen? iſt daß nicht dir und mir/ und fort allen ſo dieſes hoͤren zum groſſen Vortheil geſchehen? verlangeſt du mit dieſem gluͤckſeeligen Geiſtli- chen dem Goͤttlichen Urtheil zu entfliehen/ und den Todt mit innerlichen Freude deß Hertzens zu erwarten/ ſo folge nach die zwey herrliche Tugenden dieſes Geiſtlichen: und damit du ſolches fuͤglicher und bequemblicher ins Werck richten moͤgeſt; ſo laſſe dir ſonderbahr angelegen ſeyn dieſe zwey uͤb- liche Lehr-Stuͤck/ deren erſtes dir an die Hand gibt ein ſicherer Gottſeeliger Mann mit folgenden Worten: Du ſolſt am allerfleiſſigſten/ nicht anders als wie fuͤr die allergroͤſte Suͤnd dich huͤten/ daß du keines wegs andere rich- teſt: ſondern/ alles/ was ſie immer thun und reden/ das lege du zum beſten auß/ und trage Sorg bey dir ſelbſten/ wie du ſie verthaͤtigen moͤgeſt/ nicht anders/ alswann du derſelben Advocat und Vorſprecher waͤreſt: Kanſt du ſolches aber nicht thun/ dieweilen die Sach handgreifflich boͤß iſt; nichts de- ſtoweniger entſchuldige ſie/ ſo viel moͤglich/ bey dir ſelbſt/ und gebe die Schuld N ?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/129
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/129>, abgerufen am 23.11.2024.